„Katharsis“: Schaustück Körper
Was liegt unterhalb der Haut im Verborgenen? Und wo findet sich nebst Herz und Gedärmen die Seele? „Katharsis“ bietet kurzweiliges Anatomietheater im Akademietheater.
Was liegt unterhalb der Haut im Verborgenen? Und wo findet sich nebst Herz und Gedärmen die Seele? „Katharsis“ bietet kurzweiliges Anatomietheater im Akademietheater.
Katharsis, das ist nach Aristoteles die Läuterung, die Reinigung der Affekte, die das Theater bewirken soll. In fünf Akten durchläuft das gleichnamige Stück des britisch-irischen Regieduos Ben Kidd und Bush Moukarzel die Sektion eines Leichnams als Theater der Schaulust.
Wie bereits in früheren Burg-Inszenierungen (u. a. „Die Traumdeutung von Sigmund Freud“) stellen die beiden, die unter dem Namen Dead Centre arbeiten, den menschlichen Körper und die Seele ins Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Die Basis dafür bildet der fragmentarische Roman „Unrast“ (2009) der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk – mit der zentralen Frage: Haben nicht alle Menschen denselben Wert und damit das Recht auf Beerdigung?
Dead Centre verknüpft Machtmechanismen aus der Antike mit jenen der Aufklärung: In Sophokles’ Tragödie „Antigone“ verbietet es König Kreon, Antigones Bruder Polyneikes zu begraben. Sie allerdings hält sich an die göttliche Ordnung und widersetzt sich damit dem König, stellt die höhere Macht, die zugleich auch die der Menschlichkeit darstellt, über jene patriarchaler Herrschaftsdemonstration.
Die junge Safira Robens spielt in dieser Uraufführung sowohl die Antigone als auch die Tochter von Angelo Soliman (1721–1796). Der aus dem heutigen Nigeria stammende ehemalige Sklave kam über Sizilien nach Wien, wo er am kaiserlichen Hof diente und zusammen mit Mozart und Haydn in einer FreimaurerLoge war. Ein freier Mann zu sein, das war sein oberstes Ziel. Über seinen toten Körper allerdings verfügte Kaiser Franz II., der ihn – gegen den Willen von Solimans Tochter Josephine – als Kuriosität im (heutigen) Naturhistorischen Museum ausstellen ließ.
Wie alle anderen Darsteller (Philipp Hauß, Katrin Grumeth und Johannes Zirner) ist auch Ernest Allan Hausmann in mehreren Rollen zu sehen, als Soliman und als Anatom, der auf das „Glück“ eines Brandes im Jahr 1848 verweist, wodurch sich die Frage eines heutigen Umgangs mit dem Schauobjekt in einer exotisierenden Ausstellung erübrigt hat.
Die Inszenierung verbindet zahlreiche Zeitebenen, in welchen sich jedoch eine Forderung nie geändert hat: das Recht, dem toten Körper seine Würde zu geben. Es gilt in der Antike ebenso für Antigone wie in der Aufklärung für Josephine Soliman, denn der Körper funktioniert seit jeher gleich. Wie im „Anatomischen Theater“ (das man seit dem 14. Jahrhundert kennt) bildet ein Seziertisch das Zentrum der Bühne (Jeremy Herbert). Neben dem wissenschaftlichen Forschungsinteresse hatte die Schaulust wesentliche Anziehungskraft. Was liegt unterhalb der Haut im Verborgenen, und was erzählt der Körper über den Verstorbenen?
In fünf Akten wird „Katharsis“ als Schaustück des Körpers erzählt. Mit dem Herzen beginnt der erste Akt. „Wir wissen, dass er geliebt wurde“, ist das Resümee der Anatomen, nachdem sie das Herz aufgeschnitten haben. Es folgt Akt zwei, die Lunge, die den Atem steuert, Akt drei ist den Gedärmen gewidmet und Akt vier der Haut, dem größten Organ, der Hülle, die zugleich die Unterscheidungen macht, indem sie in „Schwarz“ oder „Weiß“ geteilt wird.
Am Ende, in Kapitel fünf, wird der Körper „rekonstruiert“, aber was ist mit der Seele? Was mit den Bewertungen der Herrschenden, die in Ethnien unterteilen und absurde Privilegien daraus ziehen?
In den kurzweiligen 90 Minuten verbinden sich die vielen Fäden zu einem interessanten Ganzen, zu einem neuen Bild, das sich zugleich wieder auf das eigene Medium bezieht, denn ohne Körper gibt es kein Theater. Oder wie es im Text heißt: „Wir gehen nicht ins Theater, um Stücke zu sehen, sondern Körper.“ Der Gang ins Akademietheater ist lohnend, wie auch der Applaus demonstrierte.
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