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Klassische Vollendung und junges Schaffen

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Überblickt man den ersten Teil dieser Spielzeit, so heben sich die vier Furtwängler Konzerte mit aller Deutlichkeit als künstlerische Höhepunkte heraus. Ihre Programme glichen jenen, wie sie Furtwängler seit über dreißig Jahren bevorzugt, und umfaßten — mit einer einzigen Ausnahme — Meisterwerke des 19. Jahrhunderts: Beethovens dritte, fünfte und sechste Symphonie, Mendelssohns „Sommernachts-trauim“-Ouvertüre und das Violinkonzert, Brahms' erste Symphonie und das Deutsche Requiem sowie „Don Juan“ von Richard Strauß. Versucht man sich Rechenschaft zu geben, wodurch Furtwänglers Interpretation so eindrucksvoll wirkt und uns einmalige künstlerische Erlebnisse vermittelt, so gelangt man sogleich zu Überlegungen über den idealen Dirigenten im allgemeinen. Daß ein Meister wie Furtwängler jede Note des dargebotenen Werkes im Kopf hat und zugleich eine außerordentlich klare, durch gründliches Studium und zahllose Proben erarbeitete Vorstellung von der Architektonik jedes Satzes und des ganzen Werkes besitzt, versteht sich von selbst. Ebenso selbstverständlich ist, daß er über alle jene technischen Mittel der Dirigierkunst verfügt, seine Konzeption auf das Orchester zu übertragen. Das Wunder seiner Interpretation besteht darin, daß er bei jeder Aufführung das Werk neu erlebt, so daß es mit all seiner jugendlichen Frische, mit aller Tiefe, Leidenschaft und Schönheit unter seinen Händen hervorwächst und sich jedesmal vor unseren Sinnen der Vorgang des Schöpferischen, des genialen Wurfes einer Komposition wiederholt. Dies ist um so bewunderungswürdiger, wenn man bedenkt, daß Furtwängler die „Eroica“ etwa lOOmal, Beethovens „Fünfte“ über 150mal und die erste Symphonie von Brahms etwa 120mal dirigiert hat. Bedenkt man ferner die ungeheure Zahl von über 3 Millionen Hörern, denen er allein in Konzerten die Meisterwerke der klassisch-romantischen Kunst vermittelt hat, so wird mit der künstlerischen Bedeutung seines Wirkens auch zugleich das Ausmaß des Dankes offenbar, den wir einem solchen Künstler schulden. Unsere beiden ersten Orchester (die Philharmoniker und die Wiener Symphoniker), der große Chor des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde und die mitwirkenden Solisten (Paul Schöffler und Elisabeth Schwartzkopf) wurden zu Höchstleistungen geführt, die wahrlich nicht nur ihnen und dem Dirigenten zum Ruhme gereichten, sondern vor allem — und darauf kommt es ja letztlich an — den dargebotenen Werken zugute kamen.

Das Streben nach klassischer Vollendung ist — wenn wir das Schaffen unserer jüngeren heimischen Komponisten überblicken — vor allen anderen in der Kunstgesinnung und im Schaffen Alfred Uhls deutlich spürbar. Und obwohl sich sein neuestes Werk, die „Sonata graziosa“, bereits im Titel von der traditionellen Form der klassisch-romantischen Symphonie distanziert, trägt Uhls Komposition in der Ausgewogenheit zwischen Geistigem und Klanglich-Sinnlichem durchaus klassische Züge. Freilich handelt es sich bei der „Sonata graziosa“ um eine spezifisch österreichische Umformung der klassischen Symphonie mit ihrer dialektischen Themenverarbeitung, deren Meister Beethoven und Brahms waren. Aus dem dramatischen Gegeneinander wird bei Uhl ein mehr zuständliches Nebeneinander — besonders deutlich in dem schönsten und gehaltvollsten Teil des Werkes, dem zweiten /Satz, der stellenweise auch in seiner Klangform an Bruckner gemahnt. Vergleicht man den Titel und die programmatischen Erläuterungen („schlanke Schönheit, vergeistigte und doch blutvolle Anmut“) mit dem Werke selbst, so “ kann min sich des Gefühls einer gewissen Inkongruenz nicht erwehren. Ob Uhh Stil überhaupt in der mit diesem Werk eingeschlagenen Richtung liegt, erscheint fraglich. Doch nicht darauf kommt es an. Die

„Sonata graziosa“ hat Eigenwert als eine seh gekonnte und reizvolle Komposition.

Zwei hauptsächlich aus jüngeren Kräften bestehende Orchestervereinigungen sind um die Werke unserer zeitgenössischen Komponisten bemüht, denen — im gleichen Programm oder in eigenen Konzerten — Kompositionen vor 1800 gegenübergestellt werden. Planvolle Programmgestaltung und gründliche Probenarbeit zeichnen die Veranstaltungen des „W i e n e r Kammerorchesters“ unter Franz Litschauer aus. Wir hörten im ersten Konzert die einfallsreiche und natürlich-frische „Kleine Musik für Streichorchester“ von Armin Kaufmann, Lm zweiten Konzert die Erstaufführung der Neufassung von Theodor Bergers stimmungsvoller „Malinconia“. Kurt Rapf schenkte uns mit seinem „C o 11 e g i u m m u-s i c u m Wien“ ein Konzert mit selten gespielten Werken des 18. Jahrhunderts und einen Sonatenabend mit Werken von Bach, Reger und Hindemith. »

Unsere jungen Genfer Preisträger haben die in sie gesetzten .hohen Erwartungen nicht ent-täusdit. Aus dem jungen Konzertmeister Anton F i e t z ist ein strebsamer Solist geworden, der an den Violinkonzerten von Mendelssohn, Glazunow und Walton bedeutendes tedinisches , Können, handwerklich saubere Musikalität und ein zuverlässiges Gedächtnis erwies. Friedrich G u 1 d a hat sich vom musikalischen Wunderkind zu einem durchaus ernst zu nehmenden jungen Pianisten entwickelt, der mit ungewöhnlicher Reife und einwandfreier Technik ein sehr ansprudisvolles und vielseitiges Programm bewältigen kann (Mozart, Beethoven op. 101, Chopin und Debussy). .

Nicht auf allen Gebieten unseres Kunstlebens können wir ein so erfreuliches Gleichgewicht feststellen zwischen festlich-repräsentativen Veranstaltungen — deren Leitung naturgemäß in den Händen erfahrener und bewährter Künstler zu liegen hat — und dem Schaffen und Streben der Jungen, was uns zu der Hoffnung berechtigt, daß sich unser Musikleben auch weiterhin auf traditioneller Höhe halten wird.

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