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Kreneks „Karl V.u in München

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Die geschichtliche Stellung des 1520 in Aachen zum deutschen Kaiser gekrönten Karl V. ist umstritten. Am Ende seiner Tage war er ein gebrochener, von Widersprüchen gepeinigter Mann. Er zog sich in das Kloster San Yuste zurück, um dort in Einsamkeit und Einkehr mit Himmel und Erde ins Reine zu kommen. Ernst Krenek hat sich dieses bedeutenden Stoffes nach jahrelangen geschichtlichen Studien und Reflexionen angenommen und schon vor mehr als 30 Jahren seine Oper „Karl V'.“ konzipiert (das Werk wurde im Auftrag und für die Wiener Staatsoper geschrieben, aber die Uraufführung war 1934 in Prag). Krenek hat auch selbst das Textbuch verfaßt, und man muß dem Autor zugestehen, daß er nicht nur eine sehr klare und eindringliche Sprache fand, sondern auch eine Konzentration der Geschehnisse erreichen konnte, die innerhalb eines Spielablaufes von etwa zwei Stunden den historischen Hintergrund in klar umrissenen Konturen verdeutlicht.

Das Werk beginnt mit der letzten irdischen Station des Kaisers, dem Kloster San Yuste. Der Kaiser bittet einen jungen Mönch, ihm die Beichte seines Lebens abzunehmen. Auf einer zweiten, etwas erhöhten Spielfläche werden die hervortretendsten Ereignisse dieses Lebens- und Leidensweges dargestellt. Immer wieder geht es dem Herrscher dabei um seinen Auftrag, die Christenheit wieder zu vereinen, und Krenek hatte vor 30 Jahren wohl keine Ahnung davon, wie aktuell diese Problemstellung in der Zeit eines 2. Vatikanischen Konzils einmal werden sollte. Das Ineinander von rationalen und irrationalen Elementen wirft jedoch die ersten, schwer überwindbaren interpretatorischen Schwierigkeiten auf. Es gibt keine echte Handlung, die visionären Bilder können sie nicht ersetzen, und der Kaiser selbst ist ebenfalls kein Handelnder, sondern bleibt seinen reli-gions-philosophischen Assoziationen verhaftet. In vielen Details ist dieser „Karl V.“ der Bild- und Gleichnishaftigkeit des „Mathis“ von Hindemith und des .Kolumbus“ von Egk ähnlich, aber nirgendwo ist die Handlung so eingefroren wie hier. Musikalisch ist Kreneks „Karl V.“ neben Schönbergs „Moses und Aaron“ wohl das konsequenteste Bühnenwerk der Zwölftonmusik. Krenek praktiziert hier zum erstenmal die Technik der „Wiener Schule“, und es kommt zu Klangballun-gen von einer Härte und Unerbittlichkeit, wie sie den Rängen des Münchner Nationaltheaters noch nie entgegenschlugen. Wie farbig und sinnlich diese komplizierte, seriell gearbeitete Partitur trotzdem sein kann, zeigt sich etwa im Vorspiel zum 2. Teil, und Reinhard Peters, der junge Generalmusikdirektor aus Münster, dirigierte mit solcher Sicherheit und Souveränität, daß man den Eindruck hatte, das Bayerische Staatsorchester wäre mit atonaler Musik großgezogen worden.

Die gesamte Aufführung hat exemplarische Format, und der Komponist, der während der diesjährigen Münchner Opernfestspiele sein Werk hier persönlich dirigieren wird, mag wohl seine Freude Haran haben. Hans Hartleb ist mit dem Werk seit 1948 vertraut. Unter seiner Regie erreicht die Wiedergabe faszinierende Plastik und große Intensität. Ekkehard Grüblers Bühnenbild und Kostüme vermitteln ein Mittelalter in visionärer Deutung. Das ist das Fazit dieser ungewöhnlichen Interpretation, die jedoch nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, daß sich das ganze Werk im Dekorativen erschöpft und nicht in die Bereiche einer elementaren, dramatischen Aussage vorzustoßen im Stande ist. Als Träger der unvorstellbar schweren “Titelpartie ist Kieth Engen zu einem unserer bedeutendsten Charakterdarsteller herangewachsen, denn hier gilt es nicht nur zu singen, sondern hier muß eine Figur glaubhaft gemacht werden durch eine volle Identifizierung eines Darstellers mit seiner Rolle. Es ist unmöglich, alle Mitwirkenden namentlich zu nennen, doch sollen Annelie Waas, Ingeborg Bremen, Otto David, Richard Holm, Georg Paskuda, Marianne Schech, Hermann Frieß und Heinrich Weber vor allen übrigen lobend erwähnt sein. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Bayerischen Staatsoper ein Ereignis von musikgeschichtlichem Rang zu danken ist. Der Beifall war enthusiatisch.

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