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La Favola in musica

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Die Favola in musica „L'Orfeo“ des 1567 in Cremona geborenen Komponisten Claudio Monteverdi gilt als erstes vollständig erhaltenes Musikdrama der abendländischen Kultur, und es kommt nicht von ungefähr, daß auch der große Opernreformator Gluck den Orpheus-Stoff für sein bedeutendstes Werk wählte. Allerdings mußte sich Monteverdi mit der Textvorlage Alessandro Striggios begnügen, während Gluck den genialen Raniero de Calzabigi an der Seite hatte. So zieht sich ein roter Faden von Monteverdi über Gluck zu Richard Wagner und weiter noch bis hin zu Carl Orff, dessen Monteverdi-Bearbeitungen wiederum — den Kreis schließend — höchster Beachtung wert sind. Monteverdi, der zunächst als Sänger, Geiger und Kapellmeister am Hof zu Mantua tätig war und später als Kapellmeister an der Markuskirche zu Venedig wirkte, hat erstmals Wort und Ton als ein dramatisches Ganzes empfunden und es auch so zu artikulieren verstanden.

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Die Favola in musica „L'Orfeo“ des 1567 in Cremona geborenen Komponisten Claudio Monteverdi gilt als erstes vollständig erhaltenes Musikdrama der abendländischen Kultur, und es kommt nicht von ungefähr, daß auch der große Opernreformator Gluck den Orpheus-Stoff für sein bedeutendstes Werk wählte. Allerdings mußte sich Monteverdi mit der Textvorlage Alessandro Striggios begnügen, während Gluck den genialen Raniero de Calzabigi an der Seite hatte. So zieht sich ein roter Faden von Monteverdi über Gluck zu Richard Wagner und weiter noch bis hin zu Carl Orff, dessen Monteverdi-Bearbeitungen wiederum — den Kreis schließend — höchster Beachtung wert sind. Monteverdi, der zunächst als Sänger, Geiger und Kapellmeister am Hof zu Mantua tätig war und später als Kapellmeister an der Markuskirche zu Venedig wirkte, hat erstmals Wort und Ton als ein dramatisches Ganzes empfunden und es auch so zu artikulieren verstanden.

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Die Bayerische Staatsoper hat nun eine Bearbeitung Ausrust Wenzingers zur Erstaufführung gebracht, in welcher der Versuch unternommen wurde, eine Rekonstruktion des Originals zu erstellen, im Gegensatz zu anderen Orfeo-Fassungen, die sehr viel Eigenschöpferisches oder Nach-schöpferischiea in das Werk haben einfließen lassen. Wenzinger hat Monteverdis „L'Or/eo“ nach dem Originaldruck von 1609 bearbeitet, und es ist ihm gelungen — das sei hier vorweggenommen — das Werk nicht nur besser spielbar, sondern auch besser hörbar und erfaßbar zu machen. So wurde beispielsweise die auffallend tiefe Notation abgeändert und das ganze Werk um einen Ganzton nach oben transponiert (in seinen Erklärungen stellt Wenzinger fest, daß der Kammerton in Oberitalien des 16. und 17. Jahrhunderts besonders hoch war, auch ist es wohl unwahrscheinlich, daß der jugendliche Bräutigam „Orpheus“ von einem Bariton oder das zarte Mädchen „Euridice“ von einem Mezzosopran au singen sei). Als den Kern des reziitativen Stils Monteverdls bezeichnet August Wenzinger die Deklamation.

Zunächst muß man dem Münchner CuvilUes-Theater für diese Leistung Referenz erweisen. So konnte sich der aus Brüssel herbeizitierte Bühnen- und Kostümbildner Thierry de Bosquet von Meister Ouvillies inspirieren lassen und er schuf ein optisches Flair von außerordentlicher Sensibilität der Farbgebung. Wie Visionen erwachsen die Szenen, aus einem lichtdifferenzierten Rundhorizont, zu plastischer Verdichtung. Rudolf Hartmann nahm die musik-historische Bedeutung dieses Werkes, also das Musikdrama, beim Wort und ging einer oratorischen Interpretation weitgehend aus dem Weg. Das ist richtig und konsequent, denn für das Oratoriseh-Statuarische bedarf es keiner Bühne, das kann in einer konzertanten Aufführung besser gemacht werden. Hartmann hielt die Handlung in dramatischer Bewegung und zeigte sich erneut als ein souveräner Gestalter von Charakteren und von bildhaften Gruppierungen. Eine drehbare Flexiglasscheibe dient ihm als Mittelpunkt, nicht nur, daß sie durchsichtig gemacht werden kann, sie reflektiert auch das Licht und bricht die Farben auf eine irrealmakabre Weise. Allerdings wird diese zunächst faszinierende Idee überspannt, wenn es im Reich der Schatten unter dieser Plexiglasdecke von Totenschädeln nur so wimmelt. Der aufgeklärte Zeitgenosse einer an realen Beispielen des Schreckens und des Grauens reichlich ausgestatteten Epoche hat einen scharfen Blick für solche Schocks, zumal wenn sich der Einfall zu lange selbst zu bestätigen scheint.

Aber der Regisseur Rudolf Hartmann hatte zweifellos einen großen Tag in seiner reichen Bühnenlaufbahn, und er konnte auf Matthias Kuntzsch, den Dirigenten der Aufführung, setzen, der ab 1969/70 als 1. Kapellmeister an die Münchner Oper verpflichtet wurde. Kuntzsch dirigierte zügig, er wollte keinesfalls Musik aus dem Museum machen, sondern demonstrieren, wie lebendig, wie aktuell diese Partitur ist.

Für einen Sänger muß es besonders befriedigend sein, bei diesem „Orfeo“ mitzuwirken, singt er doch symbolisch einen Hymnus auf den Sänger Orpheus, der berufen ist, vom „Genius der Musik“, durch die Kraft des Gesanges und die Schönheit der „musicae technae“, die Grenze zum Reich der Schatten zu durchbrechen, Rationales und Irrationales zu verbinden. Nun kann bei einem so großen Ensemble und im Hinblick auf ein Abend für Abend präsentes Repertoiretheater nicht verlangt werden, daß alle Sänger dem sehr speziellen Stil des Affettiuoso gleichermaßen gerecht werden, doch muß der Bayerischen Staatsoper summarisch eine saubere Leistung bestätigt werden (das gilt auch für den Chor und für die Tänzer). Adolf Dallapozza (Orpheus), Antoine Fahberg (Eury-dike), Karl Christian Kohn (Charon), Anna Kapitani (Erste Botin), Ingeborg Schneider (Zweite Botin), Lotte Schädle (Nymphe) und Horst Hoffmann (Apollo) sollten besonders hervorgehoben werden. Dallapozza bewältigte die schwierige Titelrolle zunächst nicht ganz in der expressiven Aussagekraft dieses Ziergesanges, steigerte sich aber in seiner großen Arie, die ihm die Tore zur Unterwelt öffnet, zu bewegender Verinner-lichung. Alle Mitwirkenden wurden herzlich gefeiert. Münchens Oper hat damit ihr Weihnachtsgeschenk auf den Gabentisch gelegt!

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