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LEBENSANGST UND LEBENSGIER

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C ind wir noch einmal davongekommen?” fragte der Senator Tiburtius in seiner Schlußansprache zu den XL Berliner Filmfestspielen, einer Schau von Filmen aus 47 Ländern mit einer Pressebeteiligung wie nie vorher, mit Stars, mit Filmen, jener Veranstaltung, die nun seit elf Jahren Berlin für fast zwei Wochen wieder, wie in alten Tagen, zum Filmzentrum Deutschlands und eines Teiles der Welt macht. Diesen Anspruch verkünden die Filmfestspiele Jahr um Jahr, und wenn sie bei der nicht abreißenden Liste der Konkurrenzfestspiele auch nicht mehr an jedem Programmtag ein filmisches Ereignis stellen können: Filme, die einer Diskussion wert sind oder sie auslösen oder mit der Produktion eines entlegenen und für uns Europäer unbekannten Landes bekannt machen, gibt es darunter, wie die Besucher der Konkurrenzfestspiele feststellen, sogar mehr als anderswo.

Filmfestspiele haben eine eigene soziale Hierarchie. Die eigentlichen Akteure sind nicht die Stars, sondern die Filmproduzenten, welche die Filme für die Bildwände beistellen. Sie bleiben meist unsichtbar, aber im Grunde spielen sie das Konzert aus Licht und Schatten, das als Gesellschafts- und Kunstgericht in den Film sälen vor sich geht. Die Statisten um diese Akteure, die dem Schauspiel den Glanz der Romantik, der Sensation und zuweilen auch des Skandals und des Klatsches geben, sind die Stars und Schauspieler, die sich verneigen, die gesehen werden, hinter denen man herraunt. Je mehr Statisten, desto rauschender das Festival. Aber die Qualität wird von den Akteuren bestimmt, deren Werke der Regisseur des Festes, der Festspielleiter, mit seinem Stab ausgewählt hat. Von dem Angebot, aus dem er wählen konnte, und von seiner Reihung bestimmt sich die Dramaturgie des Ablaufs und aus ihr das Klima. Er braucht eine weitere Gruppe, die wesentlich zum Festspiel beiträgt: die Journalisten. Ihre Federn sind wie Vergrößerungsgläser, durch die die Augen vieler Nationen auf die Festspielen blicken, ihre Worte schaffen sonanz, die zum Erfolg gehört. Das reale gibt daneben nur Rahmen und Stimmung.

Dieser Soziologie muß man eingedenk festspiele richtig werten will. Was brachte Berlin?

Der deutsche Beitrag war „Das Wunder des Malachias”, die zweite Regiearbeit von Bernhard Wicki. Der Roman von Bruce Marshai ist aus der schottischen Vergangenheit in die Gegenwart verlegt worden: Ein Wunder in unserer Zeit, aus dem Gebet eines einfachen Paters Wirklichkeit geworden, entfesselt einen Hexensabbat von Geschäft und Kitsch und blasphemischerotischer Orgie, so daß schließlich der Pater verzweifelt darum betet, das Wunder ungeschehen zu machen. Das brennt, das

War nicht ein vorherrschender Zug der Filme in Berlin die Auseinandersetzung mit dem Thema der Gewalt?

Am reinsten und saubersten in dem amerikanischen Beitrag „Frage Sieben”, dem der Preis der Internationalen Katholischen Filmkommission zuteil wurde, einem Film um einen protestantischen Pfarrer im Osten Deutschlands und seinen begabten Sohn, der vor einer Gewissensentscheidung steht: soll er den Fragebogen beantworten, wie man es von ihm erwartet, oder soll er wahrhaftig sein und die Folgen auf sich nehmen. Das ist realistisch und eine echte, anrufende Frage mit wirklichen Schicksalen.

Dumpf und unheimlich in dem japanischen, vom Regisseur des „Rashomoon” mit allen Requisiten des Thrillers gebauten Film „Männer ohne Gewissen” — es geht um den brutal erstickten Racheversuch eines Sohnes für das Leben seines Vaters an den Halsabschneidermethoden eines Konzerns. Bitter und einsam ist die Karriere eines britischen Abgeordneten der Labour Party „Und morgen alles”, als welcher Peter Finch einen Berufspolitiker mit schonungsloser Selbstentblätterung darstellt — der Preis für die beste Schauspielleistung stellt die Anerkennung für eine große Darstellerhoffnung dar.

Auseinandersetzung mit der Macht ist auch der Schweizer Beitrag, die Dürrenmatt-Verfilmung „Die Ehe des Herrn Mississippi”. Johanna von Koczian und O. E. Hasse spielen ausgezeichnet, aber die Vorbemerkung Dürrenmatts, „Jede Ähnlichkeit zwischen dem gleichnamigen Stück eines gleichnamigen Verfassers ist rein zufällig”, soll wohl rechtfertigen, daß die Akzente zum Nachteil des Spieles versetzt wurden: Aus der kabarettistischen Komödie wurde direkte Aussage, aus der Persiflage wurde Nihilismus, aus der andeutenden Ironie unter Kurt Hoffmanns Regie die niederreißende Perfektion. Diese Komödie einer Mörderehe mit Ost-West-Ideologien ist ein Spiel, bei dem einem das Lachen vergehen müßte, geworden.

Lachen konnte man bei der heiteren Ost-West-Persiflage der Amerikaner, „Romanoff und Julia”, mit der die Filmfestspiele eröffnet wurden. Im Grunde bleibt doch der Atem der großen Dichtung zeitloses Erlebnis.

Zum Film erweitert, aber wie auf der Bühne gespielt, von Griechen in neu-griechischer Sprache gespielt, bewegt Sophokles’ Tragödie der Macht. „Antigone”, heute wie einst, und der von den Briten als konservatives Theater verfilmte „Macbeth” atmet trotz seiner meiningerischen Spielauffassung die Kraft Shakespeares.

Geschehnisse bei den den Akteuren die Re- Publikum der Abende

Österreich hatte keinen Spielfilm geschickt, aber es war mit dem schönen Film nach Kinderzeichnungen, „Kinderträume”, der starken Beifall erhielt, und mit Edmund von Hammers „Die Ritter von Malta” vertreten. Die gut besuchte Schau österreichischer Veranstaltungen gezeigt Aufnahme.

Den goldenen Bären phrase des „süßen Lebens” „Die Nacht”, die Gewissenserforschung eines auseinandergelebten Paares zwischen Nachtlokal und einer seelenleeren Party einer Neüreichenfamilie, in der die Versuchungen so schal und lustlos an die Menschen herantreten, überschattet vom Tod eines Freundes, der für beide bedeutend war: Ihre Einsamkeit zwingt am Morgen die entfremdeten Ehepartner wieder zueinander.

Chris Markers israelischer Beitrag, „Beschreibung eines Kampfes”, mit einem goldenen Bären ausgezeichnet, geht einen neuartigen Weg, die Probleme eines Landes in einem dialogischen Selbstgespräch darzubieten. Soziale Fragen greift der argentinische Film „Wahrlich, ich sage euch” auf, der das Halbstarkenproblem mit dem unglaubwürdigen Edelmut einer vergewaltigten jungen Lehrerin, die an derselben Schule weiterwirkt und da« Gewissen der Jungen wachruft, konfrontiert. Ehefragen greift der hübsch gemachte holländische Streifen „Wenn es euch nicht von Herzen geht” auf, der am St.-Nikolaus-Tag spielt und mit diesem großen holländischen Fest die Schicksale dreier Ehepaare verknüpft.

Jedes Jahr betet der Bischof von bischof von München-Freising Döpfner, mit den Filmschaffenden und spricht in einer Predigt zu ihnen. Jedes Jahr sind diese ewigkeitsbewußten und zeitgebundenen Worte der Besinnung em Höhepunkt des Berliner Filmfestes. „Film braucht Publikum. So wendet er sich an die breite Masse. Er umwirbt sie und huldigt ihr. Zugleich aber formt er sie — ob er will oder nicht — in ihrem Denken und Wollen” — „Christus aber kennt keine Masse. Für ihn ist jeder Mensch ein einmaliges Geschöpf Gottes mit einer unsterblichen Seele”, sagt der Kardinal. Er sprach warnende Worte vor zwei Themenkomplexen, welche die Kirche in zunehmendem Maße mit Sorgen erfüllen: die Dirnenfilme und der ethische Relativismus solcher Filme und die Wahl religiöser Themen, um sie zu Spott und Blasphemie zu mißbrauchen. Solche Filme geben Gift statt Brot, und man soll ihnen den Weg zum Volk nicht öffnen und sich nicht durch Hinweise auf künstlerische Werte verwirren lassen.

sprüht, das hat Einfälle, das hat Szemm.YqJl Kiaft, aber im ,Wie .ergreifend und großartig, war daneben der japanische Gihnde kaum mehr einen Menschen, mit»-tleftr cfer Zuschauer Film .Muiti” • (Leben), dem der Selznicksche „Goldene mithoffen und mitfühlen kann. Das ist# virtnos-gemacht, zwar Lotbeer” ¿verliehen wurde: Die Geschichte eines an Krebs er-

mit Können, aber doch kein reines, betu’cken’dis’ Küitsttverk. kfäftktb’it Männes, der nur mehr sechs Monate zu leben hat und

Man spürt das Wollen wie eine Verpflichtung, aber es wurde nicht zum überzeugenden Müssen. Horst Bollmann als Malachias eine Entdeckung, Wicki mit dem Preis für die Regie bedacht, erhielt ihn nicht unverdient, aber diesem ambitiösen Werk so sehr gewünscht, daß offenbliebe.

Der zweite Beitrag Deutschlands — „Traumland sucht”, ein Farbfilm von Wolfgang Müller-Sehn einem silbernen Bären ausgezeichnet, reihte schöne Bilder wie ein Album aneinander und zeigte von Griechenland das Land, aber nicht das Leben und nicht die Menschen. Es genügt nicht, ein Land zu .photographieren, man muß es dem Zuschauer erleben machen. Das versucht dieser Film nicht einmal.

in dieser Zeit, befreit von der Furcht für Fortkommen, vor Vorgesetzten und für die Lebensfristung als Beamter für der bei ihm vorsprechenden Menschen wirkt. Hier Furcht überwunden, und ein kleiner Mensch ersteht Großartigkeit.

Denn das bleibt als Eindruck der Filme, die Berlin

Jahr zeigte: die Lebensangst in der Auseinandersetzung mit der Macht, mit der Gesellschaft, mit der Karriere, die Lebenseinsamkeit des modernen Menschen, der in keiner Gemeinschaft mehr geborgen scheint, die Lebensgier, die auch von der intimsten Vereinigung den Schleier reißt, ob in Angst, ob in Spott oder in Spiel: Man mag die Themen bejahen oder nicht: Spiegel unserer Zeit und ihrer Menschen sind sie.

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