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Leichtes Theater

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Mit wenigen Ausnahmen haben diesmal die verschiedenen Theater dem Publikum eine leichte Kost vorgesetzt. Lustspiel und Satire überwiegen. Aber nicht immer kann die Auswahl der Stücke als glücklich bezeichnet werden.

Der Ausflug der Kammerspiele in die leichte Klassik mit der Aufführung von Kleists „Amphitryon“ kommt einem nicht ganz der Zeit entsprechend vor. Es ist damit ein umstrittener Band aus der Theaterbibliothek hervorgeholt worden. Die Erzählung vom olympischen Göttervater, der nur zu eigenem Vergnügen zur Erde herabsteigt und der — nach verschiedenen Un-moralitäten — kraft seines Göttertums unter dem Jubel des versammelten Volkes zum Olymp entschwindet, wirkt besser in der Sage als auf dem Theater. Als echtes Kleiststück, zeichnet der Dichter auch im Lustspiel den tiefen Konflikt seines Lebens. Skraups Sosias ist unter Sdiauspielern die Gestalt eines Menschen. Er ist „der kleine Gott der Welt, der stets vom gleichen Sdilage bleibt“, natürlich in seiner Handlung und menschlich in seinem Wesen, Bleibt die Frage offen, ob man das Stück als eine lächelnde Persiflage des Allzumenschlichen der antiken Götter oder als lustspielhafte Verteidigung des Übermenschentums auffassen soll.

Es gibt Bühnen in Wien, die ein Programm von der Klassik bis .zur modernsten Dramatik bewältigen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Theater, die zu einer bestimmten Haltung verpflichtet sind. Das ist das Burgtheater, das gerade dadurch wie viele andere europäische Bühnen zum Begriff wurde. Die Revue „Die sechste Frau“ als Jubiläumsvorstellung gedacht, bricht mit dieser Tradition. Alles ist in diesem Bilderbogen vom Leben und Sterben Heinrich VIII. enthalten, was der Kleinkunst ihren Charme gibt: das farbig-satirische der Ausstattung, im Rahmen einer gewollt primitiven Inszenierung, das Aneinanderreihen von Pointen, die an aktuelles Zeitgesdiehen gebunden sind, eine leise synkopische Jazzmusik über die Pausen, und ein Nummerngirl als Revueführer. Der Autor hatte sicher die Absicht, eine Zeitsatire gegen das Dritte Reich zu schaffen, in deren Mittelpunkt er Heinrich und die ihn überlebende sechste Frau — Katharina Parr — stellte und um die er eine Handlung mit SchlüsselHguren aufbaute. Man sieht, daß das Interesse nicht der Handlung galt, sondern mehr dem Text, den man den einzelnen Akteuren in den Mund legte. Im Rahmen einer Kleinkunstbühne hätte das Stück Erfolg gehabt, im Akademietheater oder Redoutensaal hätte man es als Experiment anerkannt, im Burgtheater ist es fehl am Platze.

Das zweite Stück der Stephans-Spieler ist ein noch wenig gespielter Shakespeare, „Der verlorene Sohn von London“. Jede Gemäldegalerie enthält Bilder, bei denen man die Hand des Meisters erkennt, die aber doch von einem seiner Jünger stammen. So auch hier. Shakespearehaft die Zeichnung der einzelnen Figuren, so zum Beispiel der dicke Ritter der ein Spiegelbild für die Sittenlosigkeit einer Epoche darstellt, oder die Dummdreistigkeit des einen und die verträumte, bösartige Dummheit des anderen Bedienten als standescharakteristisch. Shakespearehaft auch die Verwandlungen der Personen. Das sind die Teile eines Bildes, die ein gutes Ensemble 'zusammenfügt. Ganz passen aber die Tönungen nicht zusammen. Das Alte Testament hat für den verlorenen Sohn einfachere, doch glaubhaftere Werte gefunden.

In ganz anderer Gestalt zeigt sich die Shakespeare-Aufführung der ,.Beiden Vero-n-ser“ in der Insel. Hier ist die Auf Fassung mehr romantisch. Das Werk ist nicht starr übernommen, moderne Auffassungen sind hineinverfjpchten und eine Linie wird verfolgt, die die berühmten Aufführungen Gaston Battys im Theater Montparnasse zum Vorbild gehabt haben könnten. Verona und Venedig sind durch Scherenschnitte des Weichbildes erkenntlich angedeutet, angenehm bearbeitete italienische Volksweisen und die Homogenität der Aufführung, die durch einen geschickt gezogenen Vorhang den Szenenwechsel auf offener Bühne ermöglicht, schaffen eine Atmosphäre von wirklich künstlerischer Leistung. Die Darstellung des Dieners Lanz muß hervorgehoben werden. In den Verwirrungen und Entwirrungen des Stüdtes stellt er mit großer menschlidier Gestaltungsgabe, das Metronom für schnellen oder langsamen Ablauf, der Handlung dar. Es ist eine Shakespeare-Aufführung des 20. Jahrhunderts, aber sie bleibt dennoch echt. Die Insel hat mit diesem Stück jenes Quantum an Mut, Geschick und Können gezeigt, das man von ihr erwartet.

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