Medea - © Foto: Astrid Knie

„Medea“: Dance me to the end of love

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Das Theater in der Josefstadt bringt Franz Grillparzers „Medea“ auf die Bühne – ein im Grunde kurzweiliger Abend, doch inszeniert Elmar Goerden den mythischen Stoff mit großer Unentschiedenheit, Streichungen, Szenenveränderungen und einem unverständlichen Epilog.

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Das Theater in der Josefstadt bringt Franz Grillparzers „Medea“ auf die Bühne – ein im Grunde kurzweiliger Abend, doch inszeniert Elmar Goerden den mythischen Stoff mit großer Unentschiedenheit, Streichungen, Szenenveränderungen und einem unverständlichen Epilog.

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Nach den Worten von Hans Blumenberg ist es die hochgradige Beständigkeit mythischer Figuren, die ihren Reiz ausmacht. Die Arbeit am Mythos, so der Philosoph weiter, zeige die Menschheit dabei, etwas zu bearbeiten und zu verarbeiten, was ihr zusetze, was sie in Unruhe und Bewegung halte.

Dass diese Feststellung offenkundig zutrifft, ist nicht zuletzt daran abzulesen, dass der Medea-Stoff seit jeher eine große Faszination ausübt, wobei Medea in erster Linie als negative Figur, als die sich rächende Kindsmörderin bekannt ist. Nicht zuletzt auf deutschsprachigen Bühnen sind in letzter Zeit aber Bearbeitungen des viel älteren Grundmythos und des um das Jahr 430 v. u. Z. von Euripides entscheidend veränderten Stoffes auffällig. Dabei spielen zwar die von Euripides vorgenommene Psychologisierung und Ambivalenz von Medea sowie das Skandalon des Kindermords mit der Frage, ob die schreckliche Tat eine rationale oder emotionsgesteuerte sei, noch immer eine dominierende Rolle.

Wie groß das Aktualisierungspotenzial des Stoffes ist, zeigt sich daran, dass neben dem Liebes-, Treue- und Eifersuchtskonflikt auch verschiedene andere Kontexte wie Herkunft, Stand, Ehre, Geschlechterdifferenz, Frau- und Muttersein, Flucht, Migration, Asyl, Clash of Civilisations, Identität etc. an Gewicht gewinnen. Jüngst wird der Medea-Komplex verstärkt als literarische Chiffre eines interkulturellen Dialogs gelesen, eben weil er in Zeiten vielfach zu beobachtender Migrationsbewegungen zusätzliche Aktualität aufruft.

Vielschichtig und aktuell

In seiner Übersetzung und Bearbeitung des Stoffes hat vor fast genau 200 Jahren schon Franz Grillparzer seiner Medea, die den letzten Teil der Trilogie „Das goldene Vließ“ bildet, neben anderen auch diese Facette, die auf ganz heutige kulturelle Konflikte vorausdeutet, hinzugefügt. Die Vielschichtigkeit und die unerhörte Aktualität von Grillparzers fünfaktigem Trauerspiel können gegenwärtig am Wiener Theater in der Josefstadt teilweise wenigstens erahnt werden.

Elmar Goerdens Inszenierung beginnt auf einer gänzlich leeren Bühne. Die tolle Sandra Cervik als Medea hat in ihrem schlichten schwarzen Kittel und dem Kopftuch wenig von einer kolchischen Königstochter. Diese Medea, die bei Seneca eine von Rache erfüllte Furie ist, die Zauberin, die bei Euripides aus Verrat ihrer Liebe zum Kindermord getrieben wird, scheint hier die Züge einer Flüchtlingsfrau zu tragen.

Sie ist gerade dabei, am Meeresstrand von Korinth eine Kiste mit ihren Habseligkeiten zu vergraben. Ein Zeichen für die Tilgung ihrer eigenen Identität. Dieser rituelle Verdrängungsakt scheint notwendig dafür, dass sie und Jason Asyl bekommen. Denn von ihr wird eine totale Umkehrung der Sitten und Gebräuche, der Werte und Gewohnheiten verlangt. Weil sie das, was andere ihr sagen, zwar tun will – „nur was...?“ –, es aber nicht gelingen will, gräbt sie am Ende die Kiste wieder aus und holt damit ihre „alte“, unterdrückte Identität zurück. Mit dem Satz „Medea bin ich wieder“ besiegelt sie das tragische Scheitern des Assimilationsversuchs des Fremden im Eigenen und findet letztendlich jene gewalttätige Antwort auf die Gewalt, die ihr durch die Forderung angetan wurde.

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