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Meinungen über „Die Seidenraupen“

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Im Theater an der Wien wurde die byzantinische Legende in fünf Bildern mit Vor- und Nachspiel „Die Seidenraupen" von Eröd und Bietschacher urauf geführt.

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Im Theater an der Wien wurde die byzantinische Legende in fünf Bildern mit Vor- und Nachspiel „Die Seidenraupen" von Eröd und Bietschacher urauf geführt.

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DER KOMPONIST:

Seit ungefähr zwölf Jahren weiß ich, daß das zentrale Gebiet meiner kompositorischen Tätigkeit die Bühne sein muß. Damals habe ich — noch in Ungarn — bei der Einstudierung einer Schüleraufführung von Cimarosas „Heimlicher Ehe“ mitgeholfen, Und ich fühlte mich so fort zu Hause. Allerdings war es mir auch klar, daß Opernkomponieren eine gründliche Vorbereitung braucht. Ich bemühte mich also zuerst, als Komponist ein gewisses Niveau zu erreichen, besuchte den Stehplatz, korrepetierte dann zwei Jahre an der Staatsoper, begleitete Sänger und schrieb daneben einen Einakter von 15 Minuten für Kammerbesetzung (nach Garcia Lorca), der 1960 von der „Gesellschaft für Musiktheater“ in Innsbruck und Wien aufgeführt wurde.

In der Staatsoper lernte ich meinen Freund Richard Bietschacher kennen, der mir einige seiner Entwürfe zeigte; ich griff sofort nach dem Thema der „Seidenraupen“. Wir haben uns sehr gut verstanden, waren doch unsere Ideale, was das musikalische Theater betraf, weitgehend konvergierend. Monteverdi, Mozart und Verdi (von diesem besonders „Othello“ und „Fallstaff“) bedeuteten für uns die Gipfelpunkte der Oper, und ich war überzeugt, daß die Abkehr von diesen Idealen im 20. Jahrhundert keine endgültige sein muß. Dazu kam meine persönliche, sehr „unzeitgemäße“ Überzeugung vom Primat der menschlichen Stimme als höchstem musikalischen Ausdrucksmittel gegenüber dem Orchester. So gingen wir an eine Arbeit, die etwa vier Jahre in Anspruch nehmen sollte.

Kunst ist Kommunikation. Wenn ich Musik schreibe, so mit der Absicht, daß sie auch angehört und begriffen wird. Ich muß mich also einer Sprache bedienen, die geeignet ist, wenigstens von einer größeren Anzahl von Menschen verstanden zu werden. In erhöhtem Maße gilt das für die Oper, die erst eine Daseinsberechtigung hat, wenn sie eine Wirkung auszuüben imstande ist. Ich habe versucht, dieses Ziel immer vor Augen zu haben. Mir will scheinen, daß die Introversion auf der Opernbühne nur einen beschränkten Platz hat, daß sie aber in den letzten Jahrzehnten die Oberhand gewann. Ich halte die Extraversion für höherstehend, weil sie die Absicht zur Kommunikation enthält. Wenn man mir vorwirft, daß meine Auffassung unzeitgemäß sei, daß die Kunst heute die Aufgabe habe, die „Hinaus- geworfenheit“ des Menschen zu zeigen, so meine ich, daß für mich das Zeitgemäße ist, dieser zunehmenden Isolierung des Menschen entgegenzuarbeiten, zu versuchen, die Trennwand zwischen Mensch und Mitmensch zu durchbrechen. Ich glaube, daß Kunst die Aufgabe hat, die Menschen durch Kommunikation in die Lage zu versetzen, aus sich herauszugehen, sich den anderen mitzuteilen.

Dazu scheint mir die komische Oper besonders geeignet, weil sie die menschlichen Emotionen mit einer gewissen Distanz darstellt, gleichsam zwischen Gänsefüßchen setzt. Dadurch lehrt sie uns diese — paradoxerweise — besser begreifen. Der Zuschauer beziehungsweise -hörer wird nicht zur Identifizierung gezwungen, sondern erkennt die Emotion in ihrem wahren Wesen, ist eine Stufe höher gestiegen, lächelt darüber; vielleicht hat er auch sich selbst dadurch besser kennengelernt. Hier ist Ironie nicht Waffe, sondern Heilmittel. Darum komische Oper.

Die Musik in einem solchen Werk darf sich nicht aufs Komische beschränken, sondern muß dem Lyrischen wenigstens ebensoviel Platz einräumen. Sie allein ist fähig, die Echtheit und die Relativität einer Emotion gleichzeitig darzustellen. Deshalb komponiere ich belcanto. Belcanto ist unmittelbarer Ausdruck und Stilisierung zugleich.

Ich nehme weitgehend auf die Ausführenden Rücksicht. Aus zwei Gründen: erstens will ich nicht, daß die Anstrengung, der Kampf mit der Materie, ihnen die Lust an der Darstellung nimmt. Zweitens will ich, daß meine Musik so erklingt, wie sie gemeint ist, daß man sie ihrer Schwierigkeiten wegen nicht über Bord wirft, und Theater mit obligatem — und vom Komponisten gar nicht so gemeintem — Lärm spielt. Letzteres habe ich besonders häufig erlebt. Es graut mir davor und ich will es unbedingt vermeiden.

Ich bekenne mich zur Melodie, zur Form und zum Effekt, drei Grundbedingungen, um Kommunikation mit Qualität zu gewährleisten.

Ich bewundere die musikalische Form des Ensembles, weil es mir die Möglichkeit gibt, verschiedene Emotionen gleichzeitig darzustellen. Ich bewundere Mozart und Verdi, weil sie Ensembles schrieben, in denen aus dieser Möglichkeit Wirklichkeit wurde.

Ich finde, daß in der Oper das Visuelle und Auditive eine gleich große Rolle zu spielen haben, wobei es offengelassen sein soll, ob das eine oder das andere streckenweise überwiegt.

Ich bin kein Purist, was die stilistischen Mittel anbelangt. Wir haben einige Jahrtausende musikalische Vergangenheit hinter uns, ich sehe keinen Grund, mich vor ihr abzuschließen. Unbedingte Originalität der Sprache ist der Feind der Kommunikation. Sprache ist Übereinkommen. Musikalische Sprache auch.

Zuletzt sehe ich in der Komposition von Opern die einzige Möglichkeit für einen Komponisten zu leben und seinen Lebensunterhalt auch verdienen zu können. Ich will es versuchen und bin froh, daß mir zu diesem Versuch die Möglichkeit geboten wurde.

Ivan Eröd

DER LIBRETTIST:

Teile der Handlung wurden dem mittelalterlichen Volksbuch von König Rother entnommen, in welchem Gestalten und Ereignisse aus sechs Jahrhunderten mit Phantasie und Naivität unglaubwürdig gemacht werden; anderes kaum weniger Erstaunliches, wurde aus den registrierten Schätzen der Geschichte entliehen (etwa die Tatsachen, daß germanische Hünen in Byzanz als Leibwache des Kaisers dienten, daß einem persischen König eine Dame unadligen Blutes als byzantinische Prinzessin zugeführt wurde, daß ein Brautwerber westlicher Kaiser abgewiesen wurde, obwohl er eine Wasserohr als Werbegabe überbrachte, daß dagegen der Fliederstrauch aus Byzanz nach Europa kam und die Seidenraupen aus dem Osten nach Byzanz und vieles andere), einiges ist auch — zugegebenermaßen — erfunden und erlogen; das Ganze jedenfalls ist durchaus vergangen und unwiederholbar und hat mit dem Leben unserer Tage nur das gemeinsam, wovon behauptet wird, es sei nicht zu ändern.

Richard Bietschacher

DER KRITIKER:

Einer der Hauptgründe für , die Krise der zeitgenössischen Oper ist der Mangel an geeigneten Textbüchern. Talentierte und tatendurstige Komponisten suchen jahrelang nach einem Libretto — und entscheiden sich dann zu guter Letzt oft für etwas gänzlich Unbrauchbares. In dieser Hinsicht hatte Ivan Eröd Glück. Sein Freund Richard Blet- schacher — Literat, Dramaturg und Regisseur, also ein gebildeter Praktiker des Opernbetriebes — hat ihm ein sehr reizvolles, kluges und gut komponierbares Buch geschrieben, das den einzigen Nachteil hat, um etwa eine halbe Stünde zu lang zu sein.

Im Mittelpunkt dieser „byzantinischen Legende“ in fünf Bildern mit Vor- und Nachspiel steht der große, aber schwache und resignierende Kaiser Konstantin, seine schöne Tochter Oda und deren kühner Freier, der junge langobardische König Rothar. Sein Konkurrent ist der grimmige Ymelot, König von Babylon — der in der Oper ein schauderhaftes, speziell für ihn und die Seinen erfundenes Kauderwelsch redet, brüllt und singt. Er bedroht Kaiser Konstantin mit Krieg und mit dem Einsammeln der kostbaren Seidenraupen (daher der skurrile Titel der Oper), die Kaiser Konstantin einst aus Babylonien herausschmuggeln ließ. Zwar gelingt es Rothar, den Erbfeind gefesselt vorzuführen, aber er wird von Konstantin zusammen mit seinem Nebenbuhler eingesperrt. Zum Schluß befreien Oda und ihre Zofe Mamella König Rothar und seinen Gesandten. Sie fliehen auf einem Schiff; zurück bleibt Konstantin, zu schwach zum Zürnen, der von seinem Reich sagt: „Byzanz wird nicht zerfallen, denn es zerfällt schon seit vielen hundert Jahren. Es ist das seine Art zu überdauern.“

Ivan Eröd hat, seinem oben abgedruckten Bekenntnis entsprechend, zu dieser Handlung eine Musik geschrieben, die von zwölftönig geführten Kantilenen über verschiedenerlei Parodien bis zu Anklängen an Straussens „Ariadne“ recht konträre Stilelemente umfaßt. Aber er hat alles unter einen recht eleganten und gutsitzenden Hut gebracht, er versteht es, sowohl für Solostimme (brillant!) wie für Chor und Orchester zu schreiben, ja es gelingen ihm sogar mehrere dramatische Ensembles (ein Rarissimum in der heutigen Opernproduktion). Die umfang reiche Partitur ist, wie die byzantinischen Mosaiken, aus kleinen, genau zugeschliffenen Teilchen zusammengesetzt, die ein harmonisches Ganzes ergeben. Außerdem hat Eröd originelle Einfälle, Witz und Phantasie — womit er sein Publikum gut (und nie auf billige Weise) zu unterhalten versteht. — Hätte er vor der Aufführung sich zu einer Kürzung von 20 bis 30 Minuten entschließen können und einen Regisseur vom Format etwa Günther Rennerts gehabt: der Erfolg wäre ein noch größerer gewesen.

Die Wiener Kritik hat auf diese neue Oper, die entdeckt und herausgebracht zu haben das Verdienst des Festwochenintendanten Ulrich Baumgartner ist — recht humorlos reagiert. Mit Ausnahmen, versteht sich. Den jüngeren Kritikern ist Eröd zuwenig „modern“ und nicht konzessionslos genug. Aber nachdem wir während der letzten Jahre andernorts ein gutes halbes Dutzend Ur- Derniėren zeitgenössischer Werke erlebt haben, die mehr einem System als den Erfordernissen der Bühne und der menschlichen Stimme huldigten, treten wir für Eröd und seine „Konzessionen“ ein. — Die praktikablen Bühnenbilder von Schneider-Manns-Au fanden wir mäßig, die Kostüme Ursula Schäfflers nett, die Regie des Textautors Bietschacher wenig inspiriert. Dagegen machte der Dirigent Gerd Albrecht, obwohl bei der Premiere nicht jeder Choreinsatz klappte, einen vorzüglichen Eindruck. Exemplarisch war die Besetzung der zum Teil recht anspruchsvollen (aber dankbaren) Partien. Ein gemeinsamer Kranz gebührt dem jungen Liebespaar Oda-Rother: der anmutigen, schönsingenden Jeanette Pilou und dem schlanken blonden Frans van Daalen. Hervorragend auch Tomislav Neralic als Kaiser Konstantin und Oskar Czerwenka als grimmiger Ymelot. In den übrigen Rollen: Marta Szirmay, Kurt Wehofschitz, Helmut Melchert, Frederick Guthrie, Nikolaus Simkow- sky und Andrew Foldi. Wie in den vergangenen Jahren bewährten sich glänzend als Opernorchester die Wiener Symphoniker.

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