Missglückte Jam-Session

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Es gibt Theaterabende, an denen man sich ziemlich alt vorkommt. Die mit Spannung erwartete Uraufführung des neuen Theatertextes des aus dem Kongo stammenden und seit zehn Jahren in Graz lebenden Autors Fiston Mwanza Mujila war so ein Abend. Die Erwartungen, die der von der französischen Kritik gefeierte und mit Auszeichnungen und Preisen bedachte Erstlingsroman "Tram 83" von 2015 geweckt hatte, wurden weitgehend enttäuscht. Das hat aber nur zum Teil mit dem Text zu tun, den der Autor zum ersten Mal auf Deutsch geschrieben hat und mit dem er an die experimentelle Form von "Tram 83" anschließt. Dort nämlich hat er das Wagnis unternommen, "einen Roman zu schreiben, ohne einen Roman zu schreiben", was so zu interpretieren ist, dass statt der Handlung die Sprache, ihr Klang und Rhythmus sowie ihr Assoziationspotenzial im Vordergrund stehen. In "Zu der Zeit der Königinmutter" verhält es sich ganz ähnlich, denn das Stück ist eigentlich keines, was ja auch nicht weiter schlimm wäre, denn dafür gibt es ja die Regie. Aber genau da liegt der Hund begraben: Philipp Hauß nämlich weiß mit dem hochmusikalischen, verdichteten Text wenig anzufangen.

Barbewohner und Bärenkostüme

Auch thematisch schließt "Zu der Zeit der Königinmutter" an den Roman an, spielt er doch im gleichen Milieu. Wie bei diesem ist der Handlungsort des Stücks ebenfalls eine Bordellkneipe, die hier New-Jersey-Bar heißt. Im Roman ist das Tram 83 ein wüster, aus den Fugen geratener Ort, wo gesoffen, gespielt, geprügelt und gehurt wird, wo "Kücken" genannte, minderjährige Prostituierte Barbesuchern für schnellen Sex zur Verfügung stehen und draußen vor dem Lokal gegrillte Ratten und Hundekeule an Senfsauce dargeboten werden. Mit "Tram 83" entwarf Mujila einen verdichteten, allegorischen Mikrokosmos des postkolonialen Kongo, wo dessen unendliche Reichtümer einerseits und die vitalen Rohstoffinteressen der Industrienationen andererseits stete Nahrung für Krieg und Korruption bieten.

Worum es Mujila im Stück geht, was sich ereignet, ist nicht leicht zu sagen. Denn es mangelt an einem thematischen Kern, einem Plot oder einer Entwicklung. Immerhin dies Wenige kann gesagt werden: Die Hauptakteure sind die "Bewohner" des New-Jersey, auf dem seit der (verklärten) Zeit der Königinmutter ein Fluch lastet. Dazu gehören der undurchsichtige Barbetreiber (Markus Hering, mit Fatsuit und Perücke), eine dreiköpfige Band -Saxophon (Patrick Dunst), Gitarre (Elena Todorova), Schlagzeug (Christian Pollheimer) - und zwei adrett gekleidete Crossdresser (Sven Dolinski, Simon Jensen), die ganz aus dem Häuschen geraten, als ein schöner Fremder in glänzenden Lackschuhen (Mirco Kreibich) die Bar betritt. Schließlich ist da noch die Figur, die Gertraud Jesserer verkörpert, die meist auf einem der Lautsprecher sitzt, am Ende wenigstens aber die sonderbare Geschichte der Königinmutter erzählen darf, der bewunderten, weitgereisten "außergewöhnlichen" Frau, die es geschafft hat, dem Kaff zu entkommen, die ihren eigenen Tod voraussah und -als es soweit war -"mit dem Messer im Bauch, lächelte und starb". Ach ja, ganz rechts auf der von Katrin Brack einmal mehr minimalistisch gestalteten Bühne, die aus sechs verschiedenfarbigen Vorhängen besteht, die einen ein wenig an die Schalen einer Zwiebel denken lassen, sitzt da noch ein Komparse im Bärenkostüm. In das Geschehen greift er nie ein.

Mythische Erzählungen

"Zu der Zeit der Königinmutter" hat kaum wirkliche Dialoge, sondern besteht aus einer Ansammlung von mythischen Geschichten. Da gibt es beispielsweise die vom König, der nicht schlafen kann, oder die von Jakob, der zu einer menschenfressenden Schlange mutiert, oder die Geschichte von Solo, dem Lehmjungen, der, weil er nicht auf die Eltern hört, in den Regen gerät, zerfließt und einen grausamen Tod stirbt, "mit einem Loch im Gesicht, wie die Ruinenlandschaft Aleppos".

Dabei achtete Mujila beim Schreiben offenbar vor allem auf die musikalische Qualität des Textes. Er spielt -wie der Jazzmusiker, der Mujila ursprünglich werden wollte -mit Rhythmus, Alliteration, Wiederholung, Variation und Ähnlichkeit. Eine Regie, die den Mut gehabt hätte, den anspielungs- und assoziationsreichen Text auf Augenhöhe zu inszenieren, wäre wünschenswert gewesen. So bleiben wir allein im Theatersaal zurück, ratlos.

Zu der Zeit der Königinmutter Akademietheater, 3. und 27. März 2019

Eine Regie, die den Mut gehabt hätte, den anspielungs-und assoziationsreichen Text auf Augenhöhe zu inszenieren, wäre wünschenswert gewesen.

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