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Mysterienspiel und spanische Tanze

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Der Schweizer Komponist Frank Martin, der am 15. September dieses Jahres seinen 70. Geburtstag feiern wird, schrieb sein abendfüllendes Oratorium „L e mystere-de 1 a n a t i v i t e“ im Auftrag des Genfer Radios, wo das Werk am letzten Weihnachtsabend uraufgeführt wurde. Zahlreiche ausländische Sender waren angeschlossen, unter ihnen auch der Österreichische Rundfunk. Überdies hat die „Furche“ dem Werk Martins in ihrer fünften Folge, i960, eine Sonderseite gewidmet, die wir nachzuschlagen bitten. Im folgenden soll daher hauptsächlich .von der szenischen Realisierung dieses Mysterienspiels im Neuen Salzburger Festspielhaus berichtet werden, das sich jetzt erst als das erwies, was seine Existenz voll rechtfertigt: als ein Haus, eine Bühne des großen Welttheaters, von dem schöpferische Impulse auf Dichter, Komponisten, Dramaturgen, Regisseure und Bühnenbildner ausgehen können. Die Aufführung von Martins neuem Werk (nach einem aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammenden „Mystere de la Passion“, das den Maitre de la Chapelle von Notre-Dame, Arnoul Greban, zum Autor hat) war ein vielversprechender Anfang, durch den die neue Salzburger Bühne erst ihre richtige Weihe empfangen hat.

Die Handlung — von der Verkündigung bis zur Darbringung im Tempel — spielt auf drei Ebenen: im Himmel, auf der Erde und in der Hölle. Die mittlere Ebene hat vier Schauplätze: das Haus Josephs, den Stall von Bethlehem, das Haus der Elisabeth und den Tempel. Hier gestattete die 30 Meter breite Bühne nicht nur vier simultane Schauplätze, wie sie auch

Der Komponist Frank Martin Zeichnung von Bernhard Leitner im Mittelalter üblich waren, sondern es war auch genügend freier Raum zwischen den einzelnen „Stationen“ vorhanden, so daß sich die Schauspieler frei von einem Ort zum andern bewegen konnten.

Frank Martin wollte auf dei Bühne keine „Verfremdung“, keine Abstraktion, sondern eine dem anmutig-naiven mittelalterlichen Text angepaßte und von zeitgenössischen Bildwerken inspirierte Inszenierung. Diesen Intentionen versuchten der Bühnenbildner Helmut Jürgens, die Kostümzeichnerin Anni Keim-Strauss uiid die Spielleiterin Margarethe Wallmann zu folgen: Der Himmel zeigte, in bläuliche Lichtschleier gehüllt, edles goldenes Maßwerk, in dessen Mittelpunkt Gottvater in wallendem Gewand thronte, während die Engelschar nach dem Vorbild alter Meister gewandet war; Maria trug das traditionelle blaue fließende Gewand, die Könige aus dem Morgenland erschienen in orientalischen Prunkkostümen, die vier Handlungsorte auf der mittleren Ebene waren deutlich erkennbar und wurden jeweils durch Scheinwerfer hervorgehoben, und die Teufel krochen wie Gewürm aus der Erde hervor und benahmen sich durchaus teuflich-unordentlich und abschreckend ...

Frank Martins Musik ist von jener Einfachheit, die ein Kennzeichen des abgeklärten Altersstils ist. Dies bezieht sich vor allem auf den zuweilen fast volksliedhaft einfachen melodischen Duktus, während sich der Komponist in dieser Partitur der verschiedensten, freilich nie komplizierten Formen bedient. Für die obere Sphäre, den Himmel, verwendet Martin meist gregorianisch stilisierte Melodien und reine Harmonien, die Sphäre des Irdischen, die den weitaus breitesten Raum einnimmt, ist in seiner bekannten chromatisierenden Tonsprache illustriert, während es bei den Teufeln betont turbulent und dissonant zugeht. Aber diese „Töne“ liegen Martin am wenigsten, hier mußte er sich offensichtlich Gewalt antun... Mit Ausnahme der großen Chorsätze und der Schlußszene, eines allgemeinen Lobgesangs, bedient sich der Komponist fast durchgehend eines feinen, kammermusikalischen Stils, welcher der Einfachheit de Texte und der Würde des Gegenstandes mehr angemessen ist als Theaterdonner.

Die Aufführung dieses Werkes erfordert nicht nur einen großen szenischen Aufwand, sondern auch ein gewaltiges Ensemble von Mitwirkenden: neun Solisten,einen kleinen Engelchor (der bei der Salzburger Aufführung etwa 40 Personen umfaßte), einen kleinen Männerchor für die Höllenszenen und einen großen, 90 Personen starken gemischten Chor, der, in graue Gewänder gehüllt, auf den beiden seitwärts in den Zuschauerraum hereinragenden Vorderbühnen effektvoll placiert war.

Von den zwei Dutzend Solisten, die bei der Salzburger Aufführung mitwirkten (Martin sieht nur neun in mehreren Rollen vor), seien Theresa Stich-Randail als Maria, Otto Wiener — Joseph, Regina Reznik — Elisabeth, Frederick Guthrie — Simeon, ferner Günther Wilhelm, Waldemar Kmentt, Ludwig Welter, Gerhard Stolze und Murray Dickie genannt. Als Opernorchester fungierten die Berliner Philharmoniker, die unter Heinz W a 11 b e r g s Leitung die Martinsche Musik mit vollendeter Präzision, Feinheit und Klangschönheit musizierten, so daß der minutenlange Applaus, den sie vor Beginn des zweiten Teils erhielten, wohlverdient war. Der Dirigent Heinz Wallberg aber hat in der Koordinierung des Riesenensembles, das ihn auch vor ganz spezielle akustische Probleme stellte, eine Meisterleistung vollbracht. *

Das Berliner Orchester konnte man kurz darnach noch einmal in einem Konzert bewundern, auf dessen Programm ausschließlich österreichische Musik stand: Schuberts Ouvertüre zu „R o s a m u n d e“, Alban Bergs Violinkonzert (mit dem hervorragenden jungen französischen Geiger Christian Ferras als Solisten) und Bruckners IX. Symphonie als Abschluß. Unter loseph Keilberths Leitung zeigten die Berliner Philharmoniker hohe Klangkultur und eine bemerkenswerte Einfühlung in den Stil dreier so verschiedener Werke. In ihrer technischen Perfektion waren die Berliner auch der empfindlichen Akustik des neuen Hauses voll gewachsen.

Ihren Liederabend hatte Elisabeth Schwarzkopf ausschließlich dem Genius Franz Schuberts gewidmet. Diese große Künstlerin, die wir erst vor kurzem als Meisterinterpretin von Hugo Wolf bewundern konnten, ist von Natur keine Schubert-Sängerin. Aber sie versteht es, soweit das überhaupt möglich ist, Natur durch Kunst zu ersetzen. Sie rückt alle Details in hellstes Licht und bringt alles so originell und interessant, daß man wohlbekannte Lieder gleichsam wie zum erstenmal hört und weniger gefätffige“(Wre 'etwa tÄrife Arie äti^MWa'stasiby“,',Di^ done“ oder „Der Einsame“) mit Freude und Gewinn zufftfennfiMs tiSfintt.'Ihr*Begleitet'iffi'TIugeTw'är cieT feine und sensible Gerald Moore.

Zu Beginn der Festspiele wurde die Frage lebhaft diskutiert, ob es richtig und für Salzburg repräsentativ genug war, für die Ballettvorführungen ein Volkstanzensemble zu engagieren. Aber Luisillo und seine spanische Truppe sind doch mehr und haben, auch was die Sujets betrifft, einen höheren Ehrgeiz. So gab es, in den sieben Stücken des zweiten Programms, nicht nur Aneinanderreihungen der bekannten und typischen spanischen Volkstänze (die von dn schlanken, rassigen Männern und den schönen, anmutigen Tänzerinnen mit Eleganz und Bravour ausgeführt wurden), sondern auch „Handlungsballette“ zum Beispiel „Der Blinde“ auf eine Musik von loaquin Turina, die sowohl von der Choreographie her wie in der Ausführung durchaus auch höheren Ansprüchen, wie man sie an den Kunsttanz zu stellen berechtigt ist, genügen konnten. Alles ist freilich „spanisch“ stilisiert. Aber diese „Note“ — denken wir nur an Calderon! — paßt ja durchaus ins Salzburger Konzert. Helmut A. Fiechtner

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