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Neue Katerina und Violetta

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Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensks“ wurde am 22. Jänner 1934 in Leningrad urauf- geführt und vom Komponisten, nach den drei Jahre später erfolgenden heftigen kulturpolitischen Angriffen der sowjetischen Parteipresse, bearbeitet und gemildert. In dieser Gestalt, mit dem neuen Titel „Katerina Ismailowa“, lernten wir das interessante und eindrucksvolle Werk anläßlich seiner Erstaufführung durch die Wiener Staatsoper am 12. Februar 1965 kennen und haben es an dieser Stelle („Furche“, Nr. 6/1965) ausführlich besprochen.

Nachdem die Inszenierung Karl Jerneks mit den Bühnenbildern Oldrich Simačeks nach zehn Aufführungen drei Jahre lang geruht hat, wurde das Werk jetzt neu einstudiert und hat keineswegs nur durch die Neubesetzung der Hauptpartien sehr gewonnen. Es verstärkt sich nämlich beim Wiederhören der Eindruck einer von dramatischem Impetus erfüllten Musik: Einer von Vorbildern fast gänzlich freien Tonsprache, der plastischen Gestaltung der einzelnen Partien und zahlreicher genialischer Einzelheiten einer Partitur, die von einem Sechsundzwanzigjährigen geschrieben wurde. Gewisse Kraßheiten und Brutaleffekte der Musik entsprechen durchaus der Handlung nach einer Novelle Nikolaj Ljeskows. (Daß es auf dem Lande nicht nur und stets idyllisch zugeht, wissen wir aus den Stücken Anzengrubers und Schönherrs genauso gut wie die Russen aus den Werken ihrer „klassischen“ Autoren. Aber zu einem bestimmten Zeitpunkt wollte man das alles nicht mehr wahrhaben...)

Es hat sich gelohnt, für die Titelheldin Katerina Ismailowa eine der größten und faszinierendsten Sänger-Schauspielerinnen, die die deutschsprachige Bühne gegenwärtig besitzt, einzusetzen: Inge Borkh, die, verführerisch und dämonisch, stimmlich großartig in Form war. Sie beherrscht durchaus die Bühne, ihren schönsingenden Liebhaber Sergej (Fritz Uhl) und ihren nur eine kärgliche Partie absolvierenden Mann Sinowij Ismailow (Anton Der- mota, der immer noch unser bester Belcantist ist!). Großartig auch der 71jährige Paul Schäffler als alter Boris Ismailow, der als erster der schönen Lady Macbeth auf dem Land zum Opfer fällt, die durch Inge

Borkh Züge von geradezu antiki- scher Größe erhält. Eine angenehme Überraschung: Der nur von einem kurzen Operngastspiel bekannte Dirigent Serge Baudo, der die Partitur Schostakowitschs mit Elan und Genauigkeit realisierte. Er und das

Orchester der Philharmoniker erhielten mit Recht Sonderbeifall.

In die „Traviata“ der Wiener Staatsoper ein wenig Glanz zu bringen, ist keine kleine Aufgabe. Wir sahen vor nicht allzulanger Zeit eine modernisierte „Traviata“ in der Pariser Großen Oper. Dieser Versuch war so mißglückt, daß man sich sagte: also dann lieber auf die konventionelle Tour. Aber das, was Lila de Nobili — Bühnenbild, Mario Frigerio — Regie und Luciana Novar o der Wiener Staatsoper seinerzeit als Neuinszenierung verkauft haben, liegt unter dem langjährigen Durchschnitt und ist häßlich und verstaubt. — Trotzdem herrschte am vergangenen Montag abend im Großen Haus fast Feststimmung. Eine der anmutigsten und beliebtesten deutschen Sängerinnen, Anneliese Rothenberger, beging ihr Rollendebüt als Violetta, die ihr keineswegs auf den Leib geschrieben ist. Und so spielte sie mehr eine junge Dame, ein Mädchen noch fast, aus gutem Haus, das in merkwürdige und tragische Verhältnisse geraten ist, als eine Lebedame am Ende ihrer bewegten Laufbahn. Aber sie spielte alles mit schönem Ernst und mit Hingabe an die Partie, die eine der anspruchsvollsten, schwierigsten und differenziertesten ist, die Verdi geschrieben hat. Denn was steckt alles in dieser zwielichtigen Heldin? Leidenschaft und Leichtsinn, Edelmut und Entsagungskraft, Mondänes mit dem Reiz des Morbiden und vieles andere mehr. Fast alle Darstellerinnen sind da überfordert...

Anneliese Rothenberger besitzt eine wohigeschulte, schöne, in ihrem Charakter „deutsche“ Stimme, die nicht von vornherein zum Beicanto bestimmt ist. (Eine Nur-Koloratur- sängerin hätte jedoch viel weniger befriedigt.) — Sie hatte einen spielgewandten und stimmprächtigen Partner: Alfredo Kraus, der dem Alfred die theaterwirksamen Züge des eifersüchtigen Liebhabers gab und diesen zwar konventionell, wenn auch mit Feuer, spielte. Eine fast ideale Besetzung: Eberhard Wächter als Vater Germont. — Keinen Wunsch offen lassend: Argeo Quadri am Pult und die Philharmoniker, die diese feinste, lyrischeste Partitur Verdis mit geradezu betörendem Wohlklang Wiedergaben.

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