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Oper und Ballett aus Ost-Berlin

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Das Volksstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ hat Brecht während seines Exils in Finnland nach einer autochthonen Vorlage geschrieben. Demonstriert werden soll der Bankrott des Versuches, die Klassen zu mischen. Zwar wird der Gutsbesitzer Puntila „menschlich“, wenn er betrunken ist (was bei ihm oft genug vorkommt), aber er bleibt — für Brecht — auch dann was er ist: ein Ausbeuter und Kapitalist. Daher kehrt der klassenbewußte Chauffeur im letzten der zwölf Bilder seinem Herrn den Rücken. — Das gut gemachte Stück mit der handfesten Moral ist unterhaltsam zu lesen und ging nach seiner Zürcher Premiere im Jahre 1948 und nach der Modellaufführung durch das neugegründete „Berliner Ensemble“ im Jahr darauf über viele Bühnen.

Unmittelbar nach Brechts Tod hat der ostdeutsche Komponist Paul Dessau daraus die Oper „Puntila" gemacht, deren Partitur in den Jahren 1956 bis 1959 entstanden ist. „Angestrebt habe ich“, sagt Dessau, „das Wesentliche im Klang auszusagen, der hier Ausdruck einer gesellschaftlichen Kategorie wird. Auch lag mir daran, dem Hörer durch ein heiteres Werk den Ernst des Klassenkampfes deutlich zu machen.“ Letzteres ist ohne Zweifel Bert Brecht, aber keineswegs Paul Dessau gelungen. Denn seine Musik, die in ihrer komplizierten freitonalen Faktur oft an Bergs „Wozzeck“ denken läßt — obwohl aus völlig anderen Quellen fließend und andere Emotionen wiederspiegelnd — ist für eine echte Volksoper viel zu trocken, kompliziert und humorlos. An Kurt Weill — und was unter seiner Hand aus diesem Stück geworden wäre — darf man dabei gar nicht denken. (Wahrscheinlich hätte er nur ein paar Songs komponiert und die „Veroperung“ bleiben lassen; denn Brecht, der raffinierterfahrene Theaterpraktiker, wußte sehr genau, welche Art von Texten er für einen Komponisten zu schreiben hatte und was ein selbständiges Theaterstück ist…)

Die Deutsche Staatsoper Berlin hat im Theater an der Wien eine exemplarische Aufführung des Werkes von Brecht und Dessau gezeigt. Die drei Protagonisten Reiner Süss als Puntila, Kurt Rehm als Matti und Irmgard Arnold als Eva Puntila, die Matti trotz ihrer Mitgift nicht haben witlįi1dii& vier Bräute-“' PüritiläS’ ’find' weitete’zwei 'Datoend-' hÜriientlfch' genannte Mitwirkende demonstrierten ein Ensemblespiel, wie man es nur von den allerbesten ausländischen Kompagnien kennt. Exemplarisch war freilich auch die proletarische Häßlichkeit der ganzen Produktion unter der Regie von Ruth Berghaus und der musikalischen Leitung Otmar Suitners. Vortrefflich und einprägsam: die kargen Bühnenbilder von Andreas Reinhardt, deren transparente Magerkeit vollkommen mit dem Text, seiner Tendenz und der Musik Dessaus harmonierte. Sie standen zwei Stunden lang in strahlend hellem Licht — eine wahre Wohltat nach den Verdunkelungsübungen, wie sie die meisten zeitgenössischen Opernregisseure seit zwei Jahrzehnten zur Plage des Publikums betreiben. — Dieses zeigte sich den Berliner Gästen gegenüber überaus wohlwollend, und in der Tat hat jeder einzelne Mitwirkende und das Ensemble als Ganzes, einschließlich Orchester und technischem Apparat, den langanhaltenden Beifall verdient.

„Wie man etwas wird im Leben ohne sich anzustrengen“ war der Titel eines etwas dümmlichen amerikanischen Musicals im Theater an der Wien. Wie man einen Ballettabend machen kann, ohne mindestens ein halbes Dutzend Koryphäen und das Corps de Ballet tänzerischvirtuos einzusetzen, zeigten uns an ihrem zweiten Premierenabend gleichfalls die Berliner. Man begann mit dem berühmten, 1923 in Paris durch die „Ballets Suėdois“ uraufgeführten „Ballet negre in einem Akt“, das Blaise Cendrars nach einem Negermärchen und zu dem Darius Milhaudeine damals schockierend moderne Musik geschrieben hat, die zum erstenmal Urwaldrhythmen und Jazzelemente integriert. — Grita Krätke hält sich als Choreographin an den Handlungsablauf von „La creation du monde":Die Erschaffung der Tiere und des ersten Menschenpaares unter Assistenz der (prächtig kostümierten) drei Elemente Feuer, Wasser und Luft. Den Eindruck des Exotisch-Prunkvollen verstärken auch die Projektionen Christoph Heiducks und die Kostüme Christine Strombergs. Aber zu tänzerischer Entfaltung kommt es kaum. Das ist schade, denn die beiden Schlangen und das erste Menschenpaar (Ilse Hurtig und Hannes Vohrer) waren wirklich hübsch anzuschauen. Ihre erste Vereinigung stand ganz im Zeichen Bėjarts, sozusagen ein „Sacre de poche“…

Werner Egks amüsant-frivole „Tentation de Saint Antoine“ nach Chansons und Gedichten des achtzehnten Jahrhunderts wurde durch die unbeholfen-illustrative Choreographie Grita Krätkes und die Inszenierung Werner Kelchs in eine ziemlich langweilige Sache verwandelt. Es geschah mit Einwilligung des Komponisten. Tant pis, kann man da nur sagen. Und zu tanzen gab es auch hier nichts, oder fast nichts. Dagegen konnte man sich an einer schönen Altstimme und dem intelligenten Vortrag der frechen Liederchen durch Annelies Burmeister erfreuen; desgleichen an der präzisen Ausführung der Musik für Streichquartett und Streichorchester unter der Leitung Von Heinz Rögner.

Der Clou des Abends — und des ganzen Gastspiels der Berliner Staatsoper — war das Ballett mit Gesang in sieben Teilen „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, die letzte gemeinsame Arbeit von Brecht und Weill, die 1933 in Paris uraufgeführt wurde und 30 Jahre später durch eine PHILIPS-Langspielplatte bekanntgeworden ist. Szenisch sahen wir das interessante, aggressive und unterhaltsame Stück jetzt im Theater an der Wien zum erstenmal. Es ist die Geschichte der beiden Schwestern Anna I und Anna II aus den Südstaaten, die sieben Jahre lang durch die großen Städte Nordamerikas ziehen, um sich das Geld für ein kleines Haus in Louisiana zu verdienen. Zu Hause wartet die Familie, musikalisch dargestellt durch ein ergreifend schön singendes (parodistisches) Männerchorquartett. Anna I, die Handlung lenkend und kommentierend, ist die berühmte Brecht- Weill-Interpretin Gisela May, die durchaus die Bühne beherrscht. Ilse Hurtig liebt und leidet sich sehr geschickt und wandlungsfähig durch die sieben Szenen — nur als Tänzerin kommt sie wenig zur Geltung. — Die Inszenierung dieses schwierigen Werkes durch Grita Krätke kann als bestens gelungen bezeichnet werden, ebenso die Bühnenbilder Paul Pilowskis und die Kostüme Christine Strombergs. Die Interpretation sämtlicher Haupt- und Nebenrollen, der Gesangspartien und des Orchesterparts unter der Leitung von Werner Stolze war exzellent. So endete der Ballettabend mit einem schönen Erfolg für die Berliner Gäste.

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