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Psychologie und Mythos

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Nach Wieland Wagners Tod am 17. Oktober 1966 brachten wir in der „Furche“ einen Nachruf, der mit den folgenden Sätzen schloß: „Der Verlust für Bayreuth, für die großen Opernhäuser der ganzen Welt und für die Kultur im allgemeinen kann heute noch gar nicht abgeschätzt werden. Denn er war nicht nur ein Regisseur und ein Bühnenbildner von ausgeprägter Originalität, sondern auch ein Künstler, ein Schöpfer, eine kreative Persönlichkeit, wie es in unserer Zeit ganz wenige gibt.“ Aber erst die Jahre seither haben uns die ganze Schwere dieses Verlustes zum Bewußtsein gebracht, und das große Buch aus der Feder des Generalintendanten der Württembergischen Staatstheater, Professor Walter Erich Schäfer, mit seinem umfangreichen Bilderteil gibt uns eine lebendige, wenn auch Wicht endgültige Darstellung von Wieland Wagners Persönlichkeit und Leistung.

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Nach Wieland Wagners Tod am 17. Oktober 1966 brachten wir in der „Furche“ einen Nachruf, der mit den folgenden Sätzen schloß: „Der Verlust für Bayreuth, für die großen Opernhäuser der ganzen Welt und für die Kultur im allgemeinen kann heute noch gar nicht abgeschätzt werden. Denn er war nicht nur ein Regisseur und ein Bühnenbildner von ausgeprägter Originalität, sondern auch ein Künstler, ein Schöpfer, eine kreative Persönlichkeit, wie es in unserer Zeit ganz wenige gibt.“ Aber erst die Jahre seither haben uns die ganze Schwere dieses Verlustes zum Bewußtsein gebracht, und das große Buch aus der Feder des Generalintendanten der Württembergischen Staatstheater, Professor Walter Erich Schäfer, mit seinem umfangreichen Bilderteil gibt uns eine lebendige, wenn auch Wicht endgültige Darstellung von Wieland Wagners Persönlichkeit und Leistung.

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Professor Schäfer war hierzu berufen wie kaum ein anderer, wenn wir von Wielands um zwei Jahre jüngeren Bruder und Mitarbeiter Wolfgang absehen, der für das Buch ein kurzes Vorwort geschrieben hat. Er war es auch, der dem Autor die Bayreuther Archive bereitwillig geöffnet hat, und über 16 Inszenierungen, die Wieland Wagner in Stuttgart herausbrachte, weiß der Theatermann Walter Erich Schäfer als Hausherr und tätig Engagierter wirklich Authentisches zu berichten. Um das, was Wieland Wagner als Mensch und als Künstler geleistet hat, voll zu würdigen, muß man sich die Umwelt und die Verhältnisse, in denen er aufwuchs, kurz vergegenwärtigen. Bereits um die Jahrhundertwende war Bayreuth erstarrt in seiner eigenen Tradition. Nicht nur über Wahnfried, sondern auch über dem Festspielhaus wehte der schwarze Witwenschleier: erst der Cosimas, dann der Winifreds. — Wieland Wagner wurde 1917 geboren. Im Jahr 1930 starben sein Vater Siegfried und seine Großmutter. Darnach kam Windfred an die Macht — und bald darnach im Deutschen Reich auch einige andere, die neuen Herren des Neuen Deutschland, die in Haus Wahnfried ein und ausgingen. Unmittelbar vor dem Elternhaus, im Garten, lag der große Tote, stets gegenwärtig. Dies alles zusammen mag in dem jungen Menschen einen inneren Protest ausgelöst haben, der wahrscheinlich, wäre er nicht so fruchtbringend auf künstlerischer Ebene ausgetragen worden, mit der Zeit einen Komplex gezeitigt hätte.

Die ersten „Fingerübungen“, die Wieland Wagner als Bühnenbildner und Regisseur, noch während des Krieges, in Altenburg, Lübeck und Köln machte, sind von geringer Bedeutung. Von um so größerer ist eine freiwillige mehrjährige Klausur am Bodensee, in die sich Wieland Wagner im Jahr 1945 begab. Dort las und studierte er. Und zwar zunächst nicht Literatur von und über Richard Wagner, sondern die Werke von Sigmund Freud, Alfred Adler, C. G. Jung und — wahrscheinlich — auch Bachofen. Und die griechischen Klassiker — übrigens wie sein Großvater ... Hier holte er sich das Rüstzeug für die neue tiefenpsychologische, archetypische, mythische Deutung der Werke von Richard Wagner, und diese neue Interpretation wurde, gegenüber dem mehr Augenfälligen seines neuen Inszenierungsstiles, viel zuwenig beachtet. Als Dramatiker empfing Wieland Wagner die wichtigsten Anregungen nicht von den deutschen Klassikern und Romantikern, sondern fast ausschließlich von zeitgenössischen Franzosen: von Anouilh, von Giraudoua; und von Sartre. Von bildenden Künstlern beeindruckten ihn am meisten Paul Klee, Signac, Seurat und Matisse. Wie er, schon damals, zur Ornamentik des Jugendstils gefunden hat, die ja erst später große Mode wurde, ist noch nicht geklärt.

Was nun den Stil seines Bühnenbildes betrifft, so steht er weniger in der Tradition von Gordon Craig, Appia, Roller oder Pretorius, denen es vor allem auf Verfeinerung des Geschmacks ankam, sondern Wieland Wagner knüpft an den Expressionismus eines Reinhard Johannes Sorge, eines Hasenclever, Fritz von Unruh und Georg Kaiser an, deren wichtigste Werke, zumeist in Reinhardt-Inszenierungen, im Jahr seiner Geburt oder unmittelbar darnach herauskamen. Auch Emil Pir-tihan mit seiner Inszenierung der Hebbelschen Nibelungen mag man als einen der geistigen Väter Wieland Wagners gelten lassen. Vor allem aber muß an den Inszenierungsstil Jessners und des jungen Fehling erinnert werden, die zum erstenmal die Treppe und die Scheibe als wichtigstes Bauelement ihrer Bühne einsetzten.

Die „Entrümpelung“ der Bühne, wie man ein wenig respektlos Wieland Wagners Reduktionen nannte und die bis zu einem Manierismus der Kargheit führte, war nur ein äußeres Kennzeichen seiner Inszenierungen. Es ging ihm stets um Ausdruck, und zwar um Ausdruck des Wesentlichen. Und deshalb gab es für ihn auch keine Tabus, keine Kluft zwischen der Kunst von ehedem und dem Leben des Menschen von heute. Daß dabei sämtliche altgermanischen Antiquitäten, wie Bärenfelle und Vollbarte, Hifthörner, Höhlen und Eichen, geopfert werden mußten, versteht sich von selbst. Die Kulissen wurden auf das Notwendigste beschränkt. An ihre Stelle traten Projektionen und die berühmte „Lichtorgel“, die Wieland Wagner virtuos zu handhaben wußte.

1951 hat Wieland Wagner mit einer „Parsifal“-Inszenierung sein erstes Modell vorgestellt. In den knappen 15 Jahren, die ihm gegeben waren, hat er sämtliche Opern von Richard Wagner inszeniert, während der letzten Jahre auch immer häufiger Werke anderer Komponisten: Bergs „Wozzeck“ und „Lulu“, „Salome“ und „Elektra“ von Strauss, aber auch „Carmen“ und „Aida“. Eine Lücke in Schäfers Buch: von den beiden letztgenannten Inszenierungen finden wir leider keine Bilder. Die in dem Band gesammelten, zum Teil in Farben, stammen fast ausschließlich von dem Kunstphotographen Siegfried Lou-terwasser. Den Kommentar zu den Bayreuther Inszenierungen schrieb der damalige Assistent Prof. Schäfers, Dr. Franz Willnauer. — Im Beethoven-Jahr sei auch an die frühe Stuttgarter „Fidelio“-Interpretation durch Wieland Wagner erinnert, von der eine bekannte Kammersängerin sagte: „An dieser Inszenierung gefällt mir überhaupt nichts. Aber das Ganze ist großartig.“ Dieses Urteil ist charakteristisch für das ambivalente Verhältnis vieler Zeitgenossen zum Werk Wieland Wagners.

WIELAND WAGNER, Persönlichkeit und Leistung. Von Walter Erich Schäfer. Rainer-Wunderlich-Verlag. Hermann Leins, Tübingen. 302 Seiten. DM 68.—.

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