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Qual durch Hoffnung

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Daß der derzeitige Intendant der Grazer Oper ein Herz für das moderne Musiktheater hat, ist bekannt. Nun wurde hier nach der denkwürdigen Aufführung von Prokofieffs „Feurigem Engel“, der die Saison eröffnet hatte, neuerdings das zeitgenössische Opernschaffen in eindrucksvoller Weise gewürdigt. Vor 47 Jahren war dem heute 60jährigen Luigi Dallapiccola gelegentlich einer Aufführung des „Fliegenden Holländers“, die er auf dem Stehplatz des Grazer Opernhauses miterlebte, die, Berufung zum Komponisten bewußt geworden. Es ist eine sinnvolle Geste, daß Graz, welches seinerzeit (1955) den „Nachtflug“ herausgebracht hatte, nun zu des Meisters Geburtstag die erste szenische Aufführung des „Gefangenen“ in Österreich zeigte. Auf dem historischen Hintergrund des niederländischen Freiheitskampfes zeichnet die Handlung, die Dallapiccola der Erzählung „La tor-ture par l'esperance“ von Villiers de l'Isle Adam und dem „Ulenspiegel“ De Costers entnommen hat, das zeitlose Bild des „gefangenen“.Menschen, dem zu seinen Leiden noch die trügerische Hoffnung auf Freiheit als ärgste und letzte Qual auferlegt wird. Der Ver-tauschbarkeit der Begriffe von Gnade etwa und Tortur, von Freiheit und Tod oder der Gestalten des scheinbar mitleidvollen Kerkermeisters und des unerbittlichen Großinquisitors entspricht in der Musik die Vertauschbarkeit und Mehrdeutigkeit der Zwölftonreihen in Form von doppelbödigen Leitmotiven. Die knifflige und schwierige Konstruktion der Partitur aber tritt zurück hinter der Aussagekraft und der äußersten Gespanntheit dieser Musik. Graz hat die Freiheitsoper Dallapiccolas in bewundernswerter Weise auf der Bühne realisiert. Wolfram Skalickis suggestives Bühnenbild, Wolfgang Webers um stärkste Konzentration der Geste bemühte Regie und Gustav Czernvs hervorragende, alle Feinheiten der Partitur aufspürende musikalische Leitung sicherten dem Werk auch beim konservativen Grazer Publikum jenen Erfolg und jenen Widerhall, die es als e*ne der wesentlichen Leistungen des modernen Musiktheaters verdient. Der junge Bariton Hans Helm war in der Titelpartie sängerisch wie darstellerisch ein Ereisrnis.

Eindrucksvoll war auch die Aufführung der Zweipersonenoper „Herzog Blaubarts Burg“ von Bartök, die der von Dallapiccolas „Gefangenem“ voraufging. Der symbolistischen Handlung wäre allerdings ein weniger spartanisch-karges Bühnenbild besser angestanden. Die Wiedergabe wurde getragen von dem erregend, und nuancenreich gestalteten Orchesterpart (Gustav Cerny) und den ausgezeichneten Sängern Kunikazu Ohashi und Margit Kobeck.

Erwähnen wir noch — neben einer erfrischenden, von herzlicher Fröhlichkeit erfüllten Neuinszenierung des „Wildschütz“ durch Klaus Gmeiner (Dirigent Kojetinsky) mit dem köstlichen Singschauspieler Günter Adam als Baculus — die Neueinstudierung der „Meistersinger“:'. Wenngleich Skalickis Dekorationen eine nicht sehr bekömmliche Mischung aus Alt- und Neu-Bayreuth präsentierten, o gelang der Regie (Andre Diehl) doch eine hübsche, nicht zu konventionelle Zeichnung der Figuren. Berislav Klobu-car zeigte sich al mitreißender, begeisternder Animator am Pult, der es versteht, Sänger und Orchester zu der ihnen erreichbaren Höchstform zu führen. Der triumphale Mittelpunkt der neuen Grazer „Meistersinger“ aber' ist der Hans Sachs von Hubert Hoffmann, der heute bereits weltstädtisches Format besitzt und dank seiner Prächtstimme und seiner souveränen Darstellung bald in der vordersten Reihe der großen Interpreten dieser Partie stehen dürfte.

Da Grazer Schauspiel hat sich kurz vor der endgültigen Schließung der „Kammerspiele“ und vor der Ruhepause, die der Eröffnung de Schauspielhauses vorangeht, noeji einen interessanten Abend geleistet: Schnitzlers „Professor Bernhardi“ ist zwar überholt, was den konkreten Anlaß des Stückes betrifft. Unverändert geblieben aber sind die Auswüchse, die der Autor in seinem kämpferischen Stück geißelt — die Widerwärtigkeiten des politischen Lebens, die Intrigen und Verleumdungen, der Protektionismus und die Kollektivanschuldigungen nach dieser und jener Richtung. Die gut gelungene Grazer Aufführung (mit Hans Kräßnitzer in der Titelrolle) unterstrich die Zeitlosig-keit dieses politischen Sittenbilde aus den zehner Jahren.

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