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Raoul Aslan und das Burgtheater

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Als in Wien die Kunde vom Tode des Kronprinzen Rudolf von Mund zu Mund ging, soll in seiner ersten Bestürzung ein alter Hofrat einen Erzherzog gefragt haben, ob denn Österreich nun noch weiter bestehen könne. Und die k. und k. Hoheit soll dem alten, verzweifelten Herrn lächelnd zur Antwort gegeben haben: „Unser Österreich kann nicht sterben, weil es noch nie bestanden hat.“

Aus dem ewigen „Es war einmal“ und dem immer daneben bestehenden „So müßte es sein“ ist unser Burgtheater geworden, das heute erst recht, obwohl es als Haus gar nicht da ist, als ein höchster, man könnte sagen, als unser „Justaments-Kulturbegriff“ in unserem Dasein lebt. Es gibt, so sonderbar es klingen mag, tausende und aber tausende Wiener, die nie in ihrem Leben im Burgtheater-waren, jetzt aber den Wiederaufbau des zertrümmerten Hauses kaum erwarten können. „Glück wird aus Verlust geboren, ewig bleibt uns, was verloren.“ Hieher mag jetzt vielleicht dieser Spruch gehören und das Burgtheater mußte uns wohl auch erst verlorengehen, um uns nun ewig erhalten bleiben zu können.

Wer könnte den Tag vergessen, an dem die Schreckenskunde von Mund zu Mund flog: „Das Burgtheater brennt.“ Und auch heute noch, wenn wir das Ronachergebäude betreten, in dem nun unsere Burgschauspieler sein müssen, kommt immer noch wie ein Echo der Ruf an unser Ohr: „Das Burgtheater brennt!“ Und mancher Szene Spiel und manches Künstler Wort sehen und hören wir. wie durch Flammenröte durch, denn es brannte ja damals nicht nur eine Materie nieder, es ging ein Heiligtum in Rauch und Feuer auf. Ein Traum stand in Flammen, der keine Asche zurücklassen konnte und keine Ruine im tieferen Sinne des Begriffes „Burgtheater“!

Dies wußte keiner so gut wie Raoul Aslan, denn hätte er dies nicht, dann hätte er nicht mit einer solch, man möchte sagen: schlafwandlerischen Sicherheit die Leitung des Burgtheaters im Frühling 1945 in die Hand genommen, welches eigentlich gar nicht mehr da war. Das Haus war vernichtet, die Gemeinschaft der Schauspieler zerrissen, das Erbgut mehr als eines Jahrhunderts in Asche zerfallen, der Geist geschändet, aber der Traum, der ihm immer wieder ein Leben gab, der war da und wohnte hinter Aslans Stirne und erhielt uns das Burgtheater, das sich unter der Führung Raoul Aslans geborgen fühlen kann.

Es gehört schon einmal zur Eigenheit dieses so sonderbaren Gefüges, daß es kein Tummelplatz für Kämpfe sein darf, die von außen auf seine Bretter hereingetragen werden. Unser Burgtheater muß immer, wenn es seine Seele behalten will, das Wesen eines Gartens in sich haben, von dem der Gärtner das lernt, was ihm zum Gärtner macht, das Warten.

Wenn man heute wissen will, wie eigentlich Raoul Aslan Direktor des Burgtheaters wurde, weiß man darauf keine rechte Antwort zu geben, denn er hatte die Leitung dieses Burgtheaters ohne Burgtheater eigentlich schon immer, ehe er offiziell mit der Führung desselben betraut wurde. Sein ganzes Menschentum, seine ganze künstlerische Persönlichkeit und seine in ihm webende und au ihm strebende österreichische Art haben ihm eben dorthin berufen, wo er steht.

Ein Schicksal hatte ihn gerufen, aber nicht das seine, sondern das Schicksal des Burgtheaters griff nach ihm, dem Menschen und seiner Künstlerschaft. Und so müßte er, der nie im Traume daran dachte, Direktor des Burgtheaters zu werden, einfach aus Bestimmung die volle Verantwortung für di weitere Entwicklung dieses vornehmsten Instituts auf sich nehmen. So ist Raoul Aslan auch der einzige in der Geschichte dieses Hauses, der nicht zum Burgtheaterdirektor ernannt wurde, ja dazu gar nicht ernannt werden konnte, weil er sich dem Burgtheater im tragischesten Augenblick seiner ganzen Geschichte zum Opfer gebracht hatte, weil er ja selber ein gutes Stück seines Wesens war und ist.

Unser Burgtheater, dieses Märchen aus tausend und einem Theater, in dem die

Tradition ihre Fäden aus Liebe, Kunst und Herzblut von Generation zu Generation wob und das aus lauter Geheimnissen ein Kosmos wurde, es lebt von, seinem Traumschlag, so wie wir von unserem Herzschlag uns das Dasein erhalten.

Es sind ihrer nicht gar viele, die um das Geheimnisvolle des Burgtheaters wissen, man konnte sie wohl immer an den Fingern abzählen, aber daß zu den wenigen unter ihnen Raoul Aslan gehört, offenbart sich uns immer deutlicher und klarer. An seinem Zauber 'hatte er sich still vollendet, an seinen Wundern ist er immer neu erglüht, bis es aus tausend Wunden blutend im Frühling 1945 sterbend dalag in der Morgenröte einer neuen Zeit.

Aber Raoul Aslan, für den es nie ein sterbendes, für den es nur immer ein ewiges Burgtheater gab, drückte diesen Inbegriff seines eigenen Daseins, sein Burgtheater, in den Augenblicken seiner höchsten Not mit solcher Leidenschaft an das eigene Herz, daß es wieder zum Leben erwachen mußte. Wer damals auch nur leise von dem Fieber berührt wurde, in dem Aslan um die Rettung des Burgtheaters kämpfte, wird allein ermessen können, was seine Persönlichkeit künftighin für die'G'eschichte dieses Instituts zu bedeuten hat.

Der Dichter und Burgtheaterkritiker Felix Saiten schrieb einmal, daß man des Nachts, wenn es ganz still sei am Franzensring, den Herzschlag des Burgtheaters vernehmen könne. Er nannte es ein aus Dunkel und Mystik ans Licht gekommenes Mirakel, das nur mehr eigenen, inneren Gesetzen folgend, seinen Weg ging.

Ja, in diesem Hause, in dem immer Österreich war und sein wird, das alte und das neue, herrschen wohl seit je Gesetze, die nie niedergeschrieben wurden, aber die man kennen muß, wenn man sich im und für das Burgtheater behaupten will.

Wenn man in diesem Zusammenhang an die vielen denkt, die am Burgtheater scheiterten, fühlt sich wohl so mancher verleitet, sich au£ die Suche zu machen nach diesen ungeschriebenen Gesetzen dieses so geheimnisvollen ersten Theaters unserer Stadt. Wer aber diese Gesetze nicht fühlt, der wird sie nie erjagen; um sie abW zu erfühlen, muß man eben — wie wieder Felix Saiten gemeint hat — das geistige und kulturelle Kostüm unserer Stadt zu erkennen vermögen, man muß musisch und musikalisch genug sein, um den Rhythmus zu empfinden, der für Wien und mit ihm für unser Burgtheater notwendig ist.

Ein Direktor, der dem Burgtheater gegenüber seine hohe Pflicht erfüllen will, muß wissen, daß immer nur Wien, die ganze Stadt, im Burgtheater die Regie geführt hat, denn den Gesamtton und Stil des Burgtheaters hat zu allen Zeiten Wien als der ewig unversiegbare Quell neuen Lebens bestimmt.

Und noch etwas! Die Vergangenheit des Hauses! Denn in diesem Hause gegenüber dem Rathaus, in dem die Seelen so vieler dahingegangener großen Künstler fortatmeten, da spielten neben den Lebendigen auch immer die dahingeschiedenen Unvergeßlichen mit.

War die Aufrechterhaltung des Burgtheaterbegriffes ohne die Weihe dieses Tempels denn möglich? Konn'jen denn die Burgschauspieler ohne ihr Burgtheater überhaupt existieren? Denn dieses Haus war für sie alle ein Heiligtum. War ohne seinen Schimmer und ohne seine Erhabenheit ein Weiterspielen denn überhaupt denkbar?

Aue diese Fragen mußten vor Raoul Aslan geständen haben, als er Burgtheaterdirektor ohne Burgtheatcr wurde.

Und was geschah? Raoul Aslan zog mit seinen Künstlern in das Ronacher ein, in das Haus, in dem vor ihm die Zirkusleute waren, die Clowns, die Hundeattraktionen, die Ringkämpfe usw. Aber darum kümmerte sich Aslan nicht, denn er wußte, daß in diesem, zum Variete herabgesunkenen Haus, als er das Burgtheater verließ, als er es verlassen mußte, weil Undank das Los aller Burgtheaterdirektoren zu sein scheint, kein Geringerer als Heinrich Laube eingezogen war.

Wie eine Erlösung Laubes mutete diese Tat an, denn Aslan nahm mit seinem Einzug in das Ronacher dem Burgtheaterdirektor Laube das Odium des Gescheiterten. Und als die „Sappho“ in Heinrich Laubes Schatten auf den Brettern des Ronachers stand, manifestierte sich mit dieser denkwürdigen Aufführung „des Burgtheaters ohne Heimat“ der fanatischeste Kulturwille des sieben Jahre lang gepeinigten, gedemütigten und vollkommen verelendeten österreichischen Volkes in einer geradezu erschütternden Art und Weise.

Vergegenwärtigt man sich die Worte, die damals Raoul Aslan der ersten Sappho-Aufführung vorausschickte, und vergleicht man sie mit dem Vortrag, den er als Direktor des Burgtheaters unlängst im Rahmen eines Kongresses über das russische Theater hielt, dann ahnt man wohl den Kampf, den er in dieser Zeit um den alten Burgtheaterbegriff für ein neues Burgtheater zu führen hatte, denn daß, um eines neuen Burgtheaters willen, uns der alte Burgtheaterbegriff erhalten bleiben muß, wird uns durch das Wirken Raoul Aslans erst so recht sinnfällig.

Und wenn er sich heute auch in manchen seinen Bestrebungen mißverstanden fühlt, so kann ihm trotzdem nichts beirren, denn er weiß, daß das Burgtheater nicht vom kurzen Atemzug des Tages zu leben hat, sondern daß es für das Endgültige wirken muß und daß der Weg dahin nicht von heute auf morgen zurückgelegt werden kann.

Es ist schwer, in einer Zeit, die noch voll der Verzweiflung ist, ein Theater, wie es unser Burgtheater war, wieder vom Grunde auf neu aufzubauen und neu aufzurichten, denn unser Burgtheater war ja immer das geistige und seelische Eigentum von aber und aber tausend verschiedenartigsten Menschen mit verschiedenartigsten Anschauungen. Gerade darum aber darf das Burgtheater nicht zu seinem Publikum herabsteigen, sondern es hat die Pflicht, die Menschen zu sich emporzuheben, es muß uns wieder die Liebe von Mensch zu Mensch, die Ehrfurcht vor dem Schicksal, die Empfindung für unbedingte Gerechtigkeit erkennen und erleben lassen, denn wir stehen alle noch zu nahe am Rande der Gaskammern, durch die uns Zweck und Sinn des Lebens abhanden kamen.

Für ein Reich der Menschheit und für ein höheres Ich will Raoul Aslan das Burgtheater wirken lassen, und wie sehr er bemüht ist, die Beziehungen der Menschen mit dem Burgtheater wieder herzustellen, beweist uns am besten der von ihm selber dargestellte Nathan, welcher nicht nur der ganzen Nathan-Aufführung, sondern seiner ganzen Burgtheaterführung Sinn und Richtung gibt. Raoul Aslans Nathan und der Jakubowsky des Karl Straup, sie leben beide vom gleichen Herzschlag, denn beide verdecken sie mit dem gleichen Lächeln die gleiche Tragödie und beide ziehen sie einher auf Ahasvers unendlicher. Straße. Aber sie halten die Tragödien ihrer Existenzen mit den heroischen Kräften eigener Fäuste nieder und lächeln, um die Mitmenschen ja nicht erschrecken zu müssen.

Aslans Nathan tat der Schuld unserer Zeit nicht wehe, er verdeckte sie mit einem Bahrtuch, das gewoben war aus weiser Großmut und lächelndem Verzeihen. Sein Nathan wollte nicht mit den Fingern auf die Antisemiten zeigen, es genügte ihm schon, sie nur daran zu erinnern, daß Lessings Nathan trotzdem unsterblich bleibt.

Aus der ihm angeborenen künstlerischen Verantwortung wird Raoul Aslan nie das Morgen zum Programm erheben, denn alles Künftige kann nach seinen Begriffen nie außen sein, sondern man muß es in sich haben, und zwar schweig-nd und nicht schwatzend, und ja nicht ohne die notwendigen Zusammenhänge mit dem Gestern. Aus solchen und ähnlichen eigenen Erkenntnissen heraus versucht Raoul Aslan dem Burgtheater das für unsere Zeit notwendige innere Gesicht zu geben. Der Begriff Notwendigkeit scheint überhaupt dar treibende Motiv seiner ganzen Direktionsführung au sein, während er das Neue nur dort gelten läßt, wo es von der Notwendigkeit verlangt wird.

Dort aber, wo das Neue im innigsten Zusammenhang gebracht wird mit der unbedingten Notwendigkeit, wo das Neue erst dareh diese hindurch muß, um gerechtfertigt •werden zu können, kommt zum Verlangen ach dem Neuen erst das hinzu, was die

Erneuerung adelt, die Verantwortung.

Dieses Wissen um Raoul Aslans hohes, mutiges, ja sogar streitbares Verantwortungsbewußtsein macht uns unser Burgtheater wieder zu einem glücklichen Besitz und seinen Direktor zu einer allgemein geschätzten Persönlichkeit der österreichischen Kultur-weft, dessen sechzigster Geburtstag, vor allem von den Freunden des Burgtheaters, herzlich ond dankbar gefeiert werden wird.

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