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Repräsentation einer Kunststadt

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Die Wiener Festwochen 1968 konzentrieren sich künstlerisch auf das komödiantische Volkstheater Europas. Sie bringen, getreu ihrem Motto, das Moskauer Wachtangow- Theater, das Bayerische Staatsschauspiel, die Berliner Staatsoper, das Teatrui de Comedie aus Bukarest, das Berliner Schloßpark-Theater und das Mailänder Piccolo Teatro nach Wien. Die Avantgarde versucht durch die Zurschaustellung junger Bühnen aus Paris, London und New York, aus Prag und Krakau, aber auch einzelner experimentierfreudiger Ensembles aus Österreich, die Fehlmeinung zu korrigieren, daß allein das eher Konventionelle, gedanklichen wie dramaturgischen Traditionen verhaftete Theater geeignet sei, ein Haus ?u füllen. Die avantgardistische Ambition kommt nicht zum Zug, wenn der Kassier glaubt, aus materiellen Sicherheitsgründen verpflichtet zu sein, die zu bremsen.

Um so erfreulicher ist es, daß die Intendanz der Wiener Festwochen mutig den unbestreitbar gewagten Versuch unternimmt, nicht bloß im Rahmen 'des Nachtstudios avantgardistische Komödiantik zu zeigen, sondern auch mit der Uraufführung einer modernen komischen Oper, der „Seidenraupen“ von Ivan Eröd und Richard Bietschacher als Eigenproduktion im Theater an der Wien die gerade in Wien besonders massive Angstbarriere vor dem „Anders als bisher gewohnt“ zu durchbrechen. Es ist aber deshalb bei weitem nicht etwa so, daß die Intendanz die charakteristische Linie Wiens als Kunst- und Kulturstadt umprägen wollte; doch bereichert sie auf diese Art das Programm musikalisch wie literarisch um erfreulich viele aparte Nuancen, ohne deshalb der für Wiener Festwochen charakteristischen wienerischen Note —- beispielsweise durch die gleichfalls von ihr veranlaßte Inszenierung einer so gut wie unbekannten Nestroy-Posse „Der Kobold oder Staberi im Feendienst“ — zu versagen, was ihr rechtens gebührt, wenn die Komödianten des europäischen Volkstheaters komödiantisch herausgestellt werden sollen.

Die österreichischen Bundestheater, deren Verwaltung mir anvertraut ist, bemühen sich, der Festwochendevise auch ihrerseits gerecht zu werden. Sie bringen im Burgtheater „Die heilige Johanna“ von Bernard Shaw mit Spitzenkräften des Hauses, mit Elisabeth Orth, Boy Gobert, Paul Hoffmann und Walter Reyer, um nur die Träger der wichtigsten

Rollen zu nennen, heraus (die Regie führt Kurt Meisel), während das Akademietheater sich die Uraufführung eines typisch wienerischen Stückes, einer „tragischen Posse mit Gesang“, der österreichischen Autorin Lotte Ingrisch unter dem Titel: „Die Wirklichkeit und was man dagegen tut“ für den festlichen Anlaß gesichert hat. Der Tradition steht also auch hier der Versuch gegenüber, mit schwarzem Humor nicht ausschließlich komisch zu sehen und durch eine leicht avantgardistische Note aus eingefahrenen Spuren zu brechen.

Die Volksoper brachte bereits am 15. Mai, also drei Tage vor dem offiziellen Beginn der Festwochen, eine Neuinszenierung der Operette „Tausend und eine Nacht“ von Johann Strauß durch Alfred Rott heraus und nimmt drei, längere Zeit nicht gezeigte Werke wieder in den Spiel plan auf: „Don Pasquale“ von Donizetti, „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold und „Madame Butterfly“ von Puccini.

Was den Beitrag der Staatsoper zu den Wiener Festwochen 1968 betrifft, darf ich mich auf den gleichfalls in dieser Nummer der „Furche“ veröffentlichten Beitrag des geschäftsführenden Direktors Hofrat Doktor Heinrich Reif-Ginti beziehen.

Grundsätzlich aber möchte ich sagen, daß die österreichischen Bundestheater es als eine Erfüllung ihrer kulturellen Verpflichtung gegenüber der Bundeshauptstadt betrachten, wenn sie sich im Rahmen ihrer vornehmlich strukturell beschränkten Möglichkeiten bemühen, die glanzvolle Repräsentation einer Weltstadt als Kunststadt zu unterstützen. Ich stellte schon früher fest, daß es“ die Sonderstellung der Wiener Festwochen im geistigen Großraum der österreichischen Bundeshauptstadt ist, die diese Festwochen von den europäischen Festspielen im allgemeinen, insbesondere aber von den heute längst klassisch gewordenen Salzburger Festspielen unterscheidet, da die künstlerische Ausstrahlung unserer Weltstadt der Musik, deren Legende, die Legend of a musical city, Max Graf geschrieben hat, die Ausstrahlung einer Theaterstadt katexophen auch vor dem 18. Mai und nach dem 16. Juni gleichermaßen besteht.

Wien hat, wie. ihr Werbeslogan mit Recht sagt, immer Saison. Der Slogan verpflichtet auch die Bundestheater, die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu respektieren, indem sie das von ihnen erwartete Festspielniveau zehn Monate lang, und zwar jeweils vom 1. September bis zum letzten Juni unverändert aufrechterhalten. Es noch darüber hinaus zu steigern, hat, wie man gewiß verstehen wird, seine Probleme. Sie zu überwinden, verlangt das Prestige einer Wiener Veranstaltung, die zugleich ein eminent österreichischer Anlaß ist, sich unter den Komödianten Europas zu zeigen. „Denn Wien ist Österreich, wenngleich Österreich nicht immer Wien ist.“

Mit diesem staats- wie kulturpolitisch leicht kritisch klingenden Satz schließt Raoul Auern- heimer sein Buch „Wien, Bild und Schicksal“ resignierend ab. So weit es die Bundestheater betrifft, wollen sie gerne versuchen, ihn zu korrigieren.

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