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Shakespeare und Moliere vor allen

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Mit der Aufführung der Monster-trilogie „König Heinrich VI.“ von Shakespeare leistet das Burgtheater seinen Sonderbeitrag zum Jubiläumsjahr und präsentiert gleichsam als Auftakt zu den Wiener Festwochen die geschlossene Reihe seiner bisherigen Shakespeare-Inszenierungen von „Richard II.“ über die „Heinrich“-Dramen bis zu „Richard III.“. Das Hauptverdienst daran gebührt Leopold Lindtberg, dessen Bearbeitung und Regieleistung fast eine innere Einheit der „Königsdramen“ vorzutäuschen vermag, die in Wahrheit aus ganz verschiedenen Stimmungen des Lebens und der Kunst Shakespeares entstanden sind.

Mag Shakespeare an dem lSaktigen Jugendwerk auch nicht allein Anteil haben (wie manche Forscher meinen), so steht doch seine Autorschaft an dem Werk außer Zweifel, wenn auch zu Beginn nur als Lehrling älterer Meister. Auf den alten Chroniken fußend, schildern diese Chronicle Plays der Geschichte von Heinrich VI. die blutigen Machtkämpfe zwischen den Häusern York, Träger der weißen Rose, und Lan-caster, dessen Abzeichen die rote Rose war. Figuren und Ereignisse jagen einander in lockerer Folge; in ununterbrochenen Intrigen und Kämpfen sieht man bald einen Helden fallen, bald einen Tyrannen triumphieren und das Recht unterdrücken, und bald darauf den Unterdrückten selbst wieder zum Tyrannen werden. Inmitten dieser brutalen Umwelt mutet König Heinrich VI., eine Gestalt der Ruhe und des Friedens, in seiner Weltfremdheit, Schwäche und Unwirksamkeit fast wie eine Figur Dosto-jewskijs an. Gewiß, das Auf und Ab in den Schilderungen der Kämpfe wirkt ermüdend, die Freude am Stoff überwuchert gar oft die Einheit der Handlung so wie die Lust an rhetorischen Tiraden die dramatische Sprache; dennoch fühlt man sich immer wieder durch die Masse an leidenschaftlicher Kraft, durch die ungeheuren Menschlichkeiten, die Shakespeare hier entfaltet hat, gepackt.

Leopold Lindtberg bietet eine fast lückenlose Szenenfolge der drei Teile mit bloß wenigen Auslassungen, wobei er nur die einzelnen Szenen in sich stärker gekürzt hat. Das dadurch entstehende Sprunghaft-Fragmentische mag trotz vieler balladenhafter Schönheit mitbewirken, daß man die 31 Bilder der mehr als vierstündigen Aufführung doch nur mit

7Q-, (Schauspieler Mnd. .aufgeboten,, unter, ihnen führende Kräfte auch für Episodenrollen. Im Mittelpunkt steht Josef Meinrad als ergreifend gütiger, schwacher Heinrich, ihm zur Seite Judith Holzmeister als seine ehrgeizige, kühne und bis zur Grausamkeit wilde Gemahlin Margarete („Tigerherz in Weiberhaut“). Attila Hörbiger gibt den rechtschaffenen Königsprotektor Herzog von Gloster, Ewald Baiser den machtlüsternen Herzog von York und Helmut Janatsch dessen Gegenspieler Herzog von Somerset. Alexander Trojan intrigiert als Graf von

Suffolk, während Erich Auer dem aufrechten „Königsmacher“ Grafen von Warwick Profil verleiht. Boy Gobert erledigt als affektierter kentischer Edelmann den rabiaten Rebellenführer John Cade (Michael Janisch), Von den zahlreichen übrigen Mitwirkenden sind ihrer sehr bemerkenswerten Leistungen wegen noch zu nennen: Martha Wallner als (von Shakespeare arg geschmähte und verzeichnete) Jeanne d'Arc, Blanche Aubry als unglücklich ehrgeizige Herzogin von Gloster und Heinrich Schweiger als der mißgestaltete, furchtlose, zynische Herzog von Gloster, dessen zwei große Monologe bereits „Richard III.“ ahnen lassen. Das monumentale Bühnenbild stammt von Theo Otto. *

Die Comedie Francaise, Europas ältestes Repertoiretheater, gab auf ihrer Europatournee als Gast des Burgtheaters zwei Abende mit Moliere und einem Einakter von Musset. Man hörte den herrlichen Text des „Tartuffe“ mit seiner Fülle an Aktion und mimischen Pointen zwischen den Zeilen im Original. Wir sind es gewohnt, in Molieres „Tartuffe“ auf dem Umweg der Ubersetzung immer ein wenig das zeitlose Ausnahmeexemplar von einer schwarzen Seele, den „Abgrund Tartuffe“, einen ausgekochten Schurken von einer gewissen Größe zu sehen. Louis Seigner, der auch Regie führte, gibt ihn als häßlichen, fleischigen, rotgesichtigen Lüstling, eine Art Onkel vom Land, bei dem es am Ende gar nichts mehr zu entlarven gibt. So seltsam vordergründig und harmlos nahm sich übrigens die ganze Aufführung aus. Denn trotz dem Zeremoniell der geschwenkten Hüte, der barocken Kostüme, des Rokokogeplänkels der Liebenden, der forcierten Rhetorik, des tänzerischen Ausspielens jeden Schrittes und jeder Gestik wirkte alles eher als abgekühlte klassische Stilisierung. Blieb vor allem das Fest der Sprache, die bezaubernde Melodik des Französischen auch in dem rhetorischen Feuerwerk der Alexandriner.

Sie bestach auch am zweiten Abend in „Un Caprice“ von Alfred de Musset, einer kleinen, liebenswürdigen Nichtigkeit zwischen einem Ehepaar und einer Freundin. Hier entzückte vor allem Mlle. Annie Ducaux, die am ersten Abend die ein wenig bläßlich wirkende Elmire gespielt hatte. In den darauffolgenden „Les Fourberies de Scapin“ von Moliire, bei uns vor längerer Zeit als „Die Schelmenstreiche des Scapin“ im

iTfr^s&iM\&s<fo&fr mit £w* Bois .?u.;.seheji, ,.,brülierte.ij4ie Commedia dell'arte im heiteren Ubermut, in der komischen Übertreibung, in den sprudelnden Tempi der Dialoge. Hier, in Scapin vehement gespielt von J. P. Rousillon), dem intriganten Diener und arbeitsscheuen Tagedieb, der durch Streiche statt Mühen sein Brot verdient, leuchteten, blitzten alle guten Geister des Komödiantischen auf. Eine turbulente, manchmal nur etwas zu lautstarke Aufführung, bisweilen haarscharf am Rand vorbei, wo sich alles in groteske Gags auflöst.

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