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Shakespeare und Strindberg

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Das Burgtheater bringt zum „Shakespeare-Jubiläum eine Neuinszenierung des königlichsten seiner Königsdramen, „Heinrich IV.“. Leopold Lindtbergs Textbearbeitung, Einrichtung und Regieführung des zweiteiligen, zehnaktigen Gedichtes war schon vor vier Jahren der Höhepunkt seines Shakespeare-Zyklus' und ist es bis heute geblieben. Im Vordergrund steht Prinz Heinz, der „wahre Königssohn“, der geniale Mensch, der jedem Schicksal Gewachsene, der alles auskostet, auch das liederliche Leben mit kleinen Lumpen in der Kneipe, an dem schon die bis ins Innerste gelangweilte Lebensverdrossenheit moderner Dekadenz zu zehren scheint, und der sich doch immer den Stolz, die Vornehmheit, das innere Bereitsein für die höchste Verantwortlichkeit bewahrt. Dem Prinzen aus Genieland steht sein sterbenstrauriger Vater, König Heinrich IV., der Typus des ungenialen, des ewig bemühten, angespannt Strebenden, gegenüber. Die eigentliche Gegengestalt zum Prinzen jedoch stellt der verkommene Ritter John Fal-staff dar. Auch dieser dickwanstige Saufkumpan, prahlerische Hasenfuß, Schuldenmacher und Schürzenjäger ist in seiner Art ein „Genie“, das es sich mit Witz und unerschütterlichem Selbstgefühl in seiner so recht animalischen Seligkeit des Daseins wohl sein läßt.

Die jetzige Neuinszenierung weist weit über ein Dutzend Neu- oder Um-besetzungen auf. Von den vier Hauptgestalten, auf deren Schicksal sich das monumentale historische Panorama konzentriert, ist nur Hermann Schömberg als Falstaff derselbe geblieben. Herrlich wohlgeraten wie einst, hat er die Vitalität des Genießers und die Grandezza des heruntergekommenen Edelmannes, von vielerlei lustigen und listigen Lichtern überglänzt. Boy Gobert als Prinz Heinz ist dagegen schon von der Gestalt, vom Sprachlichen und Mimischen her eine unverständliche Fehlbesetzung. Dieser intelligente, wandlungsfähige Schauspieler (hervorragend als Caligula von Camus, als Sosias in ..Amphitryon“ oder als einer der Brandstifter in Frischs „Biedermann“) ist mit keinem Zoll der Jüngling, den Hamlets. Schwermut überschattet und der vor der Last der künftigen Krone in die Falstaff-Unterwelt flieht — wie es Oskar Werner als unvergleichlicher Prinz Heinz einmal war. Fred Liewehr ist ein braver König, der nach bester Burgtheatermanier Würde, Kraft und Größe mimt; nur den zwischen bösen Träumen und königlichen Hoffnungen hin und her geworfenen Thronräuber glaubt man ihm nicht..rccht. Lediglich Wolfgang Stendar als, polternder, stotternder, wild aufbegehrender Rebell Percy Heißporn (eine wundervolle Shakespeare-Figur) ist besser als sein Vorgänger. Sonderapplaus erzielte auch Joseph Odenbach (ein Gast) als urkomischer Friedensrichter Schaal in der gespenstigen Rekrutierungsszene. Der Gesamteindruck der Aufführung hielt den Anfechtungen stand, die ihm im einzelnen bereitet wurden. Es war immerhin noch Shakespeare. Es gab lebhaften Beifall.

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August Strindberg nennt sein „Fräulein Julie“ ein naturalistisches Trauerspiel. Aber das Geschehen von dem ade-

ligen Fräulein, das sich aus der überhitzten erotischen Stimmung und Spannung einer nordischen Mittsommernacht einem Mannskerl von Lakaien hingibt und sich am Ende vor Verzweiflung mit dessen Rasiermesser die Kehle durchschneidet — dieser psychopathologische Krankheitsbericht ist im Grund nicht naturalistisch. Dazu ist dieses menschliche Drama zu stilisiert, zu sehr auf „Idee“ hingearbeitet. Mag auch dem Trauerspiel ein wahres Geschehnis (nach einer Zeitungsnotiz) zugrundeliegen, mögen selbst die beiden Hauptfiguren gewisse Züge Strindbergs aus schonungsloser Selbstbeobachtung und Selbstpreisgabe tragen — im eigentlichen ging es ihm neben der von innen her gestalteten Welt um das Soziale, um den Kampf des überalterten, aussterbenden, lebensuntüchtigen Feudalismus mit der nach oben drängenden, vitalen, noch primitiven Unterschicht. Das Hinab des Fräulein Julie (laut Strindbergs tiefschürfendem Vorwort „eine letzte Verkörperung des alten Kriegeradels“) wird konfrontiert mit dem scheinbaren Hinauf des Barbaren Jean. Sie fällt, er steigt, aber in Wahrheit steigt er gar nicht, verschlechtert nur seine Verhältnisse. Und als am Schluß die Klingel des Herrn ertönt, da beugt der Lakai wieder nur ergeben seinen Nacken. Das Zeitgebundene, diese Art Problematik von Geschlechterhaß und Klassenkampf kann uns heute nicht mehr berühren; bleibt denn ein dramaturgisches Meisterstück mit zwei sehr wirksamen Rollen und einem Dialog von unerhörter Intensität, ein Einakter, der in eineinhalb Stunden gewollt pausenloser Bühnendarbietung für den Zuschauer eine ganze Nacht ablaufen läßt.

In der Neuinszenierung des Akademie-thealers wurde das Stück von Regisseur Josef Gielert durch eine lange Pause leider in zwei Hälften zerlegt und durch kräftige Striche gedämpft. Annemarie Düringer wirkte als Herrentochter im Vorgang der Verführung mehr spielerisch mädchenhaft als sinnlich, lebensgierig, eine flatternde Seele, die eher Mitgefühl als brutale Triebe weckt. Daher klingen die Warnungen des Bedienten, der von seinem Rausch überwältigt zu werden fürchtet, unglaubhaft. Aber im Fortschreiten des Stückes,' dem Höhepunkt zu, als Julie nach dem „Fall“ nichts mehr ist als ein armseliges, unglückliches Menschenkind, das seine Verzweiflung nur noch hervorstammelt, beeindruckte und rührte Annemarie Düringer durch ihr intensives Spiel. Heinrich Schweiger legte die Rolle des Bedienten Jean schon von der Maske her eher geradlinig an. Aus der anfänglichen Unterwürfigkeit und Wendigkeit, im Gespräch stets auf ihren Vorteil bedacht, bricht schließlich das Brutale durch. Die tragische Schlußszene konnte freilich nicht überzeugen, ein Versagen der Regie, die auch den Bauernchor, der eine Art Gewissen oder die öffentliche Meinung darstellen sollte, zu einem feuchtfröhlichen Zwischenspiel verharmloste. Inge Brücklmeier . als Köchin blieb zu passiv farblos. Lois Egg bot ein sachlich-exaktes Bühnenbild, in dem nur die lockenden Blumen der Mittsommernacht zu papieren wirkten. Lebhafter Beifall für die Darsteller.

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