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Theater in Prag
Es ist gar nicht so einfach, sich in der Moldaustadt vom Fleck weg zu entschließen, ins Theater zu gehen. Man hat hier zwar rund zwanzig ständige Bühnen (die drei Bühnen des Nationaltheaters eingeschlossen), aber Theaterkarten besorgt man sich besser im Vorverkauf. Der Prager — und der Tscheche überhaupt — ist ein großer Theaterfreund. Möglicherweise spielt hier die Tradition eine gewisse Rolle — im 18. und 19. Jahrhundert war es vornehmlich das Theater, das das tschechische Nationalbewußtsein wachrütteln half. Das dürfte sich auf die weiteren Generationen vererbt haben. Doch viel eher möchte man glauben, daß der einfache Tscheche heute im Theater die Antwort auf brennende Fragen der Gegenwart sucht. Die begeisterte und nicht selten vieldiskutierte Aufnahme, die so manches Gegenwartsstück erlebte, läßt diesen Schluß zu.
Natürlich gibt es auch hier einen Teil des Publikums, das den Besuch des Theaters, vor allem der Oper, als zum guten Ton gehörend betrachtet. Es wählt auch fast ausschließlich das klassische Repertoire. Dieses bieten ihm die Oper des Nationaltheaters und das Smetana-Theater mit Smetana, Dvorak, Fibich, aber auch mit Tschaikowskij, Verdi, Puccini und nicht zuletzt mit Wagner und anderen. Die Schauspielhäuser warten dazu — mit Shakespeare, Gogol, Tyl — kurz, ebenfalls mit Klassikern auf. Man ist also in dieser Hinsicht saturiert.
Der andere Teil des Publikums — und entschieden ist er in der Mehrheit — sucht, wie schon angedeutet, die Gegenwartsproblematik. Hier erfreut sich zum Beispiel Capeks „Krieg mit den Molchen“ in einer Neubearbeitung von Pavel Kohout besonderer Aufmerksamkeit. Capeks Roman schlug damals in den dreißiger Jahren Alarm gegen die Nazigefahr und erscheint nun in Kohoüts Dramatisierung besonders aktuell. -Die- alle Welt bewegende Frage ¿Krieg oder Frieden“ wird hier — und das kann man in Prag nicht genug hervorheben — sehr tief empfunden. Darum waren auch Dürenmatts „Physiker“ eine der größten Sensationen der letzten und schließlich und endlich auch der laufenden Saison. Allerdings erlebten sie im Kammertheater auch eine äußerst wirksame Aufführung. Doch beschränkt sich diese Gegenwartsproblematik durchaus nicht auf weltpolitische Themen. Die Jahre des „Personenkults“ haben bei so manchem mehr oder minder tiefe Narben hinterlassen. Der slowakische Dramatiker Peter Karvas setzt sich in seiner „Narbe“ mit dem Schicksal eines Menschen auseinander, dem diese Zeit besonders mitgespielt hatte.
Und dann natürlich die Kleinkunstbühnen, die in den letzten Jahren in Prag ihren Aufstieg erlebten, und von denen manche auch in Wien nicht unbekannt ist. Es handelt sich hier nicht nur um die Pantomime oder das Schwarze Theater, es ist eine ganze Reihe von kleinen und Jungen Bühnen (jung auch, was die Akteure anbelangt), die auf ihre manchmal etwas unfrisierte, manchmal aber raffinierte Art und Weise gegen alles Vorgehen, was ihnen nicht gefällt. Sei es in eigenen, oft kabarettmäßigen Kreationen, sei es in übernommenen Werken. Zum Beispiel „Der Philosoph und der Narr“ des Polen Jerzy Broszkiewicz, der zwar in jeder beliebigen Zeit handeln kann, jedoch ziemlich eindeutig auf das Heute zugeschnitten zu sein scheint, so daß das Publikum des kleinen Rokokotheaters sichtlich befriedigt nahezu auf jedes Wort der Akteure reagiert.
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