Theater um der Zukunft willen

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Premieren

Am Burgtheater Joachim Meyerhoff als Doktor Tomas Stockmann in "Ein Volksfeind"(links). Unten: Rainer Galke und Katharina Klar in "1984" am Volkstheater.

"Dass Sprachlosigkeit das Menetekel einer sozial deregulierten Gesellschaft ist, findet viel zu wenig Beachtung. George Orwell erkannte das schon früh."

Wer sich in der Welt umsieht, kann Anton Tschechows Ausruf "Ihr lebt schlecht Freunde!" leicht beipflichten. Auf die Frage, wie das Theater die Menschen dazu bringen könnte, von diesem schlechten Leben zu lassen, gab George Bernard Shaw eine einfache (wenn auch nicht die einzig mögliche Antwort):"Ich schreibe Stücke in der wohlerzogenen Absicht, die Nation zu meiner Meinung zu bekehren." Dementsprechend verstand er Theater als Angriff auf die Gesellschaft.

Aktuell sind auf Wiens Bühnen zwei Inszenierungen zu sehen, die diesem Credo eines politischen Theaters nachzukommen trachten: das Volkstheater mit einer interessanten Inszenierung von George Orwells dystopischem Roman "1984", das Burgtheater mit Jette Steckels gewagter Deutung von Henrik Ibsens Klassiker "Ein Volksfeind".

Aus der Rolle gefallen

Ibsen meinte einmal, wenn Freiheit überhaupt etwas bedeute, dann das Recht, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen. Das scheint sich auch Jette Steckel für ihre Inszenierung von Ibsens Öko-Klassiker gesagt zu haben. Denn die Inszenierung, in der es um den aufrechten Badearzt Doktor Stockmann geht, der doch eigentlich das Gute will, dadurch aber in Konflikt mit den vorwiegend ökonomischen Interessen seiner Mitbürger gerät und schließlich als Volksfeind ausgegrenzt wird, hat ein bemerkenswertes Moment. Nach der berühmten Rede des Arztes, wo er zur Weltrettung aufruft, fällt Joachim Meyerhoff nämlich aus der Rolle und setzt sich ins hell erleuchtete Parkett. Was dann folgt, ist einerseits eine Art Selbstreflexion über die Wirkung(slosigkeit) des Theaters und andererseits eine regelrechte Publikumsbeschimpfung. Er stellt uns "Arschlöchern" die Frage, warum alles in die falsche Richtung läuft und beklagt schließlich die sich Bahn brechende Gleichgültigkeit, wobei er gleich die Frage nach den Gründen für diese Apathie stellt.

Eine Antwort auf diese beunruhigende Frage vermag vielleicht die Inszenierung von George Orwells "1984" durch Hermann Schmidt-Rahmer zu geben.

Der englische Journalist und Schriftsteller hatte schon in den 1930er-Jahren kritisch beobachtet, wie Institutionen allmählich die Individualität erstickten, die sie vorgaben, schützen zu wollen. Und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg lieferte er in seinen Romanen einen Index der Gefahren, die er am Horizont des 20. Jahrhunderts heraufziehen sah. Dabei wurde neben "Animal Farm" vor allem "1984" zum literarischen Archetyp, der auf die Albtraumseite der Moderne verwies und die sich in unserer Gegenwart nun allmählich zu vollenden droht. Schmidt-Rahmer legt den Fokus seiner Inszenierung ganz auf das politische Ringen um die Vorherrschaft in den Köpfen. Sein Totalitarismusverdacht beschränkt sich dabei nicht auf Nordkorea, worauf die Frisuren sowie die uniforme Kleidung der Darsteller verweisen, sondern er verortet ihn auch in Demokratien. Eine zentrale Rolle kommt der Technologie zu, die sich anschickt, zum Überwachungsinstrument für die individuellen Wünsche, das Bewusstsein, das Gedächtnis zu werden. Er klagt dabei aber weniger die sozialen Medien an, als vielmehr uns, die wir die Unterwerfung unserer innerer Welten unter die totale Überwachung gleichsam freiwillig gestatten und das auch noch für Freiheit halten.

Sprachlosigkeit

Das andere, nicht minder subtile Instrument der Überwachung, das Schmidt-Rahmer aus "1984" herausdestilliert und das im Zeitalter populistischer Regierungen von kaum zu überschätzender Wichtigkeit ist, ist die Kontrolle -beziehungsweise der Raub der Sprache. Denn den um ihre Sprache Beraubten bleiben nicht nur eigene Bedürfnisse unerkannt, weil sie nicht ausgesprochen werden können, sondern auch die Fragilität der Welt unbemerkt, weil die Artikulationsformen für das Unbehagen und das Mit-Leid erloschen sind. Sprachlosigkeit geht einher mit dem Verlust der Einbildungskraft. Und letztendlich führt der Verlust der Sprache zu jener neutralisierten Wahrnehmung, die wir als kalte Müdigkeit auch Apathie nennen können, jenem unerklärten Krieg ohne Schlacht, dem Kampf jeder gegen jeden.

Was dabei viel zu wenig Beachtung findet, ist, dass Sprachlosigkeit das Menetekel einer sozial deregulierten Gesellschaft ist. Auch das erkannte Orwell schon früh, als er schrieb, dass die erste Auswirkung der Armut darin bestehe, dass sie mit der Sprache auch das Denken tötet.

1984 Volkstheater 29. Nov., 3., 7., 8., 14., 16. Dez.

Ein Volksfeind Burgtheater 29. Nov., 2., 10., 23. Dez.

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