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Tradition geht besser als Neues

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Das Publikum von Burg und Akademietheater ist ganz wunderbar, wie ein Spiegelbild von Osterreich.” Worte wie diese hört man gerne, vor allem, weil es sich bei Hermann Beil, dem Dramaturgen des Wiener Burgtheaters, nicht um einen Österreicher handelt. „Himmlisch”, sei es, das Wiener Theaterpublikum, doch „manchmal auch ganz merkwürdig. Theaterleidenschaftlich und in seiner Ablehnung beharrlich:” Schwierig, in einem Wort. Aber eine Herausforderung für alle, die in Wien Theater machen wollen.

Dieses Publikum läßt sich nicht belehren, von guter Schauspielerei aber sehr wohl verführen. So fanden sich in der letzten Vorstellung von „Bitter, Dene, Voss” einige, die dieses Stück vor seiner Premiere vor einigen Jah-renz noch lustvoll boykottiert hatten. Doch Qualität hin oder her, wie sieht es zahlenmäßig aus? Nach einem Bericht des Osterreichischen Statistischen Zentralamtes kam das Burgtheater im Spieljahr 1995/96 auf eine Auslastung von 74,2 Prozent, das entspricht 210.307 Besuchern. 1980 hatten allerdings noch 349.525 Menschen die Burg besucht, also fast 40.000 mehr, das entspricht beinahe einem Fünftel der letztjährigen Besucherzahl. Die Burg scheint also eher die Verstimmung der traditionellen Theaterbesucher hervorgerufen zu haben.

Die Tendenz schwindender Besucherzahlen teilt sie sich mit der Volksoper, die innerhalb der letzten 15 fahre 45.229 Besucher verloren hat, aber auch mit 89,3 Prozent von einer höheren Auslastung ausgehen kann. Klassisches Musiktheater ist in Wien immer noch der Spitzenreiter: die Staatsoper ist bei 96 Prozent belegter Plätze beinahe täglich ausverkauft. Touristenströme spielen dabei sicher eine wesentliche Bolle. Die Häuser der Vereinigten Bühnen Wien sind mit ihrem Musicalrepertoire zwar nicht kostendeckend, aber oft randvoll: Das Baimundtheater ist mit 98,6 Prozent noch ausgelasteter als die Wiener Staatsoper.

Subventionsmäßig geht aus dem Kunstbericht des ßundesministeri-ums für Wissenschaft, Verkehr und Kunst vom fahr 1995 hervor, daß rund 27,8 Millionen Schilling ins Baimundtheater geflossen sind, während Bühnen wie das Serapionstheater mit 3,15 Millionen Vorlieb nehmen müssen. Bund 73,5 Millionen erhält im Vergleich dazu das Theater in der Josefstadt für seine 226.242 Besucher. Unter den Sprechtheatern liegt es mit fast 80 Prozent Besucherzuspruch gleich hinter den Spitzenreitern. Einzig die Häuser des Theaters der Jugend, das Benaissancetheater mit seinen 92 Prozent, das La Wie mit 96,3 Prozent und das Theater im Zentrum mit 97 Prozent Auslastung können dem Musikbetrieb das Wasser reichen.

Mit fast 21 Millionen Schilling Förderungsgeldern läßt sich der Staat die Kulturbegeisterung der Jugend allerdings auch etwas kosten. Doch wo soll die berühmt-berüchtigte Theaterbegeisterung denn auch wachsen, wenn nicht in mitreißenden Jugendaufführungen, bei denen „Shakespeare for kids” so inszeniert wird, daß auch Eltern gerne mitkommen?

Alle anderen Sprechtheater weisen, zwischen vier und drei Fünftel Auslastung auf. Die Kapazitäten der verschiedenen Häuser sind natürlich ebenfalls ein wesentlicher Faktor: so bedeuten fast 70 Prozent Auslastung in einem kleinen Haus wie dem Ba-benhoftheater 38.835 Besucher.

Die Stückwahl garantiert nicht unbedingt Erfolg. Der Massengeschmack sieht folgendermaßen aus: „Elisabeth” von Sylvester Levay war 1995 mit 213.000 Besuchern das beliebteste Musikwerk und erfüllt damit das Österreich-Klischee. Immerhin läßt sich beim zweiten Platz in der Musicalgunst, dem „Kuß der Spinnenfrau” von Manuel Puig bei 163.000 Hörern aus der Thematik eine gewisse progressive Tendenz feststellen. Erst an dritter Stelle kommt als Komponist Wolfgang Amadeus Mozart.

Im Sprechtheater belegt Johann Nestroy als meistaufgeführter österreichischer Autor die Neigung des Publikums zum Traditionellen. Auch „Bomeo und Julia” von William Shakespeare, das den zweiten Platz belegt, ist ein Klassiker. Hermann Beil liegt also mit seiner Meinung, daß es sehr schwer sei, das Theaterpublikum zu modernen Autoren wie Elfriede Jelinek, Peter Turrini, Peter Handke oder Thomas Bernhard zu begeistern, nicht so falsch. Obwohl auch hier erstere nicht mit einer Bei-he ausverkaufter Vorstellungen ihres jüngsten Stückes gerechnet hatte.

Für alternatives Theater, Provokation oder Experimente eignen sich die traditionellen „großen” Häuser mit ihren zu einem großen 'Teil bürgerlichen Abonnenten - wie sie in jeder Sonntagsnachmittagsvorstellung in der Josefstadt anzutreffen sind - allgemein eher wenig. Dafür sind seit dem Anfang der achziger Jahre immer mehr freie Gruppen entstanden, die sich zunehmend auch anderen Kunstrichtungen am Theater, wie dem Tanz, gewidmet haben. Das „Tanztheater Homunculus”, nicht in der Förderung aufscheinend, aber dafür mit 20.000 Schilling prämiert, das Tanztheater Salto, mit 200.000 Schilling gefördert, oder die seit einigen Jahren sehr erfolgreich im Volkstheater Sommer und Winter veranstalteten „Tanzwochen” sind nur einige Beispiele dafür.

Das Fo-Theater, das in der warmen Jahreszeit durch die Gemeindebauten zieht, der „Sparverein der Unzertrennlichen ”, Sommerkinoveranstal-tungen im Augarten oder die Arena, das Chelsea, das Flex am Donaukanal, das „Vorstadtbeisl” und andere Szene-Orte, die mit mehr oder weniger Geld ihr eigenes Publikum ferne der Staatsbetriebe und tradierten Kunstformen suchen und finden, sind nur einige weitere Beispiele dafür, daß sich in einer Zeit der zunehmenden gesellschaftlichen Auflösung Grenzen immer mehr verwischen. Sie beweisen letztlich nur Hermann Beils These, daß der Österreicher sich seinem Geschmack nach den Theaterspielort sucht, der ihm entspricht. Und mögen die Gelder in Zeiten des Sparpakets auch nicht mehr so reichlich fließen wie früher, werden sich doch glücklicherweise immer wieder Menschen finden, die sich auf das Wagnis Theater einlassen. Die Chancen, daß sie auch das entsprechende Publikum erreichen, dürften trotz allem in Wien noch besser stehen als sonstwo.

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