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Tradition und neue Wege in Salzburg

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Die Salzburger Festspiele 1946 können künstlerisch noch keine großen Überraschungen bringen, es sind auch keine Welterfolge zti erwarten, dazu war die Zeit der Vorbereitung zu kurz, und vor allem Hemmnisse, die die gesamte Welt einschnüren, wirken sich zutiefst auf die Gestaltung der Festspiele aus. Trotzdem wurden alle Kräfte zusammengefaßt, damit Österreich in diesem Monat seinen unbeugsamen Lebenswillen auf kulturellem Gebiet erweisen kann.

Mit Recht wird Max Reinhardt als der wiedergeborene Barockregisseur bezeichnet, so wie Hugo von Hofmannsthals Schaffen aus dem letzten Ausklang der großen Wiener Barockzeit seine entscheidenden Theater-impulse empfangen hat. Aus dieser idealen Zweiheit heraus entstand das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, das Theater in höchster Vollendung, dort wo es an seine Ursprünge aus Kultfesten und Mysterien in bedeutsamem Kreislauf wieder anknüpft. Zum letztenmal im Jahre 1937 hat Reinhardt die Aufführung mit blutvollem Leben erfüllt. Nun stand man in diesem Jahre vor der Wahl, „Jedermann“ vom Festspielprogramm zu streichen oder die Aufgabe in die Hände eines Regisseurs zu legen, der das Erbe Reinhardts übernimmt. Man entschloß sich glücklicherweise für die zweite Lösung und fand in Direktor Heinz Hilpert den berufenen künstlerischen Gestalter, der die Tradition am würdigsten weiterführen kann. Dr. Hilpert, der langjährige Freund und Mitarbeiter Reinhardts, bezeichnet sich selbst nur als Diener am Werke. Wenn wir mit ihm sprechen, fühlen wir die Ehrfurcht vor der religiösen Atmosphäre, die von dem Mysterium ausstrahlt, und es wird sein Bemühen sein, den Glanz der Farbe so zu erhalten, wie er einst geschaffen worden ist. Also gleichsam Restaurator, nicht Maler will er sein, eine Aufgabe, die man dem Regisseur Hilpert um so höher anrechnen muß, da er selbst als starke, suggestive Persönlichkeit gewöhnt ist, seinen Aufführungen einen eigenen Stempel aufzuprägen. Die Aufgabe, die er sich gestellt hat, ist um so schwerer, als nur mehr drei Darsteller der Reinhardt-Inszenierung mitwirken. Alle neu hinzugekommenen Künstler müssen erst auf jenen Weg geführt werden, den Reinhardt beschritten hat; dabei muß die Individualität jedes einzelnen gewahrt bleiben, denn die Gefahr des Nachahmens liegt natürlich nahe. Hinzu kommt noch, daß die Erlebnisse und Eindrücke der letzten furchtbaren Jahre in uns allen so tiefe Spuren hinterlassen haben, daß manche Ausdrucksformen des Spieles heute nicht mehr wirken können und die Künstler nach neuer Gestaltung ringen, die vom Regisseur dem Gesamt-kunsfverk angepaßt werden muß.

Besonders Ewald Baiser, der neue „Jedermann“, hat an diesem schweren Ringen um die Tradition und Weiterentwicklung starken Anteil. Wir müssen, wie er selbst sagt, aus der Fülle des Vergangenen schöpfen und trotzdem neu anfangen. Dieses Neue fällt ihm leichter, da er nicht so traditionsgebunden wie Dr. Hilpert an seine Rollengestaltung herangeht und bei seiner künstlerisch stark ausgeprägten Persönlichkeit nicht Gefahr läuft, ein Nachahmer Moissis* zu werden.

Auch mit der Inszenierung der Opern „Figaros Hochzeit“ und „Rosenkavalier“ sind zwei neue Regisseure betraut worden, während „Don Giovanni“ in den Händen von Professor Lothar Wallerstein liegt, der zur alten Garde der künstlerischen Gestalter der Salzburger Festspiele zählt. Voll innerer Spannung und* Intensität erzählt Oskar Fritz Schuh der Regisseur der Wiener Staatsoper, von seinen Plänen. Wie heute viele Opernregisseure, kommt audi er vom Schauspiel her, war bereits als Filmregisseur erfolgreich tätig und stellt daher die Summe seiner Erfahrungen dem musikalischen Werk zur Verfügung. Bei Mozart, besonders bei „Figaros Hochzeit“, muß Duft und Grazie über den Gestalten schweben, die Figuren dürfen nicht voll ausgezeichnet sein, nur zarte Linien, die mehr andeuten und ahnen lassen, geben jene Beschwingtheit wieder, die in der Musik liegt.

Direktor Waelterlin vom Züricher Schauspielhaus hat kürzlich in Wien anläßlich des Schweizer Gastspiels einen interessanten Vortrag gehalten, und es ist besonders zu begrüßen, daß Salzburg in ihm einen Regisseur kennenlernt, der die künstlerische Entwicklung der letzten Jahre von einwanderen Warte betrachten und erleben konnte. Auch Direktor Waelterlin war ursprünglich Schauspieler und Regisseur des Schauspiels, hat aber schon anläßlich seiner Tätigkeit am Frankfurter Opernhaus musikalische Werke inszeniert und freut sich, nun bei den Festspielen in dieser Eigenschaft seine Fähigkeit in den Dienst der Sache stellen zu können. Gewiß wird ihm die nicht allzulange Probenzeit keine Möglichkeit geben, neue Wege zu beschreiten, um so mehr, da alle Sänger in ihren Partien studiert sind. Er sieht seine Hauptaufgabe darin, dem Geiste der Hofmanns-thalschen Dichtung und der Musik von Richard Strauß dadurch gerecht zu werden, daß er diesem wienerisch-musikalischen Lustspiel eine deutlich sichtbare Note gibt, nämlich Intrigenstück, Verkleidungskomödie und im letzten Akt auch parodierte Zauberposse zu sein. Gerade mit der Hofmannsthalschen Kulturtradition ist Direktor Waelterlin innerlich sehr verbunden. Er brachte vor einem Jahr am Schauspielhaus in Zürich das grandiose Trauerspiel „Der Turm“, ein überhistorisches Drama, das für alle Zeiten gültig ist, und — mit Käthe Gold in der Hauptrolle — die zwar venezianisch verkleidete, aber doch wienerische Maskenkomödie „Christinas Heimreise“.

Die drei neuen Verantwortlichen für die theatralische Gestaltung lassen erwarten, daß trotz ihrer Traditionsgebundenheit ein neues Stück österreichischer Theatergeschichte anhebt, damit die künstlerische Weltsendung Österreichs neu beglaubigt wird: Und das war ja von jeher der innerste Sinn des Salzburger Festspielgedankens.

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