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Triumph der Kurzoper

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Rom, im Februar

Das „Piccolo Teatro“ ist eine Erscheinungsform des italienischen Theaterlebens, die in den letzten Jahren, vor allem in der Nachkriegszeit, beim Publikum außerordentlichen Anklang gefunden hat. Rom und Mailand hatten diese Art von Kleinbühnen geschaffen und in der Auswahl fesselnder, kurzer Stücke die glücklichste Hand bewiesen. Und da es auch gelang, tüchtige Spielleiter und begeisterte Schauspieler für die Sache zu gewinnen, waren von der Seite der Bühne die besten Voraussetzungen gegeben. In überraschender Weise stellte sich aber auch das Publikum sehr positiv zum „Piccolo Teatro“. Psychologische Gründe mögen hierfür entscheidend gewesen sein: Das Theater in der Art des „Kammerspiels“ ist intimer, unverbindlicher und weniger verpflichtend als das große Theater von einst. Die Wirkung ist konzentrierter, die Atmosphäre gespannter und die Beziehung zwischen Bühne und Publikum enger, persönlicher. Auf die beiden Hauptstädte Nord- und Mittelitaliens folgten nun auch Neapel, Florenz und Bologna mit solchen Kleinbühnen.

Besonders bemerkenswert ist nun, daß sich das „Piccolo Teatro“ auch die Gattung der Oper mit . größtem Erfolg zu eigen macht. Wo immer in der i.tzten Zeit in Italien Kurzopern von ein- bis eineinhalbstündiger Dauer aufgeführt wurden, brachten sie künstlerisch das beste Gelingen und — was nicht weniger ausschlaggebend ist — auch gute Kasseneinnahmen. Die Erscheinung ist leicht erklärlich: Man hat heute nirgends, auch in den italienischen Städten nicht, Zeit und Muße, wie einst viele Stunden des Tages im Theater zuzubringen. (Um so weniger, als der Film mit seinem höchstens zwei Stunden währenden Vergnügen, seinen Spannungen und Sensationen den Wünschen und dem Geschmack der neuen Zeit viel mehr entgegenkommt!)

Der große Erfolg der „Piccolo Teatri“ gab einem römischen Musikologen und begeisterten Theaterfachmann, Nino Piccinelli, den Gedanken, dem Publikum heitere, unterhältende und kurze Kammeropern vorzuführen. So gründete er das „Piccolo Teatro in Musica della Cittä di Roma“, das im Quirino-Theater in Rom mit einem bemerkenswerten Programm ältester und modernster Kurzopern durchschlagende Erfolge errang.

Claudio Monteverdis „Kampf Tancreds mit Clorinda“ aus dem Jahre 1626 eröffnete den Zyklus. Das kleine Theater erwies sich als idealer Raum für ein Werk solcher Art, ein pantomimisches Tanzspiel mit begleitendem Sologesang nach einer. Szene aus Tassos „Befreitem Jerusalem“. Auch die römische Erstaufführung (!) des 1719 in Neapel aus der Taufe gehobenen „Triumphes der Ehre“ von Alessandro Scarlatti wurde zu einem Triumph der frühen neapolitanischen Musizier-Oper. Von Giovanni P a i s i e 11 o erschien das reizende „Duello comico“, das 1775 in Neapel seine Uraufführung erlebt hatte, in Rom als Neuheit! Mit der „Zigeunerin“ von Rinaldo da Capua (1715 bis 1780) und des „Geloso schernito“ von Pergolesi (1710 bis 1736) lernte man zwei typische Vertreter der neapolitanischen BufFo-Oper kennen. Und schließlich kam Giancarlo Menottis „Telefon“ endlich auch nach Rom, nachdem diese moderne Kurzoper schon in vielen italienischen Städten ihren Siegeszug erlebt hatte. Kaum mehr als eine halbe Stunde dauert dieses neckische Spiel, das mit seinem unablässigen Wechsel von heiteren und ernsteren Szenen ungemein anspricht. Der italienisch-amerikanische Komponist verstand es, zu einer dem heutigen Alltagsleben entnommenen Handlung eine musikalische Form zu linden, die originell, neuartig reich an ungewohnten Klangwirkungen, dabei aber keineswegs unbehaglich ist. Menotti bewies damit, daß der Oper auch heute noch Wege offenstehen, die das Publikum zu gewinnen vermögen.

Ganz in den Rahmen des „Piccolo Teatro“ paßte auch „Aucassin und Nicolette“, eine ent-»ückende Fabelhandlung aus dem 12. Jahrhundert, zu welcher Mario Castelnuovo-Tedesco eine interessante Musik geschrieben hatte. Zwei Singstimmen und Marionetten waren die „Personen“ der Handlung. Im „Piccolo Teatro“ kam auch die originelle Kinderoper von „Pierino und dem Wolf“ von Sergei Prokofieff mit Marionetten erstmalig in Italien zur Aufführung.

Das Publikum Italiens, das für die Oper der Welt immer noch maßgebend ist, hat die Kurzoper mit offenen Armen aufgenommen. An den Bühnen anderer Länder liegt es nun, diese große Chance der Oper auszunützen!

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