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Uraufführung der Schwarzen Spinne

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Nur einigen wenigen Freunden und Jüngern des 1959 in Wien im Alter von 76 Jahren verstorbenen Komponisten Josef Matthias Hauer, vielleicht noch einigen Musikologen, war bekannt, daß sich im Nachlaß des „geistigen Urhebers und (trotz vielen Nachahmern!) immer noch einzigen Kenners und Könners der Zwölftonmusik” — wie er sich selbst bezeichnete — zwei Opernpartituren befinden: „Salambo” nach Flauberts bekanntem Roman und „Die schwarze Spinne” nach der gleichnamigen Erzählung des Schweizer Pastors Albert Bitzius (Jeremias Gotthelf). Das Vorhandensein musikdramatischer Werke in der langen Reihe der Hauerschen Kompositionen ist allein schon merkwürdig genug und kann nicht anders als „geniale Inkonsequenz” bezeichnet werden. Denn was hat „die absolute, die kosmische Musik”, die „Sphärenharmonie, Offenbarung der Weltordnung und Orakelspiel”, mit einem einzelnen dramatischen oder novellistischen Stoff, was hat sie überhaupt mit krud-realitstiischem Weltgeschehen gemein? — Nichts deutet auf die beiden Opern Hauers hin, nichts Ähnliches folgt ihnen. Sein op. 1 von 1912 trug den Titel „Nomos in sieben Teilen für Klavier” und war Ferdinand Ebner gewidmet. Bis 1939 numerierte Hauer seine Werke, bis op. 89. In dieser Reihe steht „Salambo” als op. 60 mit der Jahreszahl 1929, „Die schwarze Spinne”, zuerst als „Mysterienspiel”, dann als „deutsches Singspiel” bezeichnet, ist 1931—1932 entstanden und trägt die Opusaahl 62. Ihr folgt, als op. 63, ein Konzertstück für Orchester und zwei Jahre später eines der Hauptwerke Hauers „Der Menschen Weg”, eine große Hölderlin-Kantate für Soli, Chor und Orchester, die den esoterischen Ruhm des selten aufgeführten Komponisten begründen half.

Um seine beiden Opern scheint sich Hauer wenig gekümmert zu haben, und von seinen Jüngern wurden sie eher verschwiegen, ja verleugnet, als geschätzt und hervorgehoben. Dabei zeigt der Griff gerade nach diesem Stoff den Dramatiker. 1939 wurde das gleiche Sujet von dem Schweizer Komponisten Sutermeister in einem Einakter und 1949 von dessen Landsmann Willy Burkhard, zu einer Kombination von Oper, Tanzdrama und Sprechstück benützt, welch letzterem die Rahmenerzählung Gotthelfs zugrunde liegt.

Die Anregung zu dieser Oper scheint von Hans Schlesinger ausgegangen zu sein, der, 1896 in Breslau geboren, zum Wahlwiener wurde und 1945 in Holland starb. Als Anreger, Volkshochschullehrer und Regisseur ist er vielen noch in dankbarer Erinnerung. Sein Textbuch für Hauer zeigt dramaturgisches Wissen und ist geschickt und wirkungsvoll gemacht. In dem zweiaktigen Drama geht es um den Bauernschinder Graf Hans von Stoffeln, der, ein Diener des Bösen, seine Untertanen in solche Verzweiflung treibt, daß auch sie dem Teufel verfallen, indem sie ihm ein ungetauftes Kind ausliefem wollen. Dazu hat Christine — bei Hauer Jesabel — sie überredet, in der Hoffnung, den „Grünen”, wie der Teufel hier heißt, betrügen zu können. Aber schließlich verwandelt sich Jesabel, auf deren Wange das böse Zeichen erscheint, selbst in die höllische Macht, die schwarze Spinne, welche den Krieg gegen die Wortbrüchigen eröffnet Neu eingeführt hat Hans Schlesinger (statt der Rahmenhandlung) die Figur des Narren, der mit seinen Ansprachen an das Publikum und seinen Kommentaren das Lehrhafte und Distanzierte des Spieles betont. Neu ist auch die Gestalt des jungen Ritters von Champsfleuri und die des Abtes, der durch die Taufe das Kind der Macht des Teufels entreißt und selbst ein Opfer der schwarzen Spinne wird.

Trotz mangelnder Bühnenerfahrung Hauers, aber dank der um so größeren Schlesingers, ist hier eine Oper mit echter Spannung und wirkungsvollen Situationen geschaffen worden; auch an Licht- und Farbsymbolen fehlt es nicht (Regenbogen, blutroter Himmel, Donner und Blitz). Von Bedeutung ist auch der Chor, der auf weite Strecken die Vierklänge der Reihe fast mechanisch absingt, aber gerade dadurch — ähnlich wie in der antiken Tragödie — eine eindringlich statuarische und deklamatorische Wirkung erzielt. Die Singstimmen sind mit erstaunlicher Großzügigkeit gegenüber dem eigenen System, und oft auch wirkungsvoll-dramatisch geführt, das Orchester klingt stets farbig und fesselnd — wenn auch immer in einem bestimmten harmonischen Stil und Duktus — was der gegen Stillosig- keit, Klangschwelgerei und funktionsloses Ornament Allergische als Wohltat empfindet. Bedenkt man daß das ganze Werk auf einer einzigen, aus Terzintervallen bestehenden Zwölftonreihe aufgebaut ist, die neunmal verwendet wird und 180 Reihenbausteine ergibt, die ihrerseits zweimal und dann noch ein drittes Mal bis zur 74. Gruppe abgespielt werden, dann steht man voller Bewunderung vor einem trotz solch strengen musikalischen Ablaufs dramatischen Werk, das zudem nur zwei Taktarten (2/ und%) kennt und meist in Vierklängen gesetzt ist.

Bei der Uraufführung im Theater an der Wien hörten wir freilich auch Homophones und siebentönige Akkorde. Wie überhaupt — und das ist ein wichtiger Aspekt des ganzen Unternehmens — sich die Frage erhebt, inwieweit wir überhaupt Hauers Partitur gehört haben. Seine Musik war es ohne Zweifel, da können wir uns auf unsere Ohren und die Gewissenhaftigkeit des Musikologen Dr. Fritz Racek verlassen, der — eine unvorstellbar schwierige, aber im höchsten Grade verdienstvolle Aufgabe — die musikalische, vor allem die orchestrale Einrichtung besorgte.

Angesicht der musikhistorischen Bedeutung des Werkes müssen wir uns, was die Wiedergabe betrifft, auf einige kurze Angaben beschränken. Kurt Wilhelm hat das Stück eher ein wenig konventionell inszeniert. Die Bühnenbüder von Gerhard Hruby hätten weiträumiger sein und den Charakter des Mysterienspieles stärker betonen müssen. Eine Entdeckung für Wien: die dekorative und großartig singende Althea Bridges, spiel- und stimmgewandt Paul Huddleston als Narr mit der Laute, ferner Ernst Gutstein — Graf von Stoffeln, Maurice Besançon — Ritter Peter, Otto von Rohr — Abt, Marily Tyler — Maria, die Kindesmutter, Kunikazu Ohashi — Kellermeister und Paul Schäffler als eindrucksvoll dämonischer „Grüner” — um nur die wichtigsten aus dem Dutzend Hauptdarsteller zu erwähnen. Besondere Anerkennung aber gebührt dem Dirigenten Michael Gielen, der, als Schönbergverehrer und -Interpret bekannt, hier mit ebenso bedeutender Anstrengung wie Einfühlung das Werk des „Gegenspieler” aus der Taufe gehoben und zu wirkungsvoller musikalischer Darstellung gebracht hat. Das war ihm natürlich nur möglich dank des vorbehaltlosen Einsatzes des Wiener Staatsopernchores und der Symphoniker, von denen man hört, daß sie sich im Lauf der Proben nicht nur mit den Schwierigkeiten der Musik vertraut gemacht, sondern auch deren Schönheit erkannt haben.

Denn diese Musik — obwohl „zwölftönig” und „atonal” — klingt absolut harmonisch, wenn auch nirgends, nichts drei Takte lang, epigonal oder gar banal. Das mag, neben den hervorragenden Leistungen der Hauptdarsteller — zu dem ausgesprochenen Publikumserfolg nicht unwesentlich beigetragen haben. Jene allerdings — und es waren ihrer recht viele im Zuschauerraum —, die Hauer und sein Werk verehren, applaudierten auch noch aus anderen Gründen

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