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„Vanessa“ und „International Ballet“

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Nachdem bereits Monate vor Beginn der Festspiele an dieser Stelle allgemeine und grundsätzliche Bedenken gegen die Uebernahme der im Jänner dieses Jahres in New York uraufgeführten Oper „V a n e s s a“ von Samuel B a r b e r und Gian-Carlo Menotti, und zwar (in englischer Sprache) mit der Besetzung, der Inszenierung und dem Dirigenten der Metropolitan Opera, vorgetragen worden sind, könnte man nunmehr, post festum, versuchen, dem amerikanischen Werk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dort und damals, nach der Premiere an der Met, wurde „Vanessa“ von der amerikanischen Kritik als „die beste amerikanische Oper, die je am Broadway und an der 39. Straße aufgeführt worden ist“ gefeiert („New York Times“), und „The New Yorker“ verstieg sich sogar zu der Behauptung, daß dieses Werk Qualitäten besitze, „welche die Placierung an der Seite der großen Opernschöpfungen der Vergangenheit ermöglichen wird“. W i r hingegen können in dieser Gemeinschaftsproduktion des bühnengewandten Menotti und des kultivierten Komponisten Barber nur ein „Nachholwerk“ sehen. Nachgeholt wird die europäische Opernentwicklung der letzten 50 bis 70 Jahre von Puccini, Schillings und d'Albert bis Richard Strauß, Schreker und Korngold; nachgeholt wird auch das sentimentale psychologisch-realistische Theater von Sudermann bis Ibsen und Schnitzler. Der wenig sympathische junge Held des Werkes heißt nicht umsonst Anatol, und in der Partitur Barbers gibt es Anklänge an alle die genannten Komponisten: von Puccinischen Kantilenen über Straußsche Walzer und Koloraturen bis zum Schlußquintett (das die musikalisch wirkungsvollste, aber nach den Ensembles der „Meistersinger“ und des „Rosenkavaliers“ peinlichste Reminiszenz ist).

Das Sujet in Kürze; Auf ihrem Landgut, um 1905, erwartet Vanessa den Geliebten, der sie vor 20 Jahren verlassen hat. Statt seiner erscheint jedoch der Sohn des Ungetreuen, Anatol II, mit dem sie, in der letzten Szene des Schlußaktes, glücklich zur Hochzeitsreise nach Paris aufbricht. Aber in der Zwischenzeit (2. und 3. Akt) hat Anatol, der seinem Namen alle Ehre macht, mit der jugendlich unerfahrenen Nichte der Titelheldin genau das gleiche angestellt wie einst sein Vater mit Vanessa. Und am Ende sitzt Erika (die einzige Anteil erweckende Gestalt dieses Spiels) — nachdem sie einen Selbstmordversuch unternommen hat — allein und verlassen da. Und wartet — auf Anatol II, oder auf Anatol III? Wir erfahren es nicht.

Dem Komponisten Barber kann zugute gehalten werden, daß seine Musik, obwohl sehr eklektisch und unpersönlich, selten unter ein gewisses Niveau sinkt, daß ihm einige melodische Treffer gelungen sind und daß er für die Singstimmen gut zu schreiben versteht. Auch das Orchester glänzt in vielen (freilich allzu bekannten) Farben. Die relativ originellste und anspruchsvollste Musik findet sich im 1. Akt. Und auch hierin befinden wir uns im Gegensatz zu den amerikanischen Kritikern, die behaupten, daß sich zu Beginn der Oper der Komponist tastend selbst suche, während in den folgenden Bildern „sein Vertrauen wächst und seine Musik die Starre verliert“. Ja, das tut sie, aber nur, um Banalitäten Raum zu geben, die für uns schwer erträglich sind.

Das Bühnenbild und die Kostüme von Cecil Beaton waren stilgerecht (19051), aber von exemplarischer Häßlichkeit, die Regie des Textautors Menotti derb-realistisch — und trotzdem nicht immer logisch. Die Besetzung der Titelpartie mit Eleanor S t e b e r kann nicht als glücklich bezeichnet werden; dagegen lernte man in der jungen Libanesin Rosalind Elias als Erika und in Nikolai G e d d a gute Sänger und ausdrucksvolle Schauspieler kennen. Auch die Nebenrollen waren mit besten Kräften besetzt: Ira Malaniuk als Vanessas Mutter, Giorgio Tozzi als alter Hausarzt, Alois Pernerstorfer als Kammerdiener Nicholas und Norman Fester als Diener. — Dimitri Mitropoulos und die Wiener Philharmoniker setzten ihre ganze Meisterschaft bei einem Versuch am untauglichen Objekt ein.

Das „International Ballet“ des Marquis de Cuevas gab während der Salzburger Festspiele vier Abende mit zwei verschiedenen Programmen und insgesamt acht Balletten. In dieser Truppe wirkt eine Reihe von Tänzern, denen man ohne Zögern das Prädikat „Weltklasse“ zuerkennen darf: Rosella Hightower, Nina Vyroubova, die bildschöne Daphne Dale und die junge Jacqueline Moreau; Wasil Turpin, Serge Golovin, Georges Goviloff, Nicolas Polajenko u a. — Und man tanzt nach den besten zeitgenössischen Choreographien von Serge Lifar, Georges Balanchine, Leonide Mas-sine, George Skibine, Janine Charrat und John Tarras.

Das große, “wahrhaft internationale Ensemble wirkt wohl. diszipliniert, aber keineswegs „gedrillt“, ,so daß jederzeit die glückliche Synthese WlOrd-“nung und Gelöstheit, „Anmut una Wrde, Arcnitek-toM 'W VeWel&eif “'entsteh * deren T&ultät vollkommene Schönheit ist. Diese wird in älteren, konventionelleren Stücken, wie dem 2. Akt von „Schwanensee“ oder kunstvollen Pas-de-Deux ebenso realisiert wie in abstrakteren („Diagramme“), folkloristischen („Le Prisonnier du Caucase“ nach Musik von Chatschaturian) oder burlesken („Gälte Pari-sienne“ nach Melodien von Offenbach).

Die Palme möchten wir zwei Tanzschöpfungen reichen: Serg*e Lifars Ballett „Noir et B1 an c“ nach Musik von L a 1 o mit einem bezaubernd schönen ersten Bild und dem hinreißenden Finale sowie dem von nur vier Tänzern und einer Ballerina getanzten „Diagramme“ nach Bachs 6. Brandenburgischen Konzert in der Choreographie von Janine Charrat. Mit seiner der Polyphonie der Musik angepaßten Bewegung, den eleganten Kostümen in Schwarzweiß und dem ebenfalls in Schwarzweiß gehaltenen Lineament des Hintergrunds ist dieses Ballett eine Hohe Schule des Geschmacks, die man nicht oft genug besuchen kann. — Ein Glanzstück waren auch die Kostüme von Georges Wakhewitsch zu dem kaukasischen Ballett nach Musik aus „Gayane“ von Chatschaturian.

Was man in einzelnen Balletten vom Mozarteumorchester zu hören bekam, war freilich von geringerer Vollkommenheit und nicht immer festspielmäßig.

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