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Verfilmte Klassiker

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Shakespeares „H e i n r i c h V.“ ist zweifellos von den Engländern sehr wirksam verfilmt worden. Um es gleich, zu sagen: obzwar die einzelnen Szenen farbig außerordentlich sorgfältig und sehr oft bezaubernd durchkomponiert sind, wenngleich sie manchmal zu sehr die süße Farbgebung angelsächsischer Kitschbilder erreichen, obwohl die Gebärdensprache durch ihre Drastik spricht und der Tonfall der Stimmen selbst dort, wo es schwierig wird den Dialog zu verstehen, seine vollen Reize entfaltet, wird streckenweise selbst dem Sprachkundigen das Verständnis schwer. Shakespeare wird auch in seinem Vaterlande mit dem Lexikon gelesen und es hat nicht viel Sinn, diesen Film, der ohne erklärende Untertitel läuft, zu besuchen, ohne daß man wenigstens die Handlung der wichtigsten Szenen noch einigermaßen im Gedächtnis hat. Unter den Königsdramen bietet „Heinrich V.“ nach „Richard III“ wohl die beste Gelegenheit für den Hauptdarsteller, sich auszuzeichnen. In diesem Sinne ist auch dieser Film ein

Starfilm geworden. Seine filmische Widmung an die englischen Kommandos und Luftlandetruppen hat mehr Bedeutung, als nur die Darstellung einer Invasion des Kontinents zu Anfang des 15. Jahrhunderts vergleichsweise wiedererstehen zu lassen. Das Drama will gewiß wie einst so auch jetzt wieder dem Engländer die Größe seines Imperiums und die ihm innewohnende Kraft vor Augen führen. Statt der ruhmredigen Franzosen des Dramas, die ihrer furchtbaren Niederlage entgegengehen, braucht er sich nur den zuletzt niedergerungenen Gegner zu denken. Daß der von Tragik umwitterte französische König des Dramas im Film einer Jammergestalt weidit, wirkt wie gezwungene Lustigkeit: als Gegengewicht zum Alpdruck des besiegten deutschen Tyrannen. Folgt der Dialog auch wörtlich dem Original, so ist er doch beschnitten wie die Handlung; wenn etwa allzuviel Spott auf einige abenteuerliche Soldaten fällt, begnügt sich der Film mit publikumswirksamem Spott, Fal-staffs Ende wird aus dem jämmerlichen Untergang in die Ebene des Prophetisdien übertragen, die historische Verschwörung gegen den König, ehe er nach Frankreich fährt, fehlt, und es gibt auch keinen Soldaten des Königs, der aufgehängt wird, sie sind nur Possenreißer zum Vergnügen des Publikums, nicht Schurken. Es sind nur geringe Striche, sie kennzeichnen jedoch diesen Unterschied von der Zeit, da Tod, Ehre oder Heiligkeit noch große Dinge waren, und der Gegenwart, die ein wenig eitel ein paar schlechte Seiten des Lebens verbirgt, weil sie zu großen Fragen nach den letzten Dingen zwingen. Rein filmisch gesehen, haben diese Abstriche dem langatmigen Drama sehr wohl getan. Das Übergleiten des Films von der Bühne, ärmlichen Brettern mit dürftigen Kulissen, in eine Wirklidikeit, die halb noch Theater bleibt, in den Sdiladitszenen jedoch auf den braungrünen Wiesen Irlands sich abspielt, wird vom Prolog schon gefordert und beginnt mit der Einschiffung des Heeres, wohlausgewogen in dem letztmöglichen Zeitpunkt. Bis dahin hat die Schilderung des Theaters aus dem Jahre 1600 den Zuschauer gefesselt, nun aber muß er allein dem Gang der Geschichte folgen. Eine wunderbare und echt filmische Captatio benevolentiae. Und über allem wirken Stimmen und Farben; Farben wie sie, solange sie noch in den Kulissen des Filmateliers bleiben, noch in keinem Film so schön waren, wogegen die Außenaufnahmen fast die Illusion des Wirklidien stören. Für jene, die sich durch das Lesen des Dramas nicht auf diesen Film vorbereiten wollen, sei bemerkt, daß natürlich die sdion verfilmten Dramen „Sommernachtstraum“ oder „Wie es euch gefällt“ in einem solchen Fall sich von bedeutend größerer Wirkung gezeigt haben.

Hat England seine zweite große Shakespeare-Verfilmung erfolgreich beendet, hat das tedmlsierende Rußland nach dem technischen Utopisten Jules Verne gegriffen und in einer Anwandlung von Romantik die Geschichte vom „Fünfzehnjährigen Kapitän“ verfilmt, die erstaunlich echt und abenteuerlich wirkt: Eine Seefahrt vom Stillen Ozean nach Afrika, wo noch die S'klavenjäger unheilvoll wirken, ein“ ritterlicher Bub und ein Bösewicht, der letzten Endes doch nicht triumphiert. Hier gibt es noch Segel, keine Dieselmotoren, Revolver und Speere, keine Maschinengewehre, kein Radar, sondern n ich den guten, alten, magnetischen Kompaß, den eine eiserne Hacke so ablenkt, daß aus einer schlichten Überfahrt auf der kürzesten Linie eine Umsegelung des stürmischen Kap Horns wird, dessen Schilderung einst Millionen Buben entzückt hat. Im Ursprungsland dieses Filmes gibt es keine unpolitische Kunst In diesem Film jedoch nach uneren Begriffen eine bestimmte politische Lehre zu finden, dürfte mit Sicher heit nicht gelingen, es sei denn in der verwunderten Reaktion dörflichen Publikums, ob es so etwas wie Slavenhändler in Afrika noch gibt und ob man die afrikanischen Neger nicht doch auch befreien müßte von den weißen Sklavenjägern mit ihren spanischen Namen.

Das Problem der .Korrektionsanstalten für Jugendliche, wie es die Franzosen wiederholt im Roman, wofür „Die Thi-baults“ ein Beispiel sind, und auch im Film öfters aufgeworfen haben, kennen wir augenscheinlich gar nicht „Der N a c h t i-

g a 11 e n k ä f i g“ steht sinnbildlich für eine solche Anstalt, in der ein einziger mutiger und gütiger Lehrer aus den Kindern Menschen macht, indem er aus ihnen einen Chor bildet. Aus der Durchführung dieses, übrigens nicht schlecht deutsch nachsynchronisierten französischen Filmes merkt man allerdings zu deutlich, daß er dazu bestimmt ist, einem vorzüglichen französischen Knabenchpr und dem Hauptdarsteller und Regisseur dieses Filmes Gelegenheit zum Auftreten zu geben. So ist hier versäumt worden, den ethischen Grundgehalt dieses Filmes stärker wirken zu lassen, welchen Mangel aus anderen Gründen auch die Filmreprise des französischen Filmes „La belle equipe“ unter dem Titel „Vi er Freunde“ aufweist, da die Kameradschaft der vier Arbeitslosen, denen der Haupttreffer der Nationallotterie die Begründung einer eigenen Existenz verschafft, durch die eifersüchtige Rivalität

um ein wertloses Frauenzimmer schwer beeinträchtigt wird. Man fragt sich auch hierx wie so oft in französischen Filmen, warum denn geradezu Perversitäten einen Film noch ausschmücken müssen, der ohne diese besser wäre. Und vor zehn Jahren hat dieser Film als gut gegolten.

Luftig und leicht wird das Problem von Liebe und Eifersucht in dem französischen Film „Das schöne Abenteuer“ behandelt, so daß man in dieser Komödie der Verwechslungen nicht böse werden kann. Sorglose Leute, die auf Schlössern leben, machen dem Zuschauer nicht viel Kopfzerbrechen und er geht, wenn ihm der leichte Ton liegt, willig mit. Ein klein wenig schwerer wiegt das gleiche Problem in „M ademoiselle Beatrice“ — ein Starfilm und noch dazu veraltet. Seltsam, wie sehr wir uns von der Rührung früherer Zeiten entfernen.

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