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Vom Brutalen zum Satirischen

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Das Gegenwartstheater vermittelt immer wieder eine Vielfalt gegensätzlicher Eindrücke. Schon bei drei Premieren läßt sich dies feststellen. Dabei entsteht die Frage, inwieweit neue Bühnenwerke die Erlebniswelt des heutigen Menschen vorführen, welche Beziehungen bei älteren zu ihr erstehen.

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Das Gegenwartstheater vermittelt immer wieder eine Vielfalt gegensätzlicher Eindrücke. Schon bei drei Premieren läßt sich dies feststellen. Dabei entsteht die Frage, inwieweit neue Bühnenwerke die Erlebniswelt des heutigen Menschen vorführen, welche Beziehungen bei älteren zu ihr erstehen.

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So gibt es Stücke, die eine Gegenwartssituation ausdrücken und doch zugleich eine Zukunft keimträchtig enthalten. Das ist bei der Komödie „Trommeln in der Nacht" der Fall, die kurz vor dem ersten Weltkrieg in München als erstes Bühnenwerk von Bertold Brecht zur Aufführung gelangte. Wie das Stück heute, nach 46 Jahren, wirkt, diese Frage regt die derzeitige Aufführung im Ateliertheater an.

Kragler kehrt aus der Gefangenschaft zurück und findet seine Verlobte Anna einem Kriegsgewinnler versprochen, mit einem Kind unter dem Herzen, doch am Schluß geht sie doch wieder mit ihm. Heimkehrerstücke gibt es viele, auch hier wirkt dieses Geschehen durchaus konventionell. Gar nicht konventionell ist die Kälte, die aus dem Werk strömt, die Vehemenz der Brutalität, die fast in jedem Wort spürbar wird. Nackte Selbstsucht beherrscht die Menschen, vorweg Annas Vater, ebenfalls ein Kriegsgewinnler, der Kragler als „stinkenden Leichnam“ abgeschrieben hatte. Selbst Anna fragt ihren ehemaligen Verlobten, ob ihn nicht die Fische gefressen haben. An diesen Menschen sind die inneren Voraussetzungen für all das Grauen, das später kam, mit einer heute beinahe unheimlich wirkenden Klarheit und Schonungslosigkeit aufgezeigt, ohne daß Brecht das Kommende damals voraussehen konnte. Fast explosiv ballen sich hier die Kräfte.

Den Hintergrund des Geschehens bildet der heute bereits weit zurückliegende Spartacus-Aufstand. Um ihn stärker bewußt zu machen, läßt der Regisseur Peter M. Birkhofer am Anfang und vor jedem Szenenwechsel Manifeste und Nachrichten jener Zeit verlesen. Die Gestalten nach George-Grosz-Manier zu karikieren, könnte naheliegen. Es wird dies aber von den Darstellern — Uwe Behrend, Miriam Gentner, Kurt Radlecker, Eva Petri, Josef Pechhacker in den Hauptrollen — vorteilhafterweise vermieden. Kritik am Einst ist nicht Sache des Theaters. Der Bühnenbildner Peter Stöger ordnet innerhalb dreier neutraler Wände lediglich Versatzstücke und Möbel an, die er von den Darstellern auswechseln läßt.

Im Theater der Courage bestätigt eich wieder eine für das heutige Theater kennzeichnende Erfahrung. In europäischer Erstaufführung wird da das Stück „Dieser Sommer, dieser Herbst" des vierzigjährigen Amerikaners Frank D. Gilroy gespielt, von dem man vor drei Jahren im Kleinen Theater der Josefstadt ein Schauspiel sah, das ein fesselndes Problem behandelte. Nichts davon hier. Eine jüngere Frau, die mit einem etwas älteren Mann verheiratet ist, unterdrückt zunächst ihre Neigung zu dessen unehelichem Sohn, tötet sich schließlich, als sie auf keine Gegenliebe stößt. Zweifellos ist das ein Geschehen, das sich ereignen kann, es wirkt aber heute viel zuwenig gewichtig, um für ein ernstes Stück tragfähig zu sein. Vollends wird dem Autor ein Tod um privater, nicht einmal zwingender Gründe wegen in unserer Zeit grauenvoller Kriege kaum mehr, wie der theaterübliche Ausdruck lautet, „abgenommen“. Passable Aufführung unter der Regie von Werner Prinz.

Nestroys Stücke konnten bisher außerhalb unseres Mundartbereichs nur unter Mitwirkung österreichischer Schauspieler deckend dargestellt werden. Nun zeigte das zweitägige Gastspiel des Prager Theaters vor dem Tor im Akademietheater, daß das Essentielle dieses Dramatikers auch ohne das Wiener Idiom zu starker Bühnenwirkung gelangen kann. Eine bedeutungsvolle Erkenntnis. Und zwar vereinigten Karel Kraus und Zdenek Mahler Teile aus den „Beiden Nachtwandlern“ und dem „Zerrissenen“ unter : dem Titel „Strick mit einem Ende“ ‘ zu einer neuen Posse mit Gesang und setzten für den Dialog Stellen aus anderen Nestroy-Stücken ein, so 1 daß ein Konzentrat Nestroyscher ‘ satirischer Weltbetrachtung ent- stand, wie es die originalen Stücke nicht besitzen können.

Otomar Krejca beschränkte als Regisseur das Biedermeierliche auf ‘ die Kostüme, er ließ das Stück vor : einer geschwungenen Wand des 1 Bühnenbildners Josef Swoboda 1 spielen, die sich nur partiell für Schauplatzandeutungen öffnet und stellte zur ansprechend modernen Musik von Petr Hapka die gesamte Aufführung auf vielfältigen Bewegungseinsatz. Jan Triska als Lips, Maria Tomasova als Madame Glan- zova alias Schleyer erbrachten mit den anderen Mitwirkenden eindrucksvolle Leistungen. Damit wurde eine für die Wiener Nestroy-Wiedergabe ungewohnte, überaus reizvolle, sich dem Musical nähernde Darbietung erreicht, die dabei das Wort Nestroys zu stärkster Wirkung steigert.

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