Von Menschen vor einer Mondlandschaft

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"Andrea Breth verweigert der Familie so ostentativ die Behausung, dass die Bühne zur Chiffre für eine tiefere, existenziellere Heimatlosigkeit wird. Sie ist eine Landschaft des Todes."

Über seine 1941 geschriebene Familientragödie sagte Eugene O'Neill (1888-1953) einmal, sie sei geboren worden "aus frühem Schmerz". Tatsächlich verarbeitete der amerikanische Literaturnobelpreisträger von 1936 in "Eines langen Tages Reise in die Nacht" so unverhüllt die eigene Familiengeschichte, dass die Uraufführung erst drei Jahre nach dem Tod des Autors hat stattfinden können.

In der Tat kann man bei dem viel gespielten Stück, das wegen seines autobiographischen Furors viel mehr allein dem Autor und kaum der Welt zu gehören scheint, immer wieder fragen, was es uns und darüber hinaus zu unserer Gegenwart zu sagen hat. Man durfte also gespannt sein, ob und wenn ja wie Andrea Breth in ihrer Inszenierung am Burgtheater die familiäre Konfliktgestaltung über die Privatgeschichte O'Neills hinaus und allenfalls als Ergebnis allgemeinerer gesellschaftlicher Befunde lesbar machen würde.

Kontrast von Gesagtem und Gesehenem

Wenn sich der Vorhang zu diesem Abend hebt, verliest eine Stimme aus dem Off in getragenem Ton, mit bedächtig gesetzten Pausen die lange Bühnenbeschreibung des Sommerhauses der Familie Tyrone, die O'Neill seinem Stück vorangestellt hat. Auf der nur in schwaches Licht getauchten Bühne ist davon allerdings nichts zu sehen.

Das Gesagte und das was wir sehen, könnte nicht in größerem Kontrast zueinander stehen: Statt auf Veranda, Salon, Essoder Wohnzimmer, wo ein Porträt Shakespeares an einer Wand hängen oder wo Bücherregale mit Werken von Stendhal, Schopenhauer oder Swinburne Hinweise auf die Vorlieben und gar ganze Lebensphilosophien der Schauspielerfamilie geben sollten, lassen uns Andrea Breth und ihr Bühnenbildner Martin Zehetgruber in ein weites, dunkles und beinahe leeres Rund blicken. Die in Bewegung gesetzte Drehbühne zeigt eine, durch Gesteinsbrocken wie pechschwarzes Vulkangeschiebe zergliederte Ebene, die durch ein kleines Rinnsal geteilt ist. Vorne links steht ein Stuhl, ganz weit hinten in der Tiefe des Raumes ist das weiß schimmernde riesige Skelett eines gestrandeten Wals auszumachen. So gar nichts erinnert hier an ein Sommerhaus, wenig überhaupt an eine bewohnbare Welt.

Das Personal des Stückes ist den ganzen Abend über immer wieder zu beobachten, wie es einsam weit hinten durch diese Landschaft taumelt, wie auf der Suche nach einem Ausgang, einem Ausweg. - Ein Anfang mit Programm! Er gibt nicht nur den elegischen, hohen Ton vor -und es ist tatsächlich beeindruckend, wie Breth das hier angeschlagene Tempo oder besser die Langsamkeit über satte vier Stunden beibehalten kann -, er verweist auch schon auf die zirkuläre Form des Dramas, darauf, dass sich hier alles im Kreis drehen wird, dass es aus der Mechanik der Familie kein Entrinnen geben wird. Schließlich verweigert Breth der Familie so ostentativ die Behausung, dass Bühne zur Chiffre für eine tiefere, existenziellere Heimatlosigkeit wird. Sie ist eine Landschaft des Todes, der das gesamte Alltagsleben durchdringt.

Ob diese etwas überspannte Symbolik dem Stück zu einer über das Private hinausgehenden Deutung verhilft, bleibe für einmal dahingestellt. Was Breth aber mit O'Neills Stück auf das Herz anrührende Weise zu erzählen vermag, sind Menschen mit unerfüllten Sehnsüchten, verschütteten Lebenswünschen und kleinen Fehlern mit großer Wirkung.

Selbstentfremdung und Absterben

Das an einem einzigen langen Augusttag des Jahres 1912 spielende Stück enthüllt nach und nach die Geschichte der Familie Tyrone und zeigt ihre durch biografische Umstände erzwungene Abgeschlossenheit. Das Familienoberhaupt ist James Tyrone, ein ehemaliger, etwas verkommener Schauspieler, jetzt vor allem Grundstückspekulant und Alkoholiker, dessen notorischer Geiz Sven-Eric Bechtolf in einer Mischung aus Verlegenheit, Angst, Verdrängung und cholerischen Rechtfertigungstiraden spielt. Und da ist der ältere Sohn James jun., ein immer noch am väterlichen Geldbeutel hängender mittelmäßiger Schauspieler, ebenfalls Alkoholiker. Alexander Fehling spielt ihn anfänglich als trotziger Kraftmeier, der sich durch Intensität gegen das Ersticken in den Fesseln der Familie zu stemmen versucht und dann, als er von einer Bordelltour besoffen nach Hause kommt, als bemitleidenswertes Häufchen Elend und liebenden Bruder. Das Zentrum des Stückes aber bildet die Mutter Mary, die, in ihrer Jugend eine Karriere als Pianistin vor Augen, sich für die Ehe entschieden hat und seit der Geburt ihres jüngeren Sohnes morphiumabhängig ist. Corinna Kirchhoff spielt sie (nicht immer passend) als große Tragödin, die nervös und reizbar ihren Rückfall nicht nur zu verdrängen und vertuschen versucht, sondern die Schuld daran ihrem Mann in die Schuhe schiebt. Und schließlich ist da der jüngere Sohn Edmund, ebenfalls dem Alkohol nicht entsagender Schauspieler. August Diehl spielt ihn als sanften, etwas schwermütigen, nihilistischen, die Gewissheit der todbringenden Tuberkuloseerkrankung ertragenden Dulder.

Worum es Breth in ihrer Deutung geht, ist so leicht nicht zu erkennen. Selbstentfremdung und Absterben des Ichs, die Flucht aus der inneren Leere in eine äußere Leere, Geld, Alkohol, Drogen, Bordelle. Absterben des Glaubens an etwas Höheres, Einsicht in die Nichtigkeit des Lebens oder ganz einfach Einblick in die unhintergehbare Mechanik von Familie: durch äußere Umstände aneinandergekettet, aneinander leidend und einander liebend -trotz allem?

Eines langen Tages Reise in die Nacht Burgtheater, 1., 12., 13. Mai

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