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Von Musik und Musikern

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Diesem Standardwerk gebührt der Adelstitel „der Georgii“, so wie man sagt: „der Duden“ oder „der Riemann“. Erfreulich, daß sich auch der äußere Erfolg eingestellt hat: das 1941 (man bedenke den Zeitpunkt!) erstmals erschienene Werk kann bereits in 3. Auflage herausgegeben werden. Der Autor nennt sein Werk im Untertitel: Geschichte der Musik zu zwei und vier Händen von den Anfängen bis zur Gegenwart. In einem „Anhang“ behandelt er die Musik für eine Hand, drei, fünf und sechs Hände (das gibt es!). Geboten wird nicht nur ein chronologischer und kommentierter Katalog, sondern eine wirkliche Entwicklungsgeschichte der Klaviermusik, auch vom Schöpferischen her. Zwar wird das Werk durchaus den Forderungen gerecht, die man bei wissenschaftlichem Gebrauch zu stellen berechtigt ist, aber, so meint der Autor, darum brauche die Darstellung doch nicht farblos zu sein. Nein, das ist sie in der Tat nicht. Man lese zum Beispiel nach, was da auf knappen vier Seiten über Technisches und Aesthetisches der Klaviermusik Franz Schuberts steht. Oder man schlage die glänzende Charakteristik Franz Liszts auf, oder man lese — im Kapitel Felix Mendelssohn — die feine Bemerkung über die Beziehungen zwischen Etüde, Strophenlied und „Lied ohne Worte“. Oder man überzeuge sich von dem guten Geschmack und dem'reifen Urteil des Autors bei der Besprechung der Klaviermusik von Ernst Toch oder Ernst Kfenek, von Skrjabin oder Pro-kofieff. Daneben ist das Klavierwerk Schönbergs etwas zu kurz gekommen, ebenso das Bartöks (10 Zeilen für das wichtigste pädagogische Werk der Gegenwart, den „Mikrokosmos“, sind auf jeden Fall zu knapp). In der letzten Auflage wurden Deutschland und Oesterreich getrennt behandelt — natürlich nicht anläßlich von Schubert und Schumann —, sondern nur bei der Besprechung der zeitgenössischen Musik. In diesem Kapitel werden die Klavierwerke von Marx, Kornauth, Siegl, Einem, Markhl, Uray, Haager und einem weiteren halben Dutzend Komponisten ziemlich treffend, zum Teil kritisch, kommentiert. Besonders hervorzuheben ist ein übersichtlich geordnetes Literatur- sowie ein ausführliches Sachwort-und Namenregister.

Chopin. Wesen und Gestalt. Von Alfred C o r t o t. Atlantis-Verlag. 240 Seiten. Preis 12.95 sfrs.

Das Buch eines Musikers über einen Musiker, eines Pianisten über seinen Lieblingsautor, dem er ein lebenslanges Studium gewidmet hat: ein seltener Glücksfall im musikalischen Schrifttum! Es ist ein Werk der Einfühlung, der liebevollen Sympathie und der subtilen Interpretation. Kein „Elementarwerk“, sondern ein Chopin-Buch für Fortgeschrittene. Die einzelnen Kapitel tragen folgende Titel: „Beim Betrachten seiner Bildnisse“ (von denen fünf wiedergegeben sind, darunter zwei vom Totenbett), „Die Hand Chopins“ (mit der Reproduktion zweier Abgüsse), „Chopin als Lehrer“ (mit der photographischen Wiedergabe zweier Blätter eines Manuskripts), „Das Werk Chopins im Spiegel seines Briefwechsels“, „Was Chopin Frankreich schuldet“, „Chopins Konzerttätigkeit“ und „Charakterbild Chopins“. Chopin war kein Literat und als Selbstinterpret vielleicht der wortkargste aller neueren Komponisten. Aber eines wissen wir: er ließ „Musik ohne Hintergedanken“ nicht gelten, ja er verachtete sie. Was er an Freunde schrieb, ist zu persönlich, um auf die ästhetische Waage gelegt zu werden. Von Schumann, der ihm mit dem Artikel „Hut ab, ihr Herren, ein Genie“ einen berühmtgewordenen Willkommengruß entbot, spricht er als von „einem gewissen Deutschen“. Chopin war von seinen „Notennöten“, seiner Krankheit, seinem Heimweh und seinen vielerlei

Leiden ganz in Anspruch genommen. So geriet sein Versuch einer Darstellung der Musiktheorie kindlichunbeholfen, ja geradezu primitiv. Aber Cortot findet auch für diesen „weißen Fleck“ eine liebevolle Erklärung. Als Mensch war Chopin eine der undurchdringlichsten Erscheinungen. Seinen Freunden erschien er als Ariel, Marie d'Agoult bezeichnete ihn als eine überzuckerte Auster; man machte ihm zum Vorwurf, er leihe sich zwar mitunter her, gewähre sich aber nie, und bei ihm sei „lediglich der Husten zuverlässig“ . . . Menschliches, Allzumenschliches des Künstlers und seiner Beurteiler! Halten wir uns an seine Werke und an das subjektive, zauberhafte Chopin-Spiel Cortots.

Betrachtungen und Erinnerungen. Von Richard Strauß. Herausgegeben von Willi Schuh. Atlantis-Musikbücherei. 206 Seiten. Preis 9.35 sfrs.

Das Bändchen vereinigt Gedrucktes und Ungedrucktes aus den Jahren 1892 bis 1948, meist gelegentliche Aeußerungen, Zeitungsartikel, Vorreden, Nachrufe, Erläuterungen zu eigenen Werken, Dirigentenerfahrungen, Ratschläge an jüngere Kollegen sowie die leider nicht fortgeführten Aufzeichnungen „Aus meinen lugend- und Lehrjahren“ und die „Erinnerungen an die ersten Aufführungen meiner Opern“. Was ein Künstler vom Format eines Richard Strauß zu sagen hat, ist immer interessant, und zwar nicht nur für Strauß-Spezialisten, sondern für jeden Musikfreund, und der Leser bewundert immer wieder die Offenheit und Spontaneität eines Menschen, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte.

Die Musik des 20. Jahrhunderts. Von Ludwig K. Mayer. Verlagsbuchhandlung Leitner & Co., Wels-Wunsiedel-Zürich. 176 Seiten. Preis 36 S.

Der Autor, unseren Lesern durch zahlreiche Musikberichte aus Linz bekannt, läßt seinem 1. Bändchen, einem Abriß der Musikgeschichte bis an die Schwelle unserer Zeit, nun ein zweites folgen, das in den Kapiteln „Nachromantik“, „Der revolutionäre Umbruch“, „Neue Musik“ (beginnend mit der Gruppe der Six), „Neue Klassizität im Werden“ (bis zum Studio für elektronische Musik in Köln und die jüngsten Deutschen), „Neue Musik in der Sowjetunion und in Amerika“ knapp und übersichtlich die Musik der letzten 50 Jahre behandelt. Das reife, wohlausgewogene Urteil des Autors ist ebenso hervorzuheben wie die Zuverlässigkeit der einzelnen Daten und Titelangaben. Nur wer die uferlose Materie kennt, wird die Arbeit zu schätzen wissen. Als Einführung und sachliche Uebersicht vorzüglich geeignet.

Musik unterm Strich. Panorama der neuen Musik.

Von Fred K. P r i e b e r g. Karl Auer, Freiburg-München. 195 Seiten. Preis 9.50 DM.

Das Büchlein trägt die bezeichnende Widmung: „Für meine Mutter, für meinen Vater, denn sie schenkten mir dieses erregende Abenteuer, das man Leben heißt.“ Ein Abenteuer ist für den Verfasser auch die Musik seiner Zeit. Ihre Geschichte, ihre Entwicklung und ihre Systeme interessieren ihn weniger als ihre schimmernde, flackernde und stets wechselnde Oberfläche. Zu dieser Betrachtungsweise verführt natürlich schon das Genre, das musikalische Feuilleton „unterm Strich“. Der erste Essay trägt den Titel „Musik der Zukunft“, der letzte, von Gustav Mahler handelnd, „Kreisende Planeten und Sonnen“. Ueberhaupt die Titel dieses Büchleins: „Der Mörder am Kreuzweg“ (Strawinskys „Oedipus Rex“), „Der zwölfgetönte Krebs“ (über Dodekaphonik), „In Montfort wohnen Siamesenkatzen“ (Maurice Ravel), „Leicht wie ein Ei“ (Eric Satie), „Der dissonante Mörder“ (über Filmmusik) usw., usw.! Prieberg kann schreiben, aber er pickt sich freilich auch die Rosinen vom Kuchen. Am interessantesten und im eigensten Element ist er dort, wo er sich am weitesten von dem entfernt, was etwa der Stammabonnent der Philharmonischen Konzerte unter Musik versteht. So ist auch einer der fesselndsten Essays der über „Geräusche“. Daher kann man der angekündigten Studie des Verfassers über die „Musik des technischen Zeitalters“ (im gleichen Verlag) mit Interesse entgegensehen.

Das Schallplattenbuch. Von Kurt B 1 a u k o p f (Konzert und Oper). Verlag für Jugend und Volk, Wien, und Arthur Niggli-Willy Verkauf, Teufen. 192 Seiten. Preis 48.60 S.

Bei Werken dieser Art pflegt der unterfertigte Rezensent zunächst einmal unter dem Stichwort „Debussy“ den Titel „Prelude ä I'apres-midi d'un faune“ aufzuschlagen. Wenn dieser richtig gedruckt ist, mit allen Akzenten usw., dann wurde zumindest gewissenhaft Korrektur gelesen. Wenn er völlig verhaut ist, empfiehlt es sich, das Buch zur Seite zu legen. Hier stimmte der Titel — und einige hundert weitere Stichproben stimmten auch. Daran erkennen wir den Autor, der uns bereits eine ganze Reihe ausgezeichneter Musikbücher beschert hat (über die Symphonie, über Virtuosen, Dirigenten, Sänger usw.). Dieser kommentierte Katalog, im Wettlauf mit der riesig angewachsenen Produktion erarbeitet, enthält, nach Komponisten alphabetisch geordnet, eine gültige Auswahl der Orchestermusik und Kammermusik, der solistischen Instrumentalmusik, der Opern, Oratorien, Kirchenmusik, Lieder und Arien, hauptsächlich auf Langspielplatten. Das sachliche, immer präzis formulierte Urteil des Autors ist besonders bei der Kennzeichnung verschiedener Aufnahmen des gleichen Werkes von Wert. Diesem Führer durch das Labyrinth der unzähligen und dickleibigen Firmenkataloge darf sich der Schallplattenfreund getrost anvertrauen. Zu hoffen und zu wünschen wäre, daß es möglich sein wird, alljährlich eine Ergänzung erscheinen zu lassen.

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