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Weltstars beim Fest des Tanzes

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Wieder ist es Heinz Rosen, dem Ballettdirektor der Bayerischen Staatsoper, gelungen, ein Festival des Tanzes zu präsentieren, wie es in Europa nicht seinesgleichen hat. Seit der Ballettfestwoche 1963 hat sich vieles verändert. Einmal war es Heinz Rosen, der mit nimmermüder Intensität seine Idee verfolgt, München den Tanzmetropolen Paris, Moskau und London anzugleichen, möglich, eine Ballettakademie zu schaffen, die der Staatlichen Hochschule für Musik eingegliedert wurde, und zum andern findet die diesjährige Ballettfestwoche erstmals im wiederhergestellten Nationaltheater statt, was diesem Festival einen ungewöhnlich repräsentativen Rahmen verleiht. Schon die ersten beiden Abende übertrugen den Glanz des Hauses auf die faszinierenden Leistungen der Bühne. Den Anfang machte Harald Landers zauberhaftes Ballett „Etudes“, in dem das Corps de ballet der Bayerischen Staatsoper erneut unter Bew-eis stellte, daß es weitere beachtliche Fortschritte hinsichtlich der Präzision und der Vervollkommnung klassischen Tanzideals erzielen konnte. Es folgte in der ersten Festaufführung das unvermeidbare Ballett „Giselle“ nach Adolphe Adam, in der Inszenierung Heinz Rosens und der Einstudierung von Dulce Anaya, schwerelos und souverän getanzt von den begeistert akklamierten russischen Gästen des Bolschoi-Theaters Marina Kondratjewa und Wladimir Liepa.

Die Begegnung mit zwei der führendsten Choreographen unserer Tage, mit Kurt Jooss und George Baldachine, ist dem hervorragenden internationalen Ansehen Heinz Rosens zu danken. Kurt Jooss ist in die Ballettgeschichte eingegangen mit seinem Werk „Der Grüne Tisch“, und er hat diese Choreographie nun erstmals in Europa auf ein anderes Ensemble, nämlich das Ballett der Bayerischen Staatsoper übertragen. Es läßt sich nicht leugnen, daß wir am Expressionismus dieses, für den Stil des Ausdruckstanzes so typischen Opus längst vorübergegangen sind, daß uns sein Pathos unangenehm berührt, die Gestik museal anmutet, aber doch umfängt uns die Bewunderung für ein Werk von tiefer Ethik und genialer Gestaltung; und leider wird auch das Thema, daß man am grünen Tisch diskutiert, während das Volk verblutet, immer seine makabre Aktualität behalten. In Edith Demharter, Natascha Trofimowa, Margot Werner, Heino Hallhuber, Winfried Krisch, Gerhard Platiel, Wolfgang Reuter und Rolf Wärter hatte Kurt Jooss — der stürmisch gefeiert wurde — exzellente Tänzer, die seine Idee vorbildlich realisierten. Gerade entgegengesetzt zeigt sich die Auffassung George Balanchines von der Aufgabe des Balletts. In seiner Choreographie der „Scottish Symphony“, die er erstmals in Europa kreierte, geht es ihm in erster Linie um Schönheit, Anmut und Grazie, und wer könnte diese Kriterien vollkommener in Leben verwandeln als Suzanne Farrell, Konstanze Vernon und Jacques D’Amboise? Auch das Corps de ballet zeigte sich in der Einstudierung durch Una Kai äußerst gelöst und beschwingt. Der sensationelle Erfolg galt auch dem Bühnen- und Kostümbildner Bernhard Daydė und dem Dirigenten Wilhelm Killmayer, der Mendelssohns „Schottischer Symphonie“ immerhin einen kleinen Rest absoluter Musik zurückeroberte (die Frage, ob man die symphonische Musikliteratur so einfach für das Ballett „erschließen“ kann, wird immer eine ungelöste Frage bleiben).

Zweifellos stellt der Galaabend der Münchner Ballettfestwoche — ein Lieblingskind des Initiators Heinz Rosen — alljährlich den Höhepunkt dieses Festivals dar. An einem illustren, extravaganten Publikum ziehen in schier endloser Folge die „Pas de deux“ der ersten Tänze -1 der Welt’ vorüber,! l und- am Ende könnte man wahrhaftig nicht mehr sagen, wer nun die weitesten Sprünge, die gewagtesten Hebekombinationen oder gestochensten Pirouetten geboten hat. Aber Ballettdirektor Heinz Rosen will nicht nur eine Leistungsschau bieten, er will vielmehr die großen Meister ihres Faches anregen, eigene choreographische Konzeptionen vorzustellen. Bei der Vielzahl der Mitwirkenden ist es uns nicht möglich, auf Einzelheiten einzugehen, doch sollen die Künstler, die alle ihr Bestes gaben, namentlich genannt sein. Die Bayerische Staatsoper stellte selbst Margot Werner, Konstanze Vernon, Helga Heinrich, Wolfgang Reuter und Winfried Krisch. Vom New York City Ballet kamen Edward Villella, Suzanne Farrell, Jacques D’Amboise, Patricia MacBride und Andrė Prokovsky. Die Mailänder Scala war vertreten von Vera Colombo und Paolo Bar- toluzzi, während man von der Grand Opera Paris Claude Bessy, Liane Daydė und Juan Giuliano bewundern konnte, und erstmals begrüßte man Wera Kirowa und Assen Gavrilov von der Oper in Sofia.

Das Gastspiel des Royal-Ballet London, das die Ballettfestwoche 1964 in München beendete, teilte sich in zwei Programme. In das abendfüllende Ballett „La fille mal Gardie“ (Das übel gehütete Mädchen) nach der Musik von Ferdinand Herold (in der Fassung von 1828) und in der choreographischen Konzeption von Frederick Ashton und in einen Abend mit „Les Sylphides“, „The Invitation“ und „Hamlet“. Wenn auch das zweite Programm — mit einem eingelegten Pas de deux der faszinierenden Beriosova und ihres Partners MacLeary — den englischen Gästen mehr Gelegenheit bot, ihr tänzerisches Können zu zeigen und auch von ihrer Variationsfähigkeit und Vielseitigkeit zu überzeugen, so läßt sich doch nicht verschweigen, daß der berüchtigte englische Konservatismus auch Schatten auf die Ballettkunst wirft (Bühnenbilder!), was die glanzvollen Leistungen der Solisten Nadia Nerina, Svetlana Boriosova, Elizabeth Anderton, Lynn Sey- mour, Shirley Grahame, Donald MacLeary, Bryan Ashbridge oder David Blair keineswegs schmälert. Endlose Ovationen, die auch den Dank an Heinz Rosen zum Ausdruck brachten.

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