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Wien und der Burgtheaterdirektor

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Die einzigartige Stellung, die das Burgtheater im geistigen Leben Wiens eimnimmt, ist durch vielerlei Züge gekennzeichnet. Wenn sie ein objektiver Betrachter aber näher untersucht, muß er sich eingestehen, daß sie sich im Grunde nicht viel von den Kennzeichen unterscheiden, die die Liebe anderer Städte zu ihrem führenden Theater hinterlassen hat. Ein Umstand bleibt jedoch schließlich übrig, der sich nirgendwo sonst vorfindet als untęr dem Stephansturm. Es ist der schöne und das Theater wahrhaft auszeichnende Zug, daß die meisten Wiener als Burgtheaterdirektoren auf die Welt kommen oder zumindest doch in der Vorstellung aufwachsen, mit ihnen wäre der einzig richtige Burgtheaterdirektor geboren.

Während in Paris kaum jemand weiß, wer der Leiter der Comėdie Franęaise ist, und ihn schon gar nicht um dieses sorgenvolle Amt beneidet, ist der jeweilige Burgtheaterdirektor eine populäre Persönlichkeit, dem jeder Wiener gerne alle nur mögliche Freundlichkeit erweist, um ihn nicht merken zu lassen, daß man ihn für den unrichtigen hält. Ich habe auch außerhalb des engsten Theaterkreises der Stadt noch keinen Münchner oder Berliner, keinen Züricher oder Brüsseler getroffen, der den geheimen oder offenkundigen Wunsch träum gehabt hätte, der Theaterdirektor der oder jener berühmten Bühne zu sein. Im Gegenteil, man könnte eher sagen, daß überall die gesunde Empfindung vorherrscht, es handle sich dabei um einen recht üblen Beruf, dem ein vorsichtiger Mann lieber aus dem Wege ginge. Welche Stellung muß also das Burgtheater im Bewußtsein der Allgemeinheit unserer Stadt haben, wenn die Mehrzahl ihrer Söhne von der inneren Berufung überzeugt ist, an die Spitze dieses Instituts zu gehören, um sein ständig schwankendes Schicksal endlich ins rechte Fahrwasser zu steuern.

Es ist nur ein Jammer, daß es so viele Wiener und nur ein Burgtheater gibt. Sosehr es sich auch anstrengt, immer wieder neuen Direktoren Platz zu machen, kann naturgemäß doch nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der also Berufenen drankommen. Und das Resultat ist ein solcher Überschuß an Unzufriedenen, daß die maßgebenden Regierungsstellen oft verzweifeln könnten. Immerhin erweist sich diese in der ganzen Stadt verbreitete Unzufriedenheit als durchaus fruchtbar für das Theater, denn die Konkurrenz so vieler Mitbewerber zwingt die Interessenten, dauernd alle Vorstellungen zu sehen, um nicht zurückzubleiben und sich stets auf dem laufenden zu halten, ja selbst alle Umbesetzungen mitzumachen, für den Fall — den jeder gerne voraussetzt —, daß er doch noch einmal selbst zum ersehnten Ziele käme. So tragen die Wiener ihr Geld in die Tageskassen, wenigstens solange die Bundestheater nur Karten zum vollen Preis kennen, denn sonst wäre es natürlich eine

Ehrensache, bloß auf Freikarten zu gehen.

Für jeden Wiener gibt es zweierlei Burgtheater. Eines, das er sich zu seiner Zufriedenheit selber einrichtet, wohin er seine Lieblinge engagiert, wo er nach seinen eigenen Vorstellungen besetzt und dabei keine Schwierigkeiten hat. Und ein anderes, das er besucht und an jenem Phantasieburgtheater mißt und kritisch betrachtet. Es ist erstaunlich, wie wenig sich dieses wirkliche Burgtheater unter den verschiedensten Direktoren in seiner Struktur und meist auch in seinen Leistungen geändert hat. Verschieden mögen die Pläne und Absichten der Direktoren gewesen sein, wenn sie kamen, im Rückblick auf ihre Tätigkeit mußten sie sich, wenn sie ehrlich waren, eingestehen, daß sie dem Theater im Grunde auch kein anderes Gesicht zu geben vermochten. Es muß eine solche Stärke und Zähigkeit in seinem Wesen liegen, daß ihm durch eine einzelne Persönlichkeit kaum beizukommen ist. In seiner Realität zwingt es sie zusehend, sich ihm anzupassen, und ob dies mit .mehr oder weniger inneren Kämpfen verbunden ist, kann man vielleicht dem neuen Herrn, aber nicht dem Burgtheater anmerken.

Der Wiener liebt es auch nicht, daß man ihn allzu genau überprüfen kann. Darum zieht er den Burgtheaterdirektor vor, denn an der nicht minder beliebten Oper könnte er sich nicht ähnlich voraussetzungslos betätigen. Am Ende müßte man da etwas vom Dirigieren oder vom Stimmen verstehen, und das könnte dann vielleicht peinlich werden. Aber als Burgtheaterdirektor braucht er nur zu wissen, was gefällt, und wer bezweifelt schon, daß sein eigener Geschmack auch der allgemeine wäre. Während sich verantwortliche Stellen oft den Kopf darüber zerbrechen, welche mannigfach differenzierte Eigenschaften ein Direktor dieses Instituts in sich vereinigen müsse, und wo ein solcher etwa zu finden wäre, weiß es jeder andere besser und kennt den allein geeigneten Kandidaten genau: sich selber.

Zwei mächtige Gottheiten stehen daher über dem Burgtheater ständig im Kampf: seine schönere Vergangenheit, die mit den teuren Eindrücken der Jugend verknüpft ist, und seine bessere Zukunft, die dem hochgespannten Ehrgeiz jedes einzelnen anheimgegeben scheint. Blickt diese mit den ungeduldigen Augen eines stets alles besser Wissenden auf die leidige Gegenwart des Instituts, so mißt jene sie an den immer sich noch schöner färbenden Bildern eines köstlichen Rückblicks. Für das Burgtheater bedeutet diese fortwährende Auseinandersetzung ein Stahlbad. Zwischen so mächtigen Faktoren wie der Erinnerung und der Phantasie muß es sich behaupten. Und dies schlägt ihm besser an als ein noch so guter Direktor.

So ist das Burgtheater im Charakterbild der Stadt ein Phänomen. An ihm brechen sich schillernd liebenswerte Eigenschaften des Wieners, und im Ausgleich ihrer verschieden gerichteten Kräfte blüht und gedeiht es. Während es am lautesten totgesagt wird, erfreut es sich der besten Gesundheit. Es wäre auch nicht auszudenken, kehrten sich diese überschüssigen Sorgen der Stadt etwa einem anderen Gegenstand zu.

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