Requiem - © Foto: © Pascal Victor_Art Com Press_Festival d Aix en Provence

Wiener Festwochen: Romeo Castellucci und Mozarts „Requiem“

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Der italienische Regisseur Romeo Castellucci brachte Mozarts „Requiem“ in einer assoziationsreichen Collage auf die Bühne. Als eine Art Prolog der am 13. Mai beginnenden Wiener Festwochen.

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Der italienische Regisseur Romeo Castellucci brachte Mozarts „Requiem“ in einer assoziationsreichen Collage auf die Bühne. Als eine Art Prolog der am 13. Mai beginnenden Wiener Festwochen.

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Vor 32 Jahren war der aus ­Cesena gebürtige Regisseur und Bühnenbildner Romeo Castellucci mit seiner Socìetas Raffaello Sanzio das erste Mal Gast bei den Wiener Festwochen. Seither fasziniert, verstört, provoziert und betört er mit seinem ungewöhnlichen Bilder-Theater regelmäßig das hiesige Publikum.

Mit der vorgezogenen Premiere seiner jüngsten Inszenierung, die eine Art Prolog der offiziell erst am 13. Mai beginnenden Wiener Festwochen darstellt, macht ­Castellucci nun das Dutzend voll. Am 1. April wurde ihm für seine Verbundenheit das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien überreicht. Zusammen mit dem französischen Dirigenten Raphaël Pichon und dessen Ensemble, Pygmalion, das aus einem Chor und einem Orchester besteht, das sich vorwiegend der historischen Aufführungspraxis verschrieben hat, zeigt er eine eigenwillige szenische Version von Mozarts Requiem.

Beginnen tut es mit einem berührenden Bild: Begleitet vom gregorianischen Choral „Christus factus est“, von der Hinterbühne von einer Sopranstimme gesungen, begibt sich eine ältere Frau, nachdem sie noch kurz vor dem Fernseher verweilt war und eine Orange sorgsam auf den Boden gelegt hat, zu Bett. Allmählich verschwindet ihre Silhouette unter dem weißen Leintuch, bis sie ganz verschwunden ist. Erst hier setzt Mozarts Requiem ein: „Requiem aeternam dona eis, Domine“, „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe“.

Was darauf in den knapp 90 Minuten folgt, ist nicht, wie man denken könnte, ein Memento mori, ist also weniger Totenmesse als eine eigentliche Feier des Lebens, zu dem das Sterben eben auch gehört, was wir aber zu oft vergessen. Castelluccis Regie gestaltet die szenische Umsetzung von Mozarts letztem, unvollendet gebliebenem Werk als assoziationsreiche Collage. Der Hauptprotagonist der an überraschenden, bildstarken Effekten nicht eben armen Inszenierung ist der 40-köpfige singende und auch tanzende Chor, wobei die folkloristischen Tanzelemente in ihrer verhaltenen Heiterkeit oft auch quer zum eigentlich ernsten Ton der Musik stehen. Castellucci bedient sich allerlei emblematischen Materials: Da wird schwarze Erde gestreut, ein Orangenhain gepflanzt, in folkloristischen Trachten um den Maibaum getanzt, Ölzweige und schwarze Fahnen geschwenkt, unter einer goldenen Gloriole den Autounfalltod gestorben.

Begleitet wird das rituelle, bisweilen sonderbare Treiben von auf die hintere Bühnenwand eingeblendeten Textbotschaften aus dem „Atlas des großen Sterbens“. Ausgestorbene Tiere und Pflanzen, Völker, ausgetrocknete Seen und Flüsse sowie verschwundene Religionen, Sprachen, Gebäude, Monumente und Kunstwerke verzeichnet diese Enzyklopädie des Verschwundenen. Unter der Rubrik „Sterben heute“ listet der Regisseur unter anderem das Sterben der Traurigkeit, der Freundschaft oder des Wortes Ich, bis hin zum Aussterben des Hungers oder auch des Staubs.

Man kann diesem Assoziationsfuror kaum folgen, doch der Musik beglückt lauschen und mit Hölderlin hoffen, dass „im Liede wehet sein Geist“.

Dieser Beitrag erschien in der Printausgabe mit dem Titel: "Memento vitae".

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