Wiener Muppets im Schwab-Gewand

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Ein außergewöhnlicher Schriftsteller am Ende der Ordnung der Welt", so bezeichnete der deutsche Dramaturg, Journalist und Werner-Schwab-Experte Helmut Schödel den 1994 im Alter von nur 35 Jahren verstorbenen Autor. Der in Graz geborene Schwab wuchs vaterlos und als einziger Sohn einer tief religiösen Haushälterin in einer klein-und kleinstbürgerlichen Umgebung auf, in der Bigotterie, Nationalsozialismus, Wein-und Heurigenseligkeit, unterdrückte Sexualität und Habgier vorherrschten. In seinen Stücken, allesamt radikale Grotesken, stülpt Schwab die soziale Kälte und Brutalität dieser scheinbar ordentlichen und "sauberen" Welt nach außen. Er führt dabei die Figur des klumpfüßigen Herrmann Wurm ein, sein Alter Ego, von dem auch in Schwabs "Präsidentinnen" und in "Der Himmel mein Lieb meine sterbende Beute" die Rede ist.

Das subversive Potenzial des "Schwabischen"

In "Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos" wird nicht nur von Herrmann gesprochen, sondern er tritt tatsächlich als Bühnenfigur auf. Mit seiner bigotten Mutter lebt er in einer Einzimmerwohnung in einem Grazer Mietshaus. Zu den Nachbarn zählen die Familie Kovacic, mit dem saufenden, sexuell übergriffigen Vater, der ordinären Ehefrau und den zwei halbwüchsigen Töchtern (Desiree und Bianca), sowie die Hauseigentümerin Frau Grollfeuer. Der von Werner Schwab als Radikalkomödie bezeichnete Theatertext zählt zu den selten gespielten Stücken des Punk-Künstlers, am Wiener Akademietheater ist seit letztem Donnerstag eine Puppentheater-Version zu sehen.

Schwabs Witwe Ingeborg Orthofer inspirierte den Puppenspieler Nikolaus Habjan, dessen Arbeiten spätestens seit seiner Inszenierung "F. Zawrel -Erbbiologisch und sozial minderwertig" breit wahrgenommen werden. Für das Schwab'sche Figurenpersonal hat er nicht nur die für ihn typischen Klappmaul-Puppen gebaut, er führte auch Regie und spielt, also führt und spricht, den Pappmaché-Wurm. Die Idee, Schwabs Figuren über den Einsatz von Puppen zu verfremden und so deren Charakter auf überzogene Art kenntlich zu machen, scheint aufs Erste nachvollziehbar und interessant. Schließlich konstruierte Schwab seine Figuren nicht psychologisch, auch sind sie gewissermaßen nicht aus "Fleisch und Blut", sondern Konstruktionen aus Sprache und Diskursen. Diese Kunstsprache, das sogenannte "Schwabisch", demaskiert den schönen Schein, es desavouiert vermeintlich gute Absichten, um das Eigentliche freizulegen. Genau hierin liegt das subversive Potenzial dieses geradezu besessen gegen die bürgerliche Enge und Verlogenheit anschreibenden Künstlers. "Die Sprache, die die Figuren erzeugen, sind sie selber. Sich selber erzeugen (verdeutlichen) ist Arbeit, darum ist alles an sich Widerstand", so der Autor. Schwabs Stücke leisten diesen Widerstand gegen die Materialisierung von Menschen und Gefühlen. Sie werden bei ihm mit unbestimmten Artikeln versehen, die Sprache deklariert sie damit zu Waren, die nun, unter rechnerischen Aspekten, in den Handel kommen.

Verschleierung statt Entlarvung

In Nikolaus Habjans Puppen-Show jedoch -mit Kyrre Kvams eingängiger Weichmacher-Musik -wird genau jene Kritik an der Verdinglichung des Menschen durch die Maske entschärft. Statt zu entlarven wird der Sadismus der alten Frau Wurm (Dorothee Hartinger) vielmehr verschleiert. Auch der außerhalb der Familie als tüchtig und rechtschaffen wahrgenommene Rudi Kovavic (Sarah Viktoria Frick), der zu Hause seine Töchter sexuell missbraucht und seine Frau (Alexandra Henkel) schlägt, um diese zu unterwürfigem "Frauenmaterial" zurechtzurichten, erscheint im Spiel der Puppen entschärft. Auch verschwindet die vieldeutige Figur des verzweifelt-tobenden jungen Künstlers hinter der traurigen Maske des patscherten Herrmann Wurm. Werner Schwabs Dialoge maskieren nicht, sondern enthäuten, um die darunterliegenden Scheußlichkeiten ans Licht zur bringen. Die Inszenierung schafft jedoch genau das Gegenteil: Das oberflächliche Gekreische der Puppen arbeitet gegen Schwabs Sprache, die sich -präzise gesprochen - als Aufschrei gegen die Welt der sauberen Syntax, der klaren Regeln und der scheinbar wahren Werte lesen lässt. All das verwischen diese wie aus der Muppet-Show entlaufen wirkenden Gestalten.

Am Akademietheater steckt die zu ebener Erde wohnende Unter-und Mittelschicht in einer transparenten Plastikhülle (Bühne: Jakob Brossmann), im ersten Stock residiert die noble Giftmörderin Grollfeuer. Die sich als Frau von Welt gebende Madame ist als einzige keine Puppe. Als alte Nationalsozialistin ist sie höchst lebendig und macht nun dem Gesindel den Garaus. In arroganter Pose blickt Barbara Petritsch als Grollfeuer von der Galerie herunter. Im weißen Kleid (der Unschuld) vermutet niemand eine eiskalte Mörderin und notorische Trinkerin. Sie konsumiert nicht Bier oder Eierlikör wie alle anderen, sondern der Wodka ist das Getränk dieser Grazer Upper-Class-Lady.

Um Schwabs volksstückhafte Enttarnungsstücke zu erzählen, braucht es präzise Auseinandersetzung. Doch statt zu versuchen, die verzweifelte Gesellschaftsstudie in die Gegenwart zu holen, plappern die Wiener Muppets die Texte Schwabs nach, als wäre er nichts anderes als ein schräger Trash-Autor des vorigen Jahrtausends.

Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos Akademietheater, 23. Dez., 2., 18. Jan. 2019

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