7132488-1997_32_11.jpg
Digital In Arbeit

Wolfgang Wagners Sprung ins Abstrakte

Werbung
Werbung
Werbung

Von verschiedenen Seiten wurde den Bayreuther Festspielen in letzter Zeit verstärkt „Stillstand” vorgeworfen. Das renommierte Festival befände sich in einer tiefen künstlerischen Krise. Enkel Wolfgang Wagner wird als alternder Despot dargestellt, der die Zügel „seines Familienunternehmens” nicht aus der Hand geben will. Tragisch erscheint dabei, daß Teile der Wagnerfamilie noch immer derart verfeindet sind. Mit Unterstützung der interessierten Medien wird ein Bild von einem erstarrten, noch fest in der braunen Vergangenheit verwurzelten Bayreuth gezeichnet. Nun muß zugegeben werden, daß Bayreuth, was Informationspolitik und transparente Medienarbeit anbelangt, wirklich noch eine „Gralsburg” ist, und nach innen führt W. Wagner auch ein strenges Regiment.

Andererseits ist es aber auf ihn zurückzuführen, daß heute die Bayreuther Wagner-Dokumente in öffentlichen Besitz überführt sind und ein Stiftungsrat, in dem Vertreter des öffentlichen Lebens, des Landes Bayern und der Stadt Bayreuth sitzen, eine private Wagner-Dynastie ausschließt. Künstlerisch gesehen hat W. Wagner es immer verstanden, bedeutende Kräfte nach Bayreuth zu verpflichten; und in seiner Ägide sind drei wegweisende „Bing”-Inszenie-rungen herausgekommen. Als Begis-seur und Bühnenbildner versucht er sich immer wieder mit wechselndem Erfolg. Obwohl nun das Festival finanziell seit langem auf gesicherter Basis steht, kann man nicht jedes Jahr Neuinszenierungen erwarten. Wie sich aber zeigt, „wachsen” die meisten Inszenierungen in den Jahren ihrer Wiederkehr. Das Festival ist auf Jahre ausverkauft, es wird von einem Plebiszit des Publikums gesprochen. W. Wagner hat diese Pluspunkte in einer Presseerklärung vor Festspiel -beginn noch einmal herausgestellt und würde sich derzeit nur zur Disposition stellen (er hat einen Vertrag als Festspielchef auf Lebenszeit), falls ihm ein diskussionswürdiges, realisierbares Alternativkonzert für die Festspiele präsentiert wird.

Da sich die kritischen Stimmen aber auf Dauer nicht unterdrücken lassen werden, hat eine Bayreuther Tageszeitung vorgeschlagen, einen sogenannten Zukunftsrat zu bilden, in dem auch geeignete Kandidaten für die Nachfolge in Augenschein genommen werden sollten (Nike Wag;, ner, die Tochter Wielands, erhebt Anspruch; die derzeitige Leiterin der Kasseler Documenta wurde ins Gespräch gebracht; Gudrun Wagner, die zweite Frau Wolfgangs, steht bereit ...) Wolfgang Wagner hat aber nun mit seiner „Meistersinger”-Inszenie-rung gezeigt, daß auch künstlerisch noch mit ihm zu rechnen ist.

W. Wagner haftet der Buf an, ein biederer und hausbackener („Mei-stersinger”-)Begisseur zu sein. In seiner neuen Arbeit zu dieser „Nationaloper” versucht er, über seinen Schatten zu springen. Wie die musikalische Wiedergabe, die leitmotivisch große Zusammenhänge herstellt und von Daniel Barenboim mit äußerst langem Atem, detailverliebt, aber immer übergreifend gedacht wird, baut sich W. Wagner mit einem überdimensionalen Kugelausschnitt mit Netzraster (Längen- und Breitengrade) eine in allen Akten wiederkehrende Kulisse. Das Thema ist klar umrissen: Die Welt als Wille und Vorstellung.

Die sängerisch-darstellerischen Leistungen waren im ganzen sehr zufriedenstellend, aber nicht herausragend. Robert Holl, ein einmaliger Charakterdarsteller und guter Schubertsänger, hat nicht das samtene Timbre eines Bernd Weikl, aber auch sein Sachs wirkt stimmlich angenehm. Eric Halvarson ist ein dunkelgeschmeidiger, trotzdem entschiedener Pogner. Peter Seiffert bereits als Traum-Stolzing gehandelt, hat festes Heldenmaterial, kann aber zusammen mit der matronenhaften Emily Magee, die schön und berückend singt, kein romantisches Paar bilden. An Andreas Schmidts Beckmesser vermißt man das Cholerisch-Sarkastische. Endrik Wottrich (David) ist ein schlankgeführter Tenor und Brigitta Svenden die temperamentvolle Mag-dalene. Das Festspielorchester und der Chor hatten einen großen Tag. So berückend hört man die Meistersinger kaum, deshalb auch die eindeutige Zustimmung und heftige Akklamation des Publikums.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung