Zertretung - © Foto:  © Nikolaus Ostermann / Volkstheater

"Zertretung" im Volkstheater: Auf den Grund gewütet

19451960198020002020

Kay Voges eröffnet die "Dunkelkammer" mit einer Suada von Lydia Haider.

19451960198020002020

Kay Voges eröffnet die "Dunkelkammer" mit einer Suada von Lydia Haider.

Werbung
Werbung
Werbung

Die im Schimpfen nicht gerade arme österreichische Literatur ist um eine Stimme reicher. Die aus dem oberösterreichischen Steyr stammende, 1985 geborene und in Wien lebende Lydia Haider schreibt durchaus in der Tradition von Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Werner Kofler oder auch Werner Schwab.

Und eigentlich stimmt das auch nicht. Denn ihre bitterbösen Texte mit zotigen Titeln wie „Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi“, die, wie leicht zu vermuten ist, wenig mit herkömmlicher Prosa zu tun haben, sondern häufig inquisitorischen Strafpredigten und mitleidslosen Abmahnungen gleichen, oder auch einfach nur drakonische Anschisse, herabwürdigende Schmähungen sind, die nur so von Kraftausdrücken, blasphemischen Flüchen, ordinären Entgleisungen und obszönen Verwünschungen strotzen. Ohne Rücksicht auf Konventionen geht sie in ihrem Furor noch weit über das Schimpfen der anderen Poètes maudits hinaus.

Seit Februar nun ist die 2020 mit dem Publikumspreis des Bachmann-Wettbewerbs ausgezeichnete Lydia Haider Hausautorin am Wiener Volkstheater, und das, obwohl sie das Theater nach eigenem Bekunden nicht interessiert. Letztlich sei ihre Bestellung nur als logische Konsequenz ihres Schreibens zu verstehen, denn ihren Texten sei ein Zwang zum laut Lesen inhärent, so dass diese fast wie von selbst zur Aufführung drängten.

Wie sehr es drängt, kann gegenwärtig in der Dunkelkammer erfahren werden, einem kleinen, nur etwa 60 bis 70 Zuschauer(innen) fassenden „Raum für analoge und digitale Experimente“, wie es in der Beschreibung des Volkstheaters heißt. Die Autorin hat aus dem Roman „Zertretung“, an dem sie dem Bekunden nach seit 2014 arbeitet, mehrere dystopische Szenarien herausgelöst. Der Hausherr Kay Voges hat es sich nicht nehmen lassen, die Spielstätte selbst zu eröffnen und „Zertretung – 1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten“ selbst in Szene zu setzen oder besser noch zu Gehör zu bringen. Denn zu sehen gibt in der Suada eigentlich wenig.

Vor einer raumfüllenden Leinwand, auf der ein verpixeltes Videospiel zu erkennen ist, steht ein Rednerpult, hinter das abwechselnd eine der drei maskierten und mit Kapuzenpullis vermummten Gestalten (die an mittelalterliche Scharfrichter erinnern) tritt, um das Verdikt über eines der 44 ausgewählten männlichen „Arschlöcher“ zu sprechen. Gesagt, getan: Ist ein Grüppchen verbal auf den Grund gewütet, darf im Publikum, wer will, in Form eines Egoshooter-Spiels den Rest erledigen.

Interessant wäre an dieser provokanten Hinrichtungsorgie die Wut der Lydia Haider, die den Text grundiert. Die Anlage der Inszenierung vermag aber über diesen Krieg ohne Schlacht nichts zu vermitteln. Ganz im Gegenteil: Die Gleichförmigkeit der Szenarien stumpfen ab und nehmen so dem Text die Schärfe. Was anfangs provoziert, wird langweilig.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung