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Zum Wagner-Jahr: Das Liebesverbot

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Der Große Sendesaal des österreichischen Rundfunks, Studio Wien, war voll, ja überfüllt, wie wir ihn während der letzten Jahre noch nie gesehen haben. Das ebenso erfreuliche wie berechtigte Interesse galt Richard Wagners Jugendoper „Das Liebesver- b o t“, die der 21jährige auf einer Sommerreise in die böhmischen Bäder konzipiert hatte und die, nach nur zehntägiger Vorbereitung, unter, abenteuerlich-ungünstigen Umständen am-27: März 1836 un-, ter des jungen Musikdirektors Richard Wilhelm Wagner Leitung in Magdeburg uraufgeführt wurde. Diese Premiere, bei der Wagner vom Pult aus die Exekutan- ten laut anfeuerte und ganze Partien mit seiner wenig wohllautenden Stimme mitsang, war für den Komponisten gewissermaßen eine Ur-Demiėre, da er selbst diese seine „Jugendsünde“ (wie er das Werk später nannte) nie mehr gehört hat.

Das selbstverfaßte Libretto, sprachlich und im Detail ohne besondere Sorgfalt zusammengeschustert, in der Grundtendenz aber sehr zielsicher umgestaltet, basiert auf Shakespeares „M aß für M a ß“. In der nach Sizilien verlegten Intrige wird der sittenstrenge Statthalter Friedrich, der den landesüblichen Karneval und die „Freuden der Liebe“ verbietet, in eine Falle gelockt und mit Hilfe einer Täuschung der von ihm verlassenen Geliebten wieder zugeführt. Die Fäden der Handlung hat Isabella in der Hand, Claudios Schwester und Novizin (daher der Untertitel „Die Novizin von Parma“). Am Schluß löst sich, nach einigen Seelenkämpfen, alles in Wohlgefallen: Drei glückliche Paare finden zueinander, und sogar die Novizin bekommt einen Mann. Sie ist übrigens die erste jener keuschen und opferfreudigen Jungfrauen Wagners, die den weniger abstinenten und selbstlosen Helden Erlösung bringen — und eine so wichtige Rolle in Wagners späteren Opern spielen.

Schon das Textbuch zeigt, als Wurf, die Hand des geborenen Dramatikers und Theatralikers. Aber erst die Musik! — obwohl vom eigentlichen Wagner-Stil in dieser Partitur kaum Spuren, höchstens Keime und Hinweise, zu finden sind. Für das, was beim ersten Hören (und für die meisten Besucher dieses denkwürdigen Konzerts: ;wär,’ es’ idinef; erste Begegnung) zunächst.’ •verblüfft dien "virtuos behandelten Chöre, die pompösen MSräöhe und das dramatische Brio —, gab es prominente zeitgenössische Vorbilder, deren Partituren der aus Leipzig gekommene junge Musikdirektor genau kannte (Bellini, Donizetti, Auber, Spontini und Meyerbeer). „Französische und italienische Anklänge zu vermeiden“, schrieb Wagner in der „Autobiographischen Skizze“ von 1847, „gab ich mir nicht die geringste Mühe.“ Und zur gleichen Zeit konzediert sich Wagner auch daß, um zu gefal len, man die Mittel durchaus nicht skrupulös erwägen müsse“.

Wie die Partitur zum „Liebesverbot“ erweist, hat sich Wagner an diese Maximen strikt gehalten. Zum Wollen kam aber auch ein eminentes Können. Wie das alles mit sicherem Griff hingesetzt ist, wie der Chor und die Singstimmen virtuos behandelt sind, das bleibt, Seite für Seite, erstaunlich. Was den Orchesterpart betrifft, so vermögen wir ihn nach dieser Aufführung nicht genau zu beurteilen, da der Dirigent der besprochenen Aufführung das ganze ursprünglich vier Stunden dauernde Werk nicht nur etwa um die Hälfte gekürzt, sondern die Partitur auch stark „gelichtet“ hat.

„Die Musik weist mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft“, schreibt Dr. Marcel Prawy in einer sehr lesenswerten Einführung zum „Liebesverbot“. Gewiß. Aber es ist auch des Neuen, Künftigen, Vorausweisenden in dieser Partitur genug. Vor allem ist es die Überwindung der Nummernoper zugunsten einer fast schon durchkomponierten Form. Auch die Kühnheit der Orchestrierung, aparte Orchestereffekte und die Sinnlichkeit des Klanges lassen aufhorchen. (Etwa die Verbindung von Kastagnetten, Tamburin, Becken, Triangel und großer. Trommel mit trillernden Holzbläsern, wie wir ihnen ähnlich im Bacchanal des „Tannhäuser“ begegnen.) Bedenkt man schließlich, daß in dieser völlig vergessenen und vernachlässigten Musik — nach Weglassung alles Konventionellen — an melodischen und klanglichen Einfällen zehnmal mehr steckt als in einem derzeit gefeierten und vieltausendmal gespielten und ausverkauften „Musical", so ist der Substanzvetlust, der Schwund an schöpferischem Ingenium — gleichgültig, wie er sich manifestiert — bedrückend.

Dem österreichischen Rundfunk, Studio Wien, dem Initiator dieser Ausgrabung, und dem Regisseur der Aufführung, Dr. Hans Sachs, schulden wir Dank für eine wohleinstudierte, sorgfältig besetzte und höchst eindrucksvolle Wiedergabe. Robert Heger, den älteren unter den Besuchern dieses Konzertes unvergessen als Dirigent so vieler glanzvoller Opernabende am Ring, leitete souverän Chor und Orchester des öster reichischen Rundfunks sowie ein Dutzend Solisten, von denen wenigstens die ersten sechs in der Reihenfolge des Programmzettels genannt seien: Heinz I m d a h 1 als Statthalter von Sizilien, Kurt E q u i 1 u z und Anton D e r m o t a als leichtlebiges Freundespäar, Hilde Z a- d e k als Isabella, Christiane Sorell als die von Luzio Verlassene und Hanny S t e f f e k, mit der Claudio das Liebes- verbot Übertritt. Ein besonderes Lob gebührt dem von Gottfried P r e i n f a 1 k einstudierten Chor, der hier einmal zeigen konnte, was nicht nur an Fleiß, sondern auch an Stimmkraft in ihm steckt. Bereits nach dem ersten Akt gab es minutenlangen Applaus. Am Ende der Aufführung erlebte man Ovationen, wie sie sonst nur Stardirigenten und Heldentenören gelten. Hier bekundete sich der Dank für die bisher originellste und gelungenste Ehrung Wagners im Gedenkjahr 1963.

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