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Zwei große Staatsopernpremieren

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Die Uraufführung der ersten abendfüllenden Strawinsky-Oper im September vorigen Jahres bildete den sensationellen Höhepunkt der Musikbiennale von Venedig. Seither ist das Werk über rund ein Dutzend Bühnen gegangen, hat begeistert, enttäuscht — und überrascht, überrascht selbst diejenigen, die durch Strawinskys letzte Werke, etwa die „Symphony in three movements’ oder das „Orpheus“-Ballett sowie durch die Lektüre von Strawinskys „Musikalischer Poetik“ darauf vorbereitet waren. Hören wir aus den sechs Vorlesungen, die Strawinsky im Winter 1939/40 an der Harvard University hielt, einige Sätze: „Die Kunst ist ihrem Wesen nach konstruktiv. Revolution bedeutet Bruch mit dem Gleichgewicht. Wer Revolution sagt, sagt vorläufiges Chaos. Die Kunst ist jedoch das Gegenteil des Chaos.“ — „Die wahre Tradition ist nicht Zeuge einer abgeschlossenen Vergangenheit: sie ist eine lebendige Kraft, welche die Gegenwart anregt und belehrt.“ — „Da ich nicht das dem Akademismus eigene Temperament habe, so bediene ich mich stets wissentlich und freiwillig seiner Formen. Ich bediene mich ihrer ebenso bewußt wie der Folklore. Dies sind die Rohstoffe meiner Arbeit. — „Unter dem Einfluß des doktrinären Einflusses der ernsten Musikfreunde war es eine Zeitlang Mode, die Melodie zu verachten. Ich denke allmählich wie das große Publikum:

daß nämlich die Melodie den obersten Platz in der Hierarchie der Elemente behalten muß, aus denen die Musik sich zusammensetzt.

In „The Rakes’ Progress“ sind diese Thesen Strawinskys mit einer solchen Konsequenz verwirklicht, daß beim ersten Hören der Eindruck eines historisierenden „Regresses“ entstehen kann, zumal auch die Melodiebildung aufs stärkste durch den italienischen Opernstil des 18. Jahrhunderts bestimmt ist. („Je suis le fiance de la musique ilalienne“, erklärte Strawinsky schon vor 30 Jahren seinem Freund Roland Manuel.) — Selbstverständlich bekennt sich Strawinsky in diesem Werk auch mit aller Entschiedenheit zur Form der Oper mit Arien, Rezitativen, Ensembles und Chören, die er gegen das Musikdrama und das „musikalische Theater’ verteidigt. — Auch das Textbuch von W. H. Auden und Ch. Kallmann, auf das der Komponist weitgehend Einfluß genommen hat, zeigt traditionelle Züge und kann als Synthese von „Don Giovanni“, „Faust“ und „Peer Gynt“ charakterisiert werden. So entstand ein Werk von hohem artistischem Reiz, das in einzelnen Arien und Ensembles sowie mit den wirkungsvollen Szenenschlüssen auch unmittelbare musikalisch-dramatische Wirkungen erzielt und durch die beiden letzten Bilder („Kirdihof“ und „Irrenhaus“) erschüttert.

Mit Rücksicht auf die ausführliche Besprechung, die an dieser Stelle unmittelbar nach der Uraufführung veröffentlicht wurde (.Die Furche“ vom 6. Oktober 1951), können wir auf weitere Details in der Beschreibung des Werkes verzichten, möchten aber hervorheben, daß die Inszenierung der Wiener Staatsoper durch den Hamburger Intendanten Günther Rennert von Kennern verschiedener anderer Inszenierungen, einschließlich der Uraufführung auf der Biennale, als die weitaus beste bezeichnet wird, die diese. Oper bisher erfahren hat. Stephan H1 a w a, als Graphiker für diesen speziellen Stil prädestiniert, hat in den modernen Bühnenbildern in Schwarzweiß, mit denen die farbenprächtigen Kostüme wirkungsvoll kontrastieren, Meisterwerke von eigenem Wert geschaffen. Heinrich Hollreiser am Pult war exakt und diskret: Strawinsky hätte an der musikalischen Realisierung seider Partitur — wie an der ganzen Aufführung — seine Freude gehabt. Erna Berger, Rudolf Schock, Ludwig Hofmann, Alfred Jerger und Elisabeth Höngen bildeten mit den übrigen Mitwirkenden ein Ensembią, das nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch eine kaum überbietbare, in allen Teilen befriedigende Glanzleistung bot.

Im Mittelpunkt des Ballettabends in der Volksoper stand ebenfalls ein neues Werk: .Das Rondo vom goldenen Kal b“, drei Nachtstücke von Tatjana Gsovsky nach Musik von Gottfried von Einem. Beschworen wird .die uralt-unvergängliche Vorstellung vom Mammon, der allenthalben die Menschheit bedrängt“. Das geschieht, der Rondo-Form entsprechend, vor allem im ersten Bild (.Hochzeit“), das mit dem Liebestod eines jungen Mädchens endet, und im dritten (.Roulette“), in dem ein Jüngling die als Spieleinsatz mißbrauchte junge Frau aus dem Bannkreis des Mammon in die .Welt der Liebe“ hinausführt. Das’ mittlere Bild („Schwarzer Tag“) zeigt, wie sich das bedrückte und geknechtete Volk zu gewaltsamer Befreiung aufrafft — um alsbald neuer Bedrückung zu verfallen. Inden modernen und suggestiven Bühnenbildern Stephan Hlawas bewegen sich mondän-makabre Gestalten und erregte Volksmassen zu den Klängen einer aufwühlenden und aggressiven Musik, die zum Geschlossensten gehört, was wir bisher von Einem kennengelemt haben. Hier wurden der Choreographin Erika Hanka, dem Ballett und seinen Solisten heikle Aufgaben gestellt, die so gut gelöst wurden, daß man bedauert, daß die Qualitäten dieses leistungsfähigen Ensembles so selten zur Geltung kommen. — Die Ballettsuite „S y I v i a“ von Delibes ist weniger ergiebig und wurde entsprechend konventionell ausgedeutet. „Scheherezade“ nach der bekannten Musik von Rimsky-Korssakow erzählt von Blut und Liebe und versetzt uns in die Welt von „Tausendundeine Nącht“ (große, buntillustrierte Ausgabe, ungekürzt, für Erwachsene!). Es begleitete das Volksopernorchester unter Meinhard Zallinger.

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