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Macht Religion gesund?

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Seit über vier Jahren sitze ich wöchentlich im Aussprachezimmer. „Ekklesiogene Neurosen” sind für mich kein leerer Begriff mehr, sondern konkrete Wirklichkeit. Es gibt sie, die Menschen, die durch Priester peinlichst ausgefragt, eingeschüchtert, verängstigt, zu seelischen Krüppeln gemacht wurden. Das sitzt tief und hinterläßt Narben. Da hilft dann eine einmalige verbale Streicheleinheit nicht.

Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen wirkt die Frage reichlich rhetorisch: „Sind Gläubige gesünder?” Der Zeitschrift „Psychologie heute” ist sie in ihrer Juni-Ausgabe die 'Titelstory wert. Der Untertitel signalisiert, daß es nicht um Polemik geht: „Die positiven Wirkungen der Beligion.” War Beligion für die Psychotherapie lange gleichbedeutend mit Aberglauben, scheint sich nun das Verhältnis zu entkrampfen.

Die Kirche(n) geben sich fast 60 Jahre nach Freuds Tod nicht ständig beleidigt, weil man ihnen ein (fragwürdiges) Monopol abgelaufen hat. Die Seele ist kein Privateigentum, weder von Kirche(n) noch von Psychotherapie(n). Glaube kann Psychotherapien nicht ersetzen. So wie diese keine säkulare Ersatzreligion sein kann. Aber bei Lebenskrisen stabilisiert Glaube, er wirkt präventiv bei psychosomatischen Krankheiten, er erleichtert das Ja zur eigenen Sterblichkeit. Religiosität als Ressource psychischen Wohlbefindens? Statt von „Gottesvergiftung” (Tilman Moser, 1976) ist jetzt von „Gottestherapie” die Bede.

Das Christentum, wird der Münchener Beligionsphilosoph Eugen Biser nicht müde einzuschärfen, ist „eine therapeutische Beligion*'. Diese Dimension ist uns beinahe abhanden gekommen.

Zusammen können Religion und 'Therapie mehr bewirken, als wenn sie um „Reviere” streiten. „Das Reich Gottes verkünden und heilen” sind die Kennzeichen der Tätigkeit Jesu. Und aller, die sich auf ihn berufen. Selbst wo ein magisches Sakramentenverständnis überwiegt, gilt im Sinne Jesu: Du bist mehr als deine Begrenzungen. Beligion macht gesund. Ohne Fragezeichen.

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