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Vom Viruswolf aufgefressen

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Als ich jung war, hatten wir eine alte Frau als Nachbarin, die immer geklagt hat, wie einsam sie sei, weil alle ihre Freunde gestorben seien. Das habe ich damals überhaupt nicht verstanden. Jetzt ergeht es mir gleich, obwohl ich in einem Alter bin, wo normalerweise nicht um einen herum gestorben wird." Der Rerliner Schriftsteller Mario Wirz ist 39 und hat Aids. Vor elf Jahren erfuhr er, daß er HIV-positiv ist. Einen schweren Lymphknotenkrebs hat er wie durch ein Wunder überstanden - er wog nur noch 50 Kilo. Seither verarbeitet der impulsive, vor Elan sprühende Wirz die bis dato unheilbare Krankheit durch Schreiben. 1992 erschien der Prosabericht „Es ist spät, ich kann nicht atmen", ein Jahr darauf der Gedichtband „Ich rufe die AVölfe". „Ich lebe das Leben eines dynamischen 80jährigen", beschreibt er seine Lebenssituation.

Wirz ist einer der Protagonisten der „Aids-Clips '96" - kurzer, in der aktuellen Videoclip-Astethik gehaltener Filme, die Fernseh- und Kinozuseher für die Aids-Problematik sensibilisieren sollen. Die Aids-Clips des Vorjahres dienten eher der Warnung vor der tödlichen Krankheit. Die diesjährige Staffel wird von Betroffenen getragen und soll für Verständnis für die HIV-Positiven werben. Die Kranken präsentieren sich in eindringlichen Bildern und mit unter die Haut gehenden Worten als das, was sie sind: Menschen wie du und ich, die an einerschweren Krankheit leiden. „Diese Leute sind mit ihrer Krankheit schon genug gestraft. Sie dürfen nicht noch ausgegrenzt werden", mahnte Gesundheitsministerin Christa Krammer bei der Präsentation der Aids-Clips vorige Woche.

Das Konzept hinter den Clips hat einiges für sich. Erst die Worte Betroffener vermögen den davon Verschonten das „Unaussprechliche" (Wirz) wenigstens ein wenig nahezubringen. Kaum einem gelingt dies eindrucksvoller als dem Berliner Dichter: „Ich finde keine Schafe mehr auf der Weide meiner Nacht. Kein einziges Lämmlein, das ich schlafhungrig zählen könnte. 13er Viruswolf hat sie in fünf Jahren aufgefressen. KimBchaf nach dem anderen. (...) Wehleidigkeit sitzt mir im Kopf und färbt jeden Gedanken. Ich will sie nicht, diese Bitterkeit, die mir aus allen Poren strömt. Lieber Vasen gegen die Wand schmeißen, als diese passive Weinerlichkeit, die meinem Käfig immer wieder die gleichen Sätze diktiert." (aus: Es ist spät, ich kann nicht atmen)

Die Werke von Mario Wirz sind im Aufliau-Verlag (Berlin) erschienen.

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