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100.000 Tote sind genug!

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Eine „Demokratische Front Nikaraguas“ (FDN), gebildet aus ehemaligen Somo- za-Nationalgardisten, ethnischen Gruppen sowie abgesprungenen Sandinisten, macht dem Regime in Managua zur Zeit schwer zu schaffen. Von Honduras und Kostarika aus fielen etliche tausend FDN-Guerilleros in Nikaragua ein und verwickelten die Sandinisten in Kämpfe. Washington hat die Hand mit im Spiel.

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Eine „Demokratische Front Nikaraguas“ (FDN), gebildet aus ehemaligen Somo- za-Nationalgardisten, ethnischen Gruppen sowie abgesprungenen Sandinisten, macht dem Regime in Managua zur Zeit schwer zu schaffen. Von Honduras und Kostarika aus fielen etliche tausend FDN-Guerilleros in Nikaragua ein und verwickelten die Sandinisten in Kämpfe. Washington hat die Hand mit im Spiel.

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„Für die einen ist das, was wir erleben, das Reich Gottes, für die anderen ist es der Kommunismus. Aber total pro und kontra die Revolution ist nur eine Minderheit. Die große Mehrheit schwankt. Sie sieht Gutes und Schlechtes und weiß nicht, wohin es geht.“

Diese Worte eines Pfarrers aus Nikaragua las man schon vor der Papstreise in der schweizerischen SJ-Zeitschrift „Orientierung“, der man sicher keine Verächtlichmachung der Revolution nachsagen kann. Sie geben vermutlich sehr treffend die Stimmung wieder.

Ende der persönlichen Ausbeutung, des Bürgerkriegs, freier Zugang zu Kindergärten, Schulen, Spitälern: Das alles spricht für die

Revolution. Ausnahmezustand, Zensur, Abwürgen der Opposition, wachsende Versorgungsprobleme sprechen dagegen. Das Volk schwankt.

In dieser Situation testen die Gegner des Sandinistenregimes dessen Stärke, indem sie die bewaffneten Einfälle von Honduras aus verstärken, sandinistische Soldaten in Scharmützel verwik- keln und ausprobieren, wie das Volk reagiert.

Wer sind diese Gegner? Natürlich vor allem einmal die rund 5000 Mitglieder und Sympathisanten der Nationalgarde des 1979 gestürzten Diktators Somoza, die ins Ausland flohen. Aber zu ihnen sind auch viele Indianer der Stämme Miskito, Sumo und Rama gestoßen, die zu beiden Seiten der Grenze von Nikaragua und Honduras leben und von den Sandinisten unentschuldbar kurzsichtig und verständnislos behandelt worden sind.

Dann sind schon vor geraumer Zeit prominente Personen aus der

Anti-Somoza-Front abgesprungen: Alfonso Robelo (nennt sich Sozialdemokrat, sehr reich), Violeta Chamorro (Christdemokrat), Edėn Pastora sowie nacheinander zwei Botschafter des Revolutionsregimes in den USA, Arturo Cruz und Fiallos Navarro (um den es eine unterschiedlich deutbare Geldgeschichte gibt).

Robelo und Pastora schüren von Kostarika aus den Widerstand gegen die Sandinisten. Pastora war immerhin einer der neun Commandantes der Sandi- nistischen Nationalen Befreiungsfront (FSNL), und sein Absprung traf diese am härtesten.

Alle werfen sie dem Regime zunehmende Tendenz zum marxistischen Einparteien-Staat vor, alle verfolgen sie freilich auch mehr oder minder private Machtziele. Und wer was in Lateinamerika unter Marxismus versteht, ist auch eine recht komplizierte Angelegenheit.

Der Papst freilich wußte, was er meinte, und war daher entsprechend eindeutig. Viele Zuhörer verstanden die Dinge anders und waren enttäuscht, vor allem auch über die Verweigerung eines Gebets für die im Grenzkampf gefallenen Söhne weinender Mütter.

Nun wird niemand ernsthaft glauben, daß dieser menschenfreundliche „pastorale“ Papst ein Gebet wirklich verweigern wollte. Was ihn offenbar völlig unvorbereitet traf, war das mehrfache Ausbrechen aus dem Programm, das er bis dahin nie erlebt hatte. Das machte ihn mißtrauisch. Sein Verhalten stimmte Zuseher traurig. Eine beklagenswerte Entwicklung: Darin sind viele Kommentatoren sich einig.

Die Klüfte unter den Katholiken Nikaraguas sind größer geworden. Die Regierung um Junta- Chef Daniel Ortega (der ist sicher ein waschechter Marxist), die den Papstbesuch unbestreitbar zu einigen Provokationen benutzte, sah sich um die Vereinnahmung des Papstes betrogen.

Aber am Ende ist sie deshalb noch lange nicht. Der Versuch der Rebellen, die Situation zu einem Vorstoß zu nutzen, hat keineswegs zu einer Mobilisierung von Volksmassen geführt.

Deshalb erwarten Beobachter zunächst eher wieder eine Beruhigung der Situation. Auch die Regierung Reagan steht unter starkem Druck von Kongreß und Massenmedien, die CIA-Unter- stützung für die Rebellen zu drosseln und sich auf kein militärisches Abenteuer einzulassen.

Am allerwenigsten hätten sich ein solches die Menschen von Nikaragua verdient, die genug gelitten haben, bedenkt man die 30.000 Toten des Erdbebens von 1972, die

40.000 Toten des Bürgerkriegs, die Flutopfer von 1982.

Die USA müßten endlich begreifen, daß auch die Völker Mittelamerikas ein Recht auf Selbstbestimmung und Menschenwürde haben und nicht jeder Konflikt dort unter dem alleinigen Gesichtspunkt der Abwehr des Sowjetkommunismus zu sehen ist.

Natürlich gibt es auch dieses Problem — aber eben weil die sozialen Verhältnisse so schrecklich sind. Das gilt auch für El Salvador, wo der Bürgerkrieg in den letzten drei Jahren auch seine

30.000 Todesopfer gefordert hat. Ebenso viele Salvadorianer füllen die Flüchtlingslager im benachbarten Honduras, für die Österreichs Caritas zwischen 1980 und 1982 rund 3,6 Millionen Schilling lockergemacht hat. (Insgesamt gingen Hilfsgüter im Wert von 20 Millionen Schilling von der österreichischen Caritas nach Mittelamerika.)

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