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133 von 342.000 Schweizern

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Geht es nach dem Willen einer Gruppe von Gymnasiallehrern aus Münchenstein im Kanton Basel, muß das Schweizer Volk bald wieder insgesamt an die Urnen — und darüber abstimmen, ob der junge Schweizer in Zukunft als Alternative zum Militärdienst auch Zivildienst leisten kann. Angesichts der überaus niedrigen Zahl von rechtskräftig verurteilten Dienstverweigerern (1969: 133 Mann von 342.000 Dienstleistenden) scheint es wichtigere Probleme zu geben. Da aber besonders in der welschen Schweiz Prozesse gegen Dienstverweigerer journalistisch stark ausgewertet wurden, hat sich auch Bundesrat Gnägi — derzeitiger Bundespräsident — entschlossen, dieses Problem zu lösen.

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Geht es nach dem Willen einer Gruppe von Gymnasiallehrern aus Münchenstein im Kanton Basel, muß das Schweizer Volk bald wieder insgesamt an die Urnen — und darüber abstimmen, ob der junge Schweizer in Zukunft als Alternative zum Militärdienst auch Zivildienst leisten kann. Angesichts der überaus niedrigen Zahl von rechtskräftig verurteilten Dienstverweigerern (1969: 133 Mann von 342.000 Dienstleistenden) scheint es wichtigere Probleme zu geben. Da aber besonders in der welschen Schweiz Prozesse gegen Dienstverweigerer journalistisch stark ausgewertet wurden, hat sich auch Bundesrat Gnägi — derzeitiger Bundespräsident — entschlossen, dieses Problem zu lösen.

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Die Wehrbereitschaft der Schweizer ist in Artikel 18 der Bundesverfassung formuliert und wird nahezu vom ganzen Volk anerkannt und verstanden. 364 Tage dauert der Wehrdienst eines Schweizers, ersetzt sich aus der Grundausbildung und den Wiederholungskursen zusammen. Unteroffiziere und Offiziere leisten beträchtlich mehr und werden erst mit mehr als 50 Jahren aus dem Wehrverhältnis entlassen. Seit die „neue" Verfassung der Schweiz vor bald 125 Jahren in Kraft gesetzt wurde, haben sich Neutralität imd Wehrbereitschaft aufs beste ergänzt — und gegenseitig ermöglicht. Die Internierung der französischen Armee vor hundert Jahren und die Respektierung des Schweizer Territoriums durch Hitler und Mussolini im letzten Weltkrieg beweisen es. Keine „unbewältigte Vergangenheit" lastet auf diesem Volk, die Parolen der Dienstyerweigerer, meist aus Deutschland’ importiert, klingen darum merkwürdig falsch. Trotedem leidet das Image der Sch’ifreiz darunter, daß eine Mini-MinBerheit von f, Überzeugungs-

tätern" Jahr für Jahr in Gefängnisse wandert (im Höchstmaß vier Monate). Bundesrat Gnägi war darum gut beraten, als er sich im November mit Vertretern der Dienstverweigerer auf der Lenzburg an den Tisch setzte und seine Bereitschaft bekundete, nach einer Lösung zu suchen. Um so mehr, als die Formulierung von Artikel 81 des Militärstrafgesetzbuches, nach dem die Dienstverweigerer be- und verurteilt werden, heute lediglich religiöse und ethische Gründe berücksichtigt, die jungen Leute aber neuerdings oifen-sichtlidi in erster Linie aus politischen Gründen den Waffendienst verweigern.

Die Initiative der Münchensteiner Lehrer verlangt zwar die Einbeziehung auch politischer Motive, lehnt aber zugleich eine freie Wahl zwischen Militär- und Zivildienst energisch ab. Damit haben sie ihrer Initiative Chancen versciiafft, denn das Schweizervolk würde im Hinblick auf seine nationale Sicherheit eine Wahl ä la carte zwischen Mili-

tär- und Zivildienst mit Bestimmtheit ablehnen.

Ebenso guten Instinkt bewiesen die Initianten, als sie den Zivildienst vornehmlich als innerschweizerisohe Aufgabe und nicht als Entwicklüngs-dienst in der dritten Welt beschrieben. Im Ernstfall müssen Zivildienstler im Land sein, um an Stelle der eingerückten Soldaten lebenswichtige Funktionen zu übernehmen. Die Ausgestaltung des Zivildienstes wird zur eigentlichen Schicdtsalsfrage des Projektes, mit dem einerseits die Dienstverweigerer von dem Schatten des MUitärstrafgesetzbuches, ander-

seits die Schweizer von ihren Vorurteilen gegen die angeblichen Drückeberger befreit werden. Ein schlagartiges Ansteigen der Dienstverweigerer ist auch nicht zu erwarten. Trotzdem erscheint die fünf Jahre alte Formulierung eines Welschschweizer Professors nach wie vor gültig: „Stellt die Bundesversammlung fest, daß die Zahl der Dienstverweigerer aus Gewissensgründen derart ansteigt, daß sie die Schlagkraft der Armee schwächt, so kann die Anwendung dieser Bestimmung durch aU-gemein verbindlichen Bundesbeschluß aussetzen!"

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