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1,4 Milliarden

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Der Tod grassiert auf den unab-geschrankten Bahnübergängen. Nach dem durch einen alkoholisierten Schulbus-Lenker verursachten Tod mehrerer Kinder nun ein Personenkraftwagen, zermalmt von einem Personenzug auf einem Bahnübergang, dessen Schranken irrtümlich offengeblieben war, der schon oft irrtümlich offengeblieben sein soll.

Man erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß dies an so gut wie jedem Tag des Jahres irgendwo in Österreich vorkommen soll. Man erfuhr nicht, wie solche Fälle behandelt, welche Folgerungen daraus gezogen werden, man erfuhr nicht, was die Direktion der österreichischen Bundesbahnen im einzelnen in den letzten Jahren unternommen hat, um die Wiederholung solcher Vorfälle auszuschließen.

Wobei unter solchen „Vorfällen“ immer das irrtümliche Offenlassen eines Schrankens zu verstehen ist und nicht der tatsächliche Unfall. Denn wenn Schranken offenbleiben, wird es immer wieder auch zu folgenschweren Unfällen kommen.

Betrachtet man den Tod zwischen offenstehenden Schranken als Schicksal? Man hört nur immer von jenen 1,3 oder 1,4 Milliarden Schilling, die notwendig seien, um alle Bahnübergänge in Österreich abzusichern. Hätte man dieses Problem früher mit mehr Energie in Angriff genommen, wäre man mit einem geringeren Betrag ausgekommen. Und im Zeichen der Inflation darf niemand hoffen, daß der Bau neuer Schrankenanlagen billiger wird.

Hier wäre also ein Investitionsprogramm, dessen Finanzierung durch eine Anleihe, wie sie beim Bau von Schulbauten, Hochschuleinrichtungen, einer UNO-City ja heute gang und gäibe ist, mit Sicherheit von niemandem kritisiert würde. Und um eine konjunkturbelebende Investition würde es sich dabei ja wohl handeln. Warum zögern die ÖBB?

Also sprach Androsch

Finanzminister Androsch gewährte uns ein Interview. Unsere Freude daran wird einzig durch den Umstand getrübt, daß es sich dabei um ein Gespräch von solcher Exklusivität handelt, daß er leider selbst nichts davon weiß.

„Oh, Gerechtester unter den Gerechten“, so fragten wir ihn, „ist es denn wahr, daß Selbständige die Beträge, die sie für die Bewirtung von Geschäftspartnern ausgeben, nicht mehr von der Steuer absetzen dürfen?“

„Es ist wahr“, erwiderte Androsch, „ich sehe darin einen Meilenstein auf dem Weg zur Chancengleichheit auch auf dem kulinarischen Sektor.“

„Aber wie verträgt es sich damit“, so wagten wir ihn zu fragen, „wenn Politiker solche Ausgaben nicht nur absetzen dürfen, sondern sogar über eigene Repräsentationsfonds verfügen?“

Androsch wurde blaß und sagte: „Ich bin zutiefst gekränkt durch die Tatsache, daß mir eine solche Ungerechtigkeit zugetraut wird. Ja, haben Sie denn wirklich gedacht, eine solche Ungerechtigkeit könnte in diesem Lande möglich sein? Mitnichten.“

,,Das soll doch nicht etwa heißen“, fragten wir ihn, „daß Politiker nun jedes Mittagessen mit einem anderen Politiker aus eigener Tasche bezahlen müssen?“

„Selbstverständlich“, antwortete der große Anwalt der Gleichheit aller Staatsbürger nicht nur vor dem Ge- setz, sondern auch vor dem Fiskus, „ganz selbstverständlich. Ich wollte zwar mit den näheren Details erst am 6. Dezember in die Öffentlichkeit gehen, um den Unterprivilegierten einen Nikolo und den Überprivilegierten einen Krampus zu schenken, aber wenn man mir solche Ungerechtigkeiten zutraut, spreche ich sofort. Alle Bewirtungs-, alle Restaurant-und sonstigen Repräsentationsspesen für Politiker werden in diesem Lande demnächst gestrichen.“

„Was wird der Kanzler dazu sagen?“ fragten wir ganz, ganz leise.

„Ich darf Ihnen mitteilen“, sagte Androsch, „daß mich der Kanzler sofort angerufen hat, als er hörte, daß Repräsentationsspesen der Geschäftsleute nicht mehr anerkannt werden sollen.“

„Wollte er sein eigenes diesbezügliches Budget künftig etwa nicht mehr überschreiten?“ flüsterten wir nahezu tonlos.

„Im Gegenteil“, sagte Androsch, „er hat ganz darauf verzichtet, alle Repräsentationsausgaben des Kanzleramtes wird er künftig aus eigener Tasche bezahlen und voll versteuern.“

„Wie kann er denn das?“ riefen wir da.

„Kreisky hat gesagt“, sagte Androsch, „ich weiß zwar noch nicht, wie ich das mache, aber wenn es jeder österreichische Unternehmer kann, dann muß ich es auch können.“

„Und die Repräsentationsausgaben des Außenministeriums?“

„Die“, sagte Androsch, „bleiben aufrecht, weil ja auch Exporteure ausländische Abnehmer weiter auf Spesen ausführen dürfen.“

„Und ab wann soll das gelten?“

„Der erste Jänner“, sagte Androsch, „erscheint uns aus technischen Gründen ein zu naher Termin. Wir werden innerhalb von, sagen wir, drei Monaten nachziehen.“

„Das wäre“, sagten wir, „bis zum 1. April?“

„Genau“, sagte Androsch, „vielleicht haben wir es bis dahin sogar geschafft, unser Repräsentationsbudget für 1976 auszugeben — dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, nicht wahr?“

Getroffen - SALT?

Die amerikanisch-sowjetischen Abrüstungsverhandlungen stocken. Aber sie scheitern nicht an einem kleinlichen Hin und Her, sondern am plötzlich wieder ausgebrochenen, geradezu schicksalhaften Gegensatz, dessen Unbedingtheit gegenüber jeder Hoffnung auf dauerhafte Abrüstung in einer geteilten Welt skeptisch stimmt.

SALT I — das war die Kunst des Möglichen. Das war der quantitative Kompromiß mit einer Phase qualitativen Gleichstandes. Jetzt aber hat die Eigengesetzlichkeit der technischen Entwicklung der USA,wieder, einmal einen Zipfel qualitativer militärischer Überlegenheit in die Hände gespielt. Und selbst wenn es sich „die USA“ leisten können, eine solche Chance auszuschlagen — ihr Präsident, und jeder Politiker, der außen- und rüstungspolitische Erfolge in sein innenpolitisches Kalkül einbezieht, kann es kaum.

Die Chance, den sowjetischen Rüstungstechnikern wieder einmal um das entscheidende Stück vorauszu^ eilen, ruht auf einem kaum fünf Meter langen, keine Tonne schweren Ding, das mit allen traditionellen Verhaltensweisen atomarer Fernlenkwaffen bricht Es fliegt nicht besonders hoch, sondern besonders niedrig, hüpft bei hoher Geschwindigkeit vollautomatisch über jedes größere Haus, weicht Hindernissen aus, kann daher von keinem Radargerät erfaßt, dabei aber von Mini-Rampen aus abgeschossen werden. Und es verfehlt -r- unbemannt!! — ein 3000 Kilometer entferntes Ziel angeblich um nicht einmal 30 Meter.

Noch ist es nicht erprobt. Ein SALT II wäre möglich, bevor die Amerikaner diese Waffe erprobt haben, wenn sie darauf verzichten — oder nachdem die Sowjetunion sie auch hat. Alles andere, all das Her und Hin um die sowjetischen Schwenkflügelbomber, ist nur taktisches Beiwerk. Und die Versuchung, diese Waffe, die geeignet erscheint, der Kriegsführung neue, schrecklichere Perspektiven zu eröffnen, auch zu erproben und in Serie herzustellen, ist nicht nur wegen der damit verbundenen US-Überlegenheit auf dem Gebiet atomarer Trägerwaffen unwiderstehlich. Die Waffe, die nur einen winzigen Bruchteil eines Bombers kostet, könnte' nämlich auch konventionelle Kriege revolutionieren.

Der Vietnamkrieg ist freilich vorbei. Aber wer garantiert wem, daß die Welt, im Begriff, Angola in einen neuen Kongo (Leopoldville, nicht Brazzaville) zu verwandeln, nach einigen Zugzwängen und Zügen, Reaktionen und Gegenreaktionen nicht angesichts eines neuen Vietnam erwacht? Es sei denn, die Sowjetunion läßt die MPLA im Stich. Aber kann sie das?

Rennruhm -vermarktet

Wieviel ist der Nachruhm eines Formel-I-Weltmeisters wert? Einen Blumenstrauß auf einem Grab — jenen Blumenstrauß, den Nina Rindt, die Witwe des vor fünf Jahren verunglückten Jochen Rindt, für die Pressephotographen auf das Grab in Graz legte? Oder sechs Millionen Schilling? Die geschäftliche NichtEinigung zwischen Nina Rindt und Niki Lauda gestattet eine ziemlich genaue Antwort. Der Nachruhm Jochen Rindts ist offensichtlich sechs Millionen Schilling wert.

Denn eben diese sechs Millionen verlangt Nina Rindt von Niki Lauda für die Überlassung aller Rechte an der Jochen-Rindt-ßhow, die seit dem Tod des Weltmeisters Jahr für Jahr stattfindet. Der tote Weltmeister bringt, wie man sieht, nach wie vor ziemlich viel Geld ins Rollen. Vorbei die Zeiten, als der motorisierte Gladiator sein Gehalt nur durch Werbesprüche auf seinem feuerfesten Overall (die auch nicht gerade Kleingeld einbringen) und durch Herzeigen seines Gesichtes' in Zeitungsanzeigen für Motorenöle und allerlei sonstige Produkte aufbessern konnte. Er ist jetzt selbst Unternehmer.

Und die Marke Jochen Rindt ist heute, fünf Jahre nach dem Tod des Stars, keineswegs schon deshalb weniger als sechs Millionen wert, weil Niki Lauda diese sechs Millionen an Nina Rindt nicht zahlen wollte. Es ist bloß so, daß wohl auch sein eigener Name so viel wert ist. Und er als Niki Lauda und Weltmeister natürlich keinen Grund hat, den Namen seines Vorgängers zu kaufen. Der freilich nun durch das Einsteigen Laudas in das Showgeschäft arg entwertet werden könnte. Denn Laudas Siegesauto wird man natürlich nicht in der Wiener Rindt-Show, sondern in der Salzburger Lauda-Show zu sehen bekommen.

Und viele, viele Menschen sind bereit, dafür einen nicht unbeträchtlichen Eintritt zu zahlen. Ein neuer Abschnitt im Buch über Sport und Geschäft. Sport? Zirkus? Spekulation mit Masseninstinkten? Zu Ehren des Autorennsports kann immerhin gesagt werden, daß in diesem Metier niemand gezwungen wird, krampfhaft die Rolle eines Amateurs zu spielen. Oder es zum Vorteil fremder Taschen auch tatsächlich zu sein..,

Gefestigtes Weltbild

„Gegen Nazitöne“ spricht sich die Junge Generation der SPÖ aus und meint damit die Rede des FPÖ-Ab-geordneten Zeillinger, der Steine werfende Demonstranten als „Untermenschen“ bezeichnet hatte.

Schön und gut.

Daß aber die Junge Generation nicht protestiert, wenn sich ihr eigener Parteivorsitzender zum Schutzherren eines ehemaligen SS-Angehörigen aufspielt und Herrn Wiesenthal als „Mafioso“ tituliert, stimmt nachdenklich.

Wer ein Nazi ist (oder war) bestimmt heute die SPÖ; wie schön, wenn man so ein gefestigtes Weltbild hat.

30 Jahre nachher...

Es fällt schwer, es zu glauben: Freunde des durch ein Attentat seit Jahren gelähmten Gouverneurs Wal-lace sollen den Vorschlag gemacht haben, einen Leutnant Calley als Wahlhelfer in seiner Kampagne einzusetzen. Eben jenen Leutnant Calley, der im südvietnamesischen Dorf My Lai nur seine Befehle befolgte, als er mit' seiner Einheit Frauen und Kinder niedermetzelte, alles niederträchtige Vietkongs selbstverständlich, einschließlich der Säuglinge. Eben jenen Leutnant Calley, der für Amerika zum Beispielfall dafür hätte werden können, daß es entschlossen ist, die Prinzipien, nach denen in Nürnberg deutsche Kriegsverbrecher verurteilt wurden, auch dann anzuwenden, wenn Amerikaner gleichartige Verbrechen begangen haben. (Die Gleichartigkeit bezieht sich nicht auf Auschwitz, aber durchaus auf SS-Massenmorde wie die von Öradour oder Lidice.)

Leutnant Calley verdankt seine Freiheit Präsident Nixon, und Amerika hat offensichtlich selbst heute noch nicht begriffen, daß der gestürzte Präsident .'in., dieser .Sache, mindestens ebenso gefehlt hat wie in der Causa Watergate.

Und nun: Leutnant Calley als Wahlhelfer1— zumiedest vorgeschlagen (ob dieser Plan des Wahnsinns verwirklicht wird, ist ja noch offen). Und das wenige Tage vor der 30. Wiederkehr des Tages, an dem der Nürnberger Prozeß begonnen hat.

Das Lächeln der Carmen Franco

Ein Lächeln geht um die Welt. Ein Lächeln, eingefroren in einem Pressephoto von Carmen Franco in ihrer Limousine, gemacht unmittelbar nach einem Besuch bei ihrem Mann, dem sterbenden Generalissimus. Ein Lächeln, das wohl nur Spanier verstehen — weil sich nur ihnen sein Inhalt spontan mitteilt: nicht Heiterkeit, sondern Haltung.

Fast überall auf der Welt, außer vielleicht in Japan, würde ein Lächeln in solcher Situation als unpassend, ja schockierend empfunden. Obwohl ja jeder auch das Lachen der Verzweiflung kennt Aber hier, auf diesem Bild: nichts davon. Nur Haltung. Zur Schau getragener Schmerz — in dieser Stunde wird er jedenfalls noch nicht von ihr erwartet, und sie wird um jeden Preis, auch um den Preis eines Lächelns, nach dem ihr sicher nicht ist, dieser Erwartung gerecht. Man sollte diesem Lächeln einer ihre Haltung wahrenden Frau auf einem Pressephoto Beachtung schenken. Denn es repräsentiert einen Zug im spanischen Wesen, mit dem sich die Welt vielleicht schon bald konfrontiert sehen wird. Es repräsentiert die spanische Absolutheit und Unbedingtheit, die uns so imponiert, wenn sie Positives hervorbringt. Und die, folgt sie ihrer Eigengesetzlichkeit, dieses Land nicht erst einmal in ein Meer von Blut gestürzt hat. Einen Monat dauert nun schon Spaniens großes Atemanhalten, seit einem Monat stirbt der Diktator. Vielleicht steht in diesen Tagen in Spanien in so manchem Lächeln auch etwas Erleichtertung über den tageweisen Aufschub einer ungewissen Zukunft, von der niemand wissen kann, was sie bringt.

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