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1560 Kirchen

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In Polen, das seit vielen Jahren von einer wirtschaftlichen Krise betroffen ist, werden derzeit so viele neue Kirchen gebaut, wie in keinem anderen Land Europas. Im vergangenen Jahr befanden sich rund 1560 Gotteshäuser in Bau. Die Kosten dieser Bauten werden zum Teil von den Gläubigen selbst, zum Teil von ausländischen Spenden oder zum Beispiel vom Verkauf geschenkter Arznei-

mittel gedeckt. Die Bauarbeiten machen die Gläubigen meistens selbst in ihrer Freizeit. Sie sorgen auch für das Baumaterial, das zur Zeit in Polen reglementiert wird. Private Personen spenden ihre Zuteilungen der Kirche.

Der Zuwachs der sakralen Bauten in Polen wird von der Regierung, wie Josef Tischner, der geistige Vater von „Solidarnosc“, feststellt, nur geduldet. Eine Baubewilligung zu bekommen, ist weiterhin mit vielen Schwierigkeiten verbunden; zur Verfügung wird nur ein für den Staat unnützer Baugrund gestellt, die Kirche selbst kann nicht höher sein als die Häuser in der Umgebung. Es ist auch verboten, zu große Keller zu bauen, weil der Staat befürchtet, man könnte dort „Unter-grund“-Veranstaltungen durchführen.

Die Tatsache, daß man so viel baut, wird langsam von den Gläubigen selbst kritisiert. Manche meinen, mit diesen Geldern könnte man neue Wohnhäuser schaffen, denn eine junge Familie in Polen muß derzeit etwa 20 Jahre auf eine Wohnung warten. Doch trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird weiter gebaut.

Warum? Um die eintönige Architektur der Betonklötze zu beleben, oder um den Widerstand gegen die Regierung zu dokumentieren?

Auf diese Frage antwortet der Theologe Tischner so: „Dieser Bau von Kirchen ist kein Wahnsinn. Dort, wo die Kirchen gebaut werden, werden sie auch wirklich gebraucht. In der Pfarre Bienczy-ce zum Beispiel, die zu Nowa Huta gehört, leben über 100.000 Menschen. Dort entsteht die Kirche des Seligen Bruders Albert. Daß diese Kirche notwendig ist, beweist allein die Tatsache, daß dort über 5000 Kinder zur ersten Kommunion vorbereitet werden. Es kommen auch viele Kinder zum Religionsunterricht, denn den gläubigen Eltern genügt nicht die einseitig ideologische Erziehung in den öffentlichen Schulen. Und ich glaube, wenn so viele Tausende eine Kirche haben wollen, müssen sie auch berechtigte Gründe haben.“

Die Kirche ist in Tischners Augen keine Opposition: „In Polen gibt es viele oppositionelle Bewegungen, und es ist wirklich nicht notwendig, in die Kirche zu gehen, um seine andere Einstellung zu manifestieren. Außerdem gibt es in der Kirche so viele Gläubige, (daß es niemand bemerkt, wenn einer nicht wegen seines Glaubens, sondern wegen seiner oppositionellen Einstellung in die Kirche geht.“

Warum erlaubt der Staat erst jetzt, neue Kirchen zu bauen, obwohl entsprechende Anträge schon vor 20-30 Jahren gestellt wurden?

In der tiefen ökonomischen Krise von heute sucht die kommunistische Regierung überall Hilfe, auch von Seiten der Kirche und der Gläubigen. Um neue Plattformen des Dialogs zwischen der Kirche und der Regierung zu schaffen, hat General Wojciech Jaruzelski vorige Woche in Rom mit dem Papst gesprochen. Und den Menschen in Polen genügen leere Äußerungen und Deklarationen der Kommunisten nicht mehr. Man wartet auf Taten.

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