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18 bis 50 Prozent

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Zwei Millionen Österreicher sind privat krankenversichert. Der überwiegende Teil von ihnen in Form einer Zusatzversicherung zur Sozialversicherung. Mit Hilfe der Zusatzversicherung sichern sie sich das Recht, bei einem Krankenhausaufenthalt „auf Klasse“ zu liegen. Höheren Ortes ist man offenbar der Meinung, daß diese Menschen Luxusansprüche stellen und dementsprechend zu behandeln sind. Dieser Eindruck drängt sich zumindest auf, wenn man die Tarifpolitik der öffentlichen Krankenhäuser in diesem Lande unter die Lupe nimmt.

Österreichs Krankenhäuser zählen pro Jahr mehr als 800.000 Patienten beziehungsweise 22 Millionen Tage Spitalsaufenthalt, was bedeutet, das der abstrakte „Durchschnittsösterreicher“ jährlich knapp drei Tage im Spitalsbett verbringt. Während aber über die Preise von wesentlich weniger wichtigen, auch wirtschaftlich weniger wichtigen Dingen in der Öffentlichkeit langwierige Auseinandersetzungen stattfinden, spielt sich die Tarifgestaltung der Krankenhäuser hinter dicht verschlossenen Polstertüren ab — jedenfalls werden die Patienten, aber auch die Versicherungsanstalten privater Natur, bei Gebührenerhöhung jeweils einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.

Das Ergebnis ist dementsprechend. Die Preiserhöhungen liegen jeweils kräftig über der indexmäßigen Steigerung der Lebenshaltungskosten. Anfang 1973 wurden die Kostensätze der Spitäler in den meisten österreichischen Bundesländern wieder einmal erhöht — die geringste Preiserhöhung liegt, abgesehen von der achtprozentigen Steigerung in der zweiten Klasse des Landeskrankenhauses Innsbruck, bei 18 Prozent, die höchste (in Feldkirch) macht nicht weniger als 53 Prozent aus.

Derartige Preiserhöhungen wurden, wie in diesem Bereich üblich, einfach von oben, nämlich von den Landesregierungen, verfügt, und von einem öffentlichen Ausdiskutieren des Problems war keine Rede. Den privaten Krankenversicherern wird kein Recht zur Mitsprache eingeräumt, obwohl die Steigerung der Kostensätze in erster Linie zu Lasten ihrer Versicherten geht.

Denn die neuen Krankenhaus-Kostensätze gelten selbstverständlich für den Privatpatienten, und damit auch für den Privatversicherten, während die Sozialversicherung wesentlich niedrigere Kosten an die Spitäler erstattet. Dadurch wird der sozialversicherte Patient der gehobenen Gebührenklasse gezwungen, immer höhere Spitalskosten zu bezahlen und prozentuell von der Versicherung immer weniger zurückzubekommen, während das Defizit der Spitäler trotzdem unablässig steigt. Daran wird sich auch in diesem Jahr kaum viel ändern.

Jeder sieht ein, daß eine bessere Betreuung einen höheren Preis bedingt. In den meisten österreichischen Spitälern klafft jedoch zwischen allgemeiner (dritter) Gebührenklasse und gehobener Klasse ein ungerechtfertigt hoher Unterschied. So sind im Pauschalbetrag der allgemeinen Gebührenklasse, in Wien 430 Schilling pro Tag, alle Leistungen enthalten: Aufenthaltskosten, Verpflegung, Schwesternpflege, ärztliche Behandlung, Medikamente, Operationen, Bestrahlungen, Bäder, und so weiter. Der „Klassepatient“ zahlt bereits lediglich für Essen und Wohnen mehr als der Patient der allgemeinen Gebührenklasse für die gesamten Spitalskosten, nämlich 502 Schilling pro Tag. Dazu kommt ein Zuschlag für erhöhten Sach- undpersonalaufwand in der ersten Woche von täglich (!) 251 Schilling, zuzüglich der Kosten für Behandlung, Operationen, Medikamente und so fort, die mit durchschnittlich weiteren 500 Schilling pro Tag zu veranschlagen sind.

Dieser Tarif spricht der leicht einzusehenden Tatsache Hohn, daß die reinen Aufenthalts- und Verpflegungskosten in der gehobenen Klasse jedenfalls niedriger sein müßten als die gesamten Spitals- und Behandlungskosten in der nächstniedrigeren Klasse. Nur ganz wenige Krankenhäuser halten sich an diesen Grundsatz, so das Landeskrankenhaus Innsbruck, wo die Verpflegungskosten der gehobenen Gebührenklasse mit 432 Schilling um 74 Schilling niedriger sind als der Pauschbetrag der allgemeinen Klasse.

Die privaten Versicherer könnten eines Tages als einzigen Ausweg aus diesem Dilemma den Rat an die Patienten sehen, sich in die allgemeine Gebührenklasse zu legen und das Taggeld einer Taggeldversicherung zur anderweitigen Verwendung zu übernehmen. Oder aber, wie in den USA, die Erstbehandlung (Durchuntersuchung, Operation usw.) in einem teuren Spital durchführen zu lassen, die Zeit der Rekonvaleszenz aber in einem billigeren Spital, Sanatorium oder Privatspital zu verbringen.

Damit wäre vielleicht dem einzelnen geholfen, bestimmt aber nicht die österreichische Spitalsmisere gebessert. Der Krankheit der österreichischen Krankenhäuser allerdings rückt man längst nur noch mit symptomatischen Behandlungen zuleibe. Anderseits ist der graue Markt der Gesundheit, die Diskrepanz zwischen Erstattungssätzen der Sozialversicherung und Kostensätzen für Privatpatienten, so mit dem gesamten Krankenhaussystem verwoben, daß nur eine Gesamtreform aussichtsreich erscheint. Allerdings eine Reform, die wesentlich anders aussehen müßte als das, was Frau Minister Leodolter jetzt als Reform einem staunenden Publikum verkauft.

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