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18. Mai liegt mir im Magen

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Ich erinnere mich an ein gutes Dutzend Wahlen. Ob's im mer gute waren?

Zum ersten Mal wählte ich, da war ich noch gar nicht wahlberechtigt. Beim Bäckermeister Kerner, der christlich-^ sozialer Bezirksrat war, warf ich einen Zettel in ein Brotkörberl: Großvater sagte: „Jetzt hast du christlich-sozial gewählt.” Der Herr Kerner schenkte mir ein Briochekipferl. Das war in den zwanziger Jahren.

Dann wäre ich gerne wählen gegangen: am 10. April 1938. Aber ich war noch immer nicht wahlberechtigt.

1945 war es für mich so weit. Weiter gemeinsam an einem Strang ziehen: Das war meine Aprilromantik. Im November wählte ich ÖVP.

1953 wählte ich etwas Einmaliges: Volksopposition. Zum Volk muß man immer halten. Dann gab es schon manches, was Opposition erheischte: Krauland und Müllner, Bauring und Consul-tatio haben ihre Geschichte. Auch träumte ich von' einer Synthese von Christentum und Sozialismus.

Später wählte ich immer SPÖ. 1966 war ich in der Parteizentrale, als die Partei ihre größte Niederlage erlitt.

1970 stand ich wenige Schritte hinter Kreisky, als er ans Fenster trat, den Leuten unten zuwinkte und weinte. Auch ich war ergriffen: von Hoffnung.

Fünf Jahre später pickte mir mein Freund Vak von der Zentralsparkasse nach einem Hauskonzert den Streifen „Kreisky wer sonst” aufs Auto. Ich war nicht ganz froh. Ich hatte nicht den „Lindenb*aum” im Ohr, sondern die Katzenmusik der ORF-Reform.

1978 wählte ich zum erstenmal wieder ÖVP: Busek. Das schrieb ich in der Zeitung und sagte es in einer Parteiversammlung. Der Gratz hatte mir versprochen, einen Platz oder eine Gasse nach Kardinal Innitzer zu benennen. Er hat sein Wort nicht gehalten. Folglich hielt ich nicht mehr zu ihm.

Voriges Jahr veröffentlichte ich das Inserat: „Als Sozialdemokrat wähle ich diesmal Taus”. Es ging mir nicht um Taus: nur um die Macht, die zu groß geworden war. Die Drohanrufe bestätigten mir, daß ich richtig gehandelt hatte.

Bei allen Bundespräsidentenwahlen -von der Wiederwahl Schärfs bis zur Erstwahl Kirchschlägers habe ich immer öffentlich gewählt: als Mitglied einschlägiger Komitees. Mein Name stand auf den Plakaten.

1980 werde ich geheim wählen und nicht einmal wissen, wie.

Katholische Freunde sagen: „Kirchschläger verwischt die Grenzen.” Das ist für mich nicht alles. Er ist der Kandidat jener, die schon so viel Macht haben: in der Regierung, der Gewerkschaft, der Verstaatlichten, im Rundfunk. Wer Kirchschläger wählt, wählt Kreisky, Benya, Androsch und seine Freunde - dann erst Kirchschläger.

Und Gredler? Ein eloquenter Mann. In Gredlers Rhetorik gibt es aber'Mißtöne: So nennt er den Bundespräsidenten Miklas immer Miklasch. Das haben die Nazis getan, um ihn zu re-tschechi-sieren. Der Gredler muß das wissen.

Ich habe mich gefreut, als ich von seiner Kandidatur erfuhr. Eine Wahl ohne Wahlmöglichkeit: Wo kämen wir da hin? Also Gredler wählen? Er sagt, er stünde auf zwei Beinen: der FPÖ und seinem überparteilichen Komitee. Bei der FPÖ läge ich total falsch. Und das magere Komitee würde ich nicht fett machen.

Dann muß man fragen: Hilft man nicht wieder Kreisky, wenn man Gredler wählt? Auf Umwegen natürlich. Aber Politik geht Umwege. Der Steger und der Androsch, der Peter und der Kreisky: lauter Freundschaft. Werdern einen Freund hilft, hilft dem anderen.

Gredler steht nur auf einem Bein: der FPÖ. Ein Rumpelstilzchen? Wie gut, daß der Österreicher nicht weiß, was geschieht, wenn die SPÖ 1983 die absolute Mehrheit verliert. Die kleine Koalition kommt auf uns zu: Das ist der Klumpfuß der SPÖ.

Wie kommt man aus dem Dilemma heraus? Ungültig wählen? Ein Ausweg. Aber eine Sackgasse: Die ungültigen Stimmen werden nicht gewogen, nur jgezählt. Und das nur in der Wahlnacht. Am Morgen sind sie vergessen.

Mir liegt der 18. Mai im Magen. Schade, daß es den Bäckermeister Kerner nicht mehr gibt. Ich würde ihn wählen, wenn ihn die Christlichsozialen aufgestellt hätten. Aber die gibt's auch nicht mehr. Nur Briochekipferln gibt's noch und - sonstige Kipfeln.

Der Verfasser ist freier Presse- und Fernsehpublizist.

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