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18 Plätze für 500 Sdiwerkranke
Schweden hat zweifellos auf einigen Gebieten der sozialen Fürsorge Vorbildliches geleistet. Um so bemerkenswerter ist es, daß dieses Land im Krankenpflegewesen außerordentlich schwere Mängel aufweist, daß es vor allem auf dem Sektor der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge in einem Maße versagt hat, das ausländischen Beobachtern bei der ersten Konfrontierung fast unglaubhaft erscheinen muß.
Schweden hat zweifellos auf einigen Gebieten der sozialen Fürsorge Vorbildliches geleistet. Um so bemerkenswerter ist es, daß dieses Land im Krankenpflegewesen außerordentlich schwere Mängel aufweist, daß es vor allem auf dem Sektor der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge in einem Maße versagt hat, das ausländischen Beobachtern bei der ersten Konfrontierung fast unglaubhaft erscheinen muß.
Man ist geneigt, an falsche Informationen oder an eine Selbsttäuschung auf Grund vorgefaßter Meinungen zu glauben. Doch die schwedische Presse lieferte in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Beweisen dafür, daß beispielsweise die Rheumatikerbehandlung in einer Weise vernachlässigt worden ist, wie sie in Ländern mit einem vergleichbaren Lebensstandard unvorstellbar sein dürfte. Dieser Sektor der Gesundheitsfürsorge bildet wohl das dunkelste Kapitel im sozialen Gebäude des Wohlfahrtsstaates!
Den Anstoß zur Pressekritik bildete eine Sammlung, die vom Reichsverband für die Bekämpfung rheumatischer Krankheiten veranstaltet worden war und deren Reinertrag vor allem erkrankten Kindern zugute kommen sollte. Es gibt in Schweden mindestens 500 schwer an Gelenksrheuma leidende Kinder, für die insgesamt nur 18 Pflegeplätze an einer Universitätsklinik in Lund zur Verfügung stehen. Jahr für Jahr erhöht sich die Zahl der Betroffenen um etwa 150. Die wenigen Spezialärzte, die sich mit ihnen befassen, sind der Meinung, daß 80 Prozent der Kinder bei rechtzeitiger und sachgemäßer Behandlung vor der dauernden Invalidität bewahrt werden könnten, doch für eine solche Behandlung fehlen so gut wie alle Voraussetzungen. Der Versuch des Jtheumatikerverbandes, die Einrichtung von weiteren acht Betten in einer eigenen Abteilung des großen Karolinska-Krankenhauses in Stockholm zu erreichen (acht Plätze für die Hauptstadt und das ganze mittlere und nördliche Schweden!), scheiterte an der Verständnislosigkeit der übergeordneten Behörden.
Ein im Jahre 1965 veröffentlichtes staatliches Programm sah die Errichtung von Rheumatikerkliniken an allen Universitätskrankenhäusern vor — doch auf die Erfüllung dieses Beschlusses wartet man heute noch.
Oberarzt Dr. Lövgren vom St.- Eriks-Krankenhaus in Stockholm, der sich vergeblich um die Bereitstellung einiger zusätzlicher Pflegeplätze bemühte, schildert die Situation in den dunkelsten Farben: „Am allerschlimmsten sind die Kinder in den Landgebieten dran’, sagt er. „Da sie keine qualifizierte Behandlung erhalten können, werden sie von ihren Eltern oft zu Quacksalbern gebracht, und werden dadurch zu Invaliden für ihr ganzes Leben. Andere Kinder werden in die Infektionskliniken eingeliefert, andere in die Kinderabteilungen der Allgemeinen Krankenhäuser, aber nirgends erhalten sie die richtige Behandlung, da die Ärzte mangels geeigneter Ausbildung, keine richtige
Diagnose zü Stellen vermögen. Die Unkenntnis auf diesem Gebiet ist die größte Volkskrankheit Schwedens!’
Nur sehr tatkräftige und unermüdlich nach Hilfe suchende Eltern können ihren erkrankten Kindern die notwendige Behandlung erkämpfen. Der Reichsverband der Rheumatiker weist in seinem Aufruf darauf hin, daß alles, was die Erforschung und Behandlung dieser Krankheitsgruppe betrifft, in Schweden versäumt worden ist. Seit vielen Jahren verlangt man eine bessere Ausbildung der Ärzte und die Einführung neuer Behandlungsmethoden, doch ohne Erfolg. Es gibt eine große Zahl von jungen Ärzten, die überhaupt keine Studien auf dem Feld der Rheumatologie betrieben haben. Im Haushaltsvorschlag der Regierung, der für die Unterstützung des Sports 230 Millionen Kronen vor- sieht, sind für die Rheumaforschung nur 200.000 Kronen eingesetzt. Allein der diesjährige Nobelpreisträger für Medizin wird fast das Dreifache dieses Betrages erhalten. Hinter der glänzenden Fassade lauert das Elend der 250.000 Rheumakranken, die keine wirksame Hilfe erhalten.
90.0 von ihnen bedürften dringend klinischer Behandlung. Doch für alle diese Kranken gibt es nur einige wenige Betten an einigen Universitätskliniken.’ Es gibt nicht eine einzige große und moderne Rheuma- Heilanstalt, keinen einzigen Kurort, der vorwiegend rheumatische Erkrankungen behandeln würde. Die Balneologie, die in zahlreichen Kurorten des Kontinents bei der Behandlung dieser Krankheitsgruppe eine so hervorragende Rolle spielt, wird sogar von vielen schwedischen
Ärzten mit einer abwertenden Handbewegung abgetan. Einige Provinzverwaltungen unterstützen wohl Kuraufenthalte in Ländern mit besseren Voraussetzungen — vor allem in Spanien, auf den Kanarischen Inseln und in Jugoslawien —, doch das sind lokale Initiativen, die alle Zei chen der Improvisation und des Experimentes aufweisen. Was vor allem fehlt, ist eine breit angelegte planmäßige Bekämpfung dieser heimtückischen Krankheit, die viele Schweden zu vorzeitigen Invaliden macht, doch so weit ist man in diesem Land noch nicht gekommen.
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