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1938: „Ein Volk, ein Reich, ein Bischof!“

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Im Sinne einer jahrelangen Gepflogenheit wurde auch für den Herbst 1938 eine zentrale Feier der Katholischen Jugend ins Auge gefaßt. Martin Stur, Hauptreferent der männlichen Jugend in der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien, ergriff die Initiative und trug die Verantwortung. Da die davor florierenden Jugendverbände schon aufgelöst waren, konnte sich Stur nur auf die erst im Aufbau befindliche Pfarrjugend stützen.

Nachdem Kardinal Theodor In-nitzer die geplante Feier sowohl genehmigt wie auch zugesagt hatte, sie zu halten, wurde sie einerseits im Diözesanblatt und andererseits durch kleine Plakate und Flugblätter für Freitag, den 7. Oktober, 20 Uhr, im Dom zu St. Stephan promulgiert. Darin hieß es: „Diese Feierstunde wird den Besten unserer Jugendlichen für das kommende Arbeitsjahr Ansporn geben und das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit wachrufen. Der Dom zu St. Stephan und die Anwesenheit des Bischofs werden gerade in den jetzigen harten Tagen unserer Jugend Arbeitsfreude und Bekennermut geben.“

Die Plakate und Flugschriften wurden von engagierten Jugendlichen zu Fuß oder mit Fahrrad in die Pfarren gebracht, die Mundpropaganda tat das Ihrige, so daß die Jugendlichen in solchen Massen kamen, die die kühnsten Erwartungen übertrafen. Nach dem Jugendseelsorger Stur sprach der Kardinal. Seine Predigt ist in seinem Nachlaß maschinschriftlich aufbewahrt (FURCHE 39/1988).

Den Grundgedanken des nationalsozialistischen Propagandaslogans „Kraft durch Freude (K. D. F.)“ führte der anerkannte Bibelwissenschaftler Innitzer auf jüdisches Denken zurück, in dem er auf das Alte Testament verwies: „Das Wort .Kraft durch Freude' hat einen tiefen Sinn. Das ist ein biblisches Wort. Das hat der Prophet Esdras in einer schweren Zeit den Israeliten gesagt, als sie beschlossen hatten, wieder zum Herrgott zurückzukehren, da hat er ihnen gesagt: ,Die Freude im Herrn ist Eure Stärke*. Das wollen auch wir uns sagen.“

Dieser Hinweis auf jüdisch-alt-testamentliches Gedankengut beim NS-Motto: „Kraft durch Freude“ scheint das Regime besonders getroffen zu haben, jedenfalls nimmt er im Gestapo-Spitzelbericht für Gauleiter Joseph Bürckel einen verhältnismäßig breiten Raum ein, wonach der Kardinal gepredigt habe: „Haltet fest an Eurem christkatholischen Glauben, der gibt Euch Kraft und gibt Euch Freude. Es hat einen tieferen Sinn, dieses Schlagwort, welches wir um uns soviel hören: K. D. F. Man kann viel mit Vernunft machen, wenn es aber nicht mit Herz und Freude geschieht, dann ist es nicht gut. Kraft durch Freude hat eine tiefere Bedeutung: Als die Söhne Israels aus der Gefangenschaft befreit wurden, begannen sie aus dieser Freu^e Kraft zu schöpfen, neuer Glaube erwachte in ihnen. So schließ ich denn, geht nun hinaus, mit neuer Kraft und neuer Freude.“

Mit dem Herz Jesu-Bundeslied klang die Jugendfeier aus; allen, die dabei waren, blieb sie nicht nur ein unvergeßliches Erlebnis, sie hatten Mut, Vertrauen und Durchhaltewillen geschöpft. Die Jugend strömte stimuliert und emotionalisiert aus dem Dom in die Öffentlichkeit. Hier, vor dem hohen Dom zu St. Stephan, entlud sich die Begeisterung in eine im sogenannten III. Reich einmalige Kundgebung für den Bischof beziehungsweise den Kardinal und die Kirche.

Der öffentliche Platz wurde nicht, wie gewohnt, von der HJ oder SA oder sonstigen NS-For-mationen beherrscht, sondern von der jungen Kirche, der Katholischen Jugend. Spontan begann sie nach Kardinal Innitzer zu rufen, der über die Sakristei und den Seitenausgang ins Palais zurückging, indem sie in Sprechchören gängige Hitler-Rufe auf den Bischof umformulierte und skandierte: „Wir wollen unseren Bischof sehen!“ oder gar: „Bischof befiehl, wir folgen dir!“

Nach langem Zögern trat dann Innitzer ans Fenster des Erzbischöflichen Palais im I. Stock und winkte mit einem weißen Taschentuch der förmlich in Ekstase geratenen Jugend zu „und gab dann mit beiden Armen deutliche Zeichen, wir sollten jetzt nach Hause gehen“, erinnert sich Wolfgang Müller-Hartburg, einer der Akteure unter der Katholischen Jugend damals.

Der Augenzeuge Erwin Ringel weiß zu berichten: „Es war ein vollkommen spontanes Geschehen. Wir sangen noch .Großer Gott, wir loben Dich' und sammelten uns dann auf dem Platz vor dem Dom. Es war eine Tatsache, daß der Platz vor dem Dom in unseren Händen war, ebenso war es eine Tatsache, daß einzelne Nazis verdroschen wurden. Wir wandelten dann einzelne Nazisprüche ab und schrien im Chor: ,Ein Volk, ein Reich, ein Bischof!' und .Lieber Bischof sei so nett, zeige Dich am Fensterbrett'. Innitzer hat sich dann am Fenster des Palais gezeigt. Wir waren im Zustand der Ekstase, es war eine Art Ausnahmezustand, denn hätten wir uns unserer Vernunft bedient, dann

„Die Hitler-Jugend plünderte, während die Polizei tatenlos zusah“ wäre es nie zu dieser Kundgebung gekommen. Es war ein emotionaler Ausbruch, bei dem die Vernunft nicht mehr zählte.“

Die NS-Exekutivorgane verhafteten von dieser Kundgebung weg Jugendliche, die Hermann Lein, der zwei Tage später das gleiche Schicksal erleben sollte, namentlich zu nennen weiß: Ferdinand Habel, Kurt Hickl, Josef Kaspar, Franz Riesenhuber, Franz Ranftl, Egon Hanel, Adrienne Jantschge und Hans Eis. Einige davon wanderten später gar ins KZ.

Am Tage darauf, am Samstag, dem 8. Oktober, übte die Hitler-Jugend bittere Rache an dieser großartigen, einmaligen Jugendkundgebung im III. Reich, indem sie mit Einbruch der Dunkelheit, also knapp nach 20 Uhr, das Erzbischöfliche Palais stürmte, verwüstete, plünderte und den Kardinal wie seine nächste Umgebung an Leib und am Leben bedrohte, während die Polizei tatenlos zusah.

Offensichtlich auf der Suche nach dem Jugendseelsorger und Domkuraten Martin Stur, stürmte der NS-Mob auch das gegenüberliegende Churhaus, und mit dem Hinunterwurf des Domkuraten Johann Krawarik vom Fenster des ersten Stockes in den Hof demonstrierte der Mob seine Rücksichtslosigkeit und Brutalität. Daß Krawarik bloß schwer verletzt wurde und nicht zu Tode kam, verdankte er dem Sandhaufen, auf den er fiel.

Dieser Vandalenakt entsprang dem Antiklerikalismus und der Kirchenfeindlichkeit der NS-Ideologie, die vom Liberalismus über den Marxismus in ihn eingeflossen waren. Dieser Antiklerikalismus, gepaart mit Antisemitismus, sollte in einer Großkundgebung einige Tage später, am 13. Oktober, auf dem Heldenplatz seine lautstarke demonstrative Fortsetzung finden. Der Reichskommissar Bürckel grölte „in alkoholisiertem Zustand eine einstündige Hetzrede gegen den Kardinal und den politisierenden Klerus“ (Erika Weinzierl).

Aber nicht nur gegen Kirche, Klerus und Innitzer im besonderen wurde geschrien, gejohlt, gedroht und gegrölt, sondern auch gegen Juden und Judentum. Viktor Reimann wußte zu berichten: „An die 200.000 Menschen fanden sich auf dem Heldenplatz ein und trugen Spruchbänder mit den Aufschriften: JDie Pfaffen an den Galgen', ,Zum Teufel mit den Jesuiten', ,Ohne Juden, ohne Rom, wird erbauet Deutschlands Dom'.“

Ob der Jugenddemonstration war der sich vergessende Bürckel besonders aufgebracht: „Der wahre Sinn des Rufes .Christus ist unser Führer'“, klärte er seine an-tiklerikale-antisemitische Zuhörerschar auf, „wird übrigens sofort klar durch den weiteren Ruf, .Innitzer befiehl, wir folgen Dir!' Innitzer hört den Ruf und segnet, wiederum unter schwerem Mißbrauch des Kreuzeszeichens, vom Erzbischöflichen Palais aus die politische Demonstration gegen den Staat!“

Damit aber nicht genug, nach der Kundgebung am Heldenplatz formierten sich die fanatisierten Massen zu Demonstrationszügen und trotteten am Erzbischöflichen Palais, antiklerikale Parolen rufend und mit Transparenten versehen, vorbei: „Zwei, drei, vier — Innitzer krepier!“ schrie man. „Innitzer und Jud, eine Brut“ war die Kurzformel des nationalsozialistischen Antiklerikalismus und Antisemitismus auf einem Spruchband.

Mit der Verwüstung und Plünderung des Erzbischöflichen Palais - ähnliches hat übrigens Kardinal Michael Faulhaber in München im 11. Oktober 1938 erleben müssen —, bei der sowohl Kardinal Innitzer persönlich als auch seine nächste Umgebung an Leib und am Leben bedroht wurden, und dieser antikirchlichen Kundgebung auf dem Heldenplatz, über die es leider keine Filmaufnahmen wie vom 15. März gibt, hatte Österreichs Kirche einen Vorgeschmack dessen bekommen, was an den Juden einen Monat später, in der sogenannten Reichskristallnacht, insbesondere in Wien, verbrochen wurde.

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