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'1938: „Schickt's die Madin ham!“

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Junge und ältere Frauen berichten in einem neuen Sammelband über ihre Erfahrungen mit der Kirche. Sie plädieren für stärkere Berücksichtigung des „Weiblichen“.

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Junge und ältere Frauen berichten in einem neuen Sammelband über ihre Erfahrungen mit der Kirche. Sie plädieren für stärkere Berücksichtigung des „Weiblichen“.

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Am 1. Jänner 1938 begann meine Tätigkeit in Wien. Ich erlebte noch in den letzten Ausläufern das damalige Verhältnis von Kirche und Staat in Österreich, das sich in etwa in einem Empfang der österreichischen Bischöfe in der Wiener Hofburg zugunsten einer geplanten Katholischen Universität in Salzburg zeichenhaft ausdrückte.

Mein Auftrag lautete etwas unbestimmt: Arbeit auf dem Gebiet von Buch und Schrifttum und das, was man heute Öffentlichkeitsarbeit für die Katholische Aktion nennen würde. Die Anstellung wurde durch eine Bank finanziert, die der Katholischen Aktion den finanziellen Aufwand für eine Handelsschülerin zur Verfügung stellte - das war mein Gehalt. Meine erste Wohnung in Wien bestand in einem Kabinett von etwa zwei mal zwei Meter Fläche in einem Kloster.

Aufgenommen wurde ich am Stephansplatz, dem Zentrum di-özesaner Stellen, von denen, mit denen ich zusammen arbeiten sollte, außerordentlich herzlich. Kanonikus Engelhart bemühte sich intensiv, mir die Wiener kirchliche Situation nahezubringen. Ich besuchte auch viele größere Wiener Pfarren, was mir später die Zusammenarbeit mit dem Klerus sehr erleichterte.

Mit dem Einmarsch Hitlers in Österreich änderte sich die Situation der Kirche schlagartig. Als eine der ersten Institutionen wurde auch die Katholische Aktion verboten. Nun stellte sich mir zum zweiten Mal die Frage: Bleiben — und nun unter Karl Rudolf — oder gehen? Ich entschied mich fürs Bleiben, obwohl es völlig unsicher war, wie kirchliche Arbeit in Zukunft vor sich gehen sollte. Da gab es auch das tradierte Diktum eines höheren Klerikers: „Schickt's die Madin ham.“ Man hat uns nicht nach Hause geschickt.

Es war eine weitblickende Idee Kardinal Theodor Innitzers (ein vermutlich durch Ratgeber beeinflußter Entschluß), alle zentrale kirchliche Tätigkeit so nahe wie möglich an sein Ordinariat zu binden. Bald zeigte sich auch, daß der Bischof und sein Ordinariat tatsächlich am besten geschützt waren.

So entstanden im Erzbischöflichen Ordinariat drei Referate: eines für die Seelsorge (unter dem initiativen Karl Rudolf), in das alle Bemühungen um Pastoral und Bildung eingebunden waren; eines für Finanzen (unter Josef Schoiswohl), das für den nötigen Unterhalt der Kirche sorgen sollte, und eines für Rechtwahrung (unter Kanonikus Leopold Engelhart), das so gut wie möglich Ubergriffe auf kirchliches Eigentum zu verhindern hatte. Am 23. August 1938 wurde die Neuordnung erlassen.

Am 1. Oktober 1938 trat ein -wenn auch sehr bescheidenes -Gehaltsschema für die Laienangestellten der Kirche in Kraft. In dem auch heute noch sehr interessanten Buch „Aufbau im Widerstand“ beschrieb Karl Rudolf im Jahr 1947 die Strukturen der Wiener Kirche aus dieser Zeit, vor allem auch die seelsorglichen Versuche, wobei er zeigen konnte, daß vieles, was unter äußerem Druck in der NS-Zeit neu begonnen wurde, später zukunftsträchtig werden sollte.

Aufschlußreich auch für die damalige Einschätzung der Frau im kirchlichen Dienst ist seine Darstellung der sogenannten „Werke“ innerhalb der kirchlichen Einrichtungen. Sie wurden von Priestern und Laien getragen, wobei alle als apostolische „Mitarbeiter“ betrachtet wurden, nicht als „Angestellte“. Unter den rund 35 Mitarbeitern schrieb er den „Akademikern“ und „Akademikerinnen“ eine Sonderstellung zu. Sie waren „nicht als .Beamte', sondern als Mitträger des Werkes im Sinne der Katholischen Aktion (zu verstehen), die auch initiativ in die Arbeitsplanung eingreifen konnten“.

Die einzelnen Referate waren in der Regel von einem Geistlichen Referenten und einer Laienmitarbeiterin getragen. In den von mir betreuten Referaten arbeitete ich unmittelbar mit dem Leiter des Amtes, Karl Rudolf, zusammen und galt als Referentin - natürlich war ich auch meine eigene Sekretärin. Zu den wöchentlichen Referentensitzungen jedoch waren weder ich noch andere Mitarbeiter eingeladen.

Von Beginn an war ich mit dem Referat „Buch und Schrifttum“ betraut, in dem ich, nachdem alle kirchlichen Bibliotheken aufgehoben und die Pfarrbüchereien auf 386 genau bezeichnete Titel beschränkt worden waren, Aktivitäten „erfinden“ durfte. Manche davon, die sich als erfolgreich erwiesen, wurden sofort verboten, andere konnten fortgeführt werden — so eine anspruchsvolle Thomasrunde, Leseabende am Stephansplatz und in den Pfarren, Kurse über religiöse Literatur und so weiter. Wesentliches konnte nach 1945 ausgebaut werden.

Sehr fruchtbar entwickelte sich in der NS-Zeit die gewünschte Zusammenarbeit mit den Referaten Religiöse Kultur (geleitet von Otto Mauer) und Studentenseel-sorge (geleitet von Karl Strobl). Zur Vorbereitung der Weitergabe an die verschiedenen Hörerkreise befaßten wir uns privat mit großen Theologen der Vergangenheit und der Gegenwart, mit bedeutenden Dichtern vor allem des 20. Jahrhunderts, mit philosophischer Literatur.

Wien war während der Kriegsjahre ein begehrter Ort für die Abhaltung von Tagungen und Vorträgen, die dort noch möglich waren. 1940 gründeten wir in Wien „Theologische Kurse für Laien“, die ich mitplanen und betreuen durfte. Sie erwuchsen aus dem Bedürfnis vieler intellektueller Katholiken, ihren Glauben auf einer ihnen entsprechenden Ebene zu reflektieren. Die Referenten für diese Kurse waren leicht zu finden. Zu den Professoren der Wiener Theologischen Fakultät kamen Professoren aus der 1939 aufgehobenen Innsbrucker Theologischen Fakultät hinzu. Unter den einflußreichsten Mitarbeitern der Anfangsphase waren — die recht verschieden gearteten Franz Mitzka S J und Karl Rahner SJ, später Albert Mitterer, Michael Pfliegler und andere.

1939 hatte ich in meiner Freizeit angefangen, Medizin zu studieren, weil niemand wissen konnte, wie lange zentrale kirchliche Aktivitäten geduldet würden und ich nach meinem kirchlichen Vorleben sicher keine meiner Ausbildung entsprechende Anstellung gefunden hätte. Nach vier Semestern brach ich dieses Studium ab, weil die weitere Existenz des Seelsorgeamtes gesichert schien. Entsprechend meiner Tätigkeit wollte ich nun endlich Theologie studieren. Anders als vor 1938 war dies nun ohne weiteres auch für Frauen möglich. Weder bei den Professoren noch bei den studierenden Priesteramtskandidaten begegnete ich Vorurteilen.

Die Autorin war Leiterin der Theologischen Kurse für Laien in Wien.

Aus dem demnächst im Verlag Herder erscheinenden Band „Mädchen für alles -Emanze vom Dienst“, herausgegeben von Leonore Rambosek.

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