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1990: Scheidungsrekord in Österreich

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Ende Mai ging eine Meldung durch die Medien, die Jahr für Jahr Anlaß zu Kommentaren gibt: die hohe Zahl von Scheidungen in unserem Land. 1990 gab es einen neuen Scheidungsrekord: 16.282 Ehen sind im Vorjahr in Brüche gegangen • pro Tag also 45.

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Ende Mai ging eine Meldung durch die Medien, die Jahr für Jahr Anlaß zu Kommentaren gibt: die hohe Zahl von Scheidungen in unserem Land. 1990 gab es einen neuen Scheidungsrekord: 16.282 Ehen sind im Vorjahr in Brüche gegangen • pro Tag also 45.

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Welches menschliche Elend hinter diesen Zahlen steckt, macht man sich am ehesten bewußt, wenn man sich die Zahl der von Scheidungen betroffenen Kinder vor Augen hält: Allein im Vorjahr verloren 13.468 minderjährige (insgesamt aber 17.072) Kinder zumindest einen Elternteil (FURCHE 23/1991). 4.300 dieser Kinder waren noch keine sechs Jahre alt.

Dieser Wert des Vorjahres sollte wirklich aufhorchen lassen. Er liegt nämlich um fünf Prozent über dem des Jahres 1989. Damit sind wir mit einer ganz beachtlichen Steigerung konfrontiert: Der Zuwachs ist nämlich doppelt so groß wie der Durchschnittswert der jährlichen Veränderungen während der beiden letzten Dekaden.

Man hat sich schon allzu sehr an die zunehmende Instabilität der Ehen gewöhnt. Schließlich beobachtet man dasselbe Phänomen ja in allen Industrieländern seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Irgendwie gilt die Lockerung der Paarbeziehung eben als notwendige Begleiterscheinung unseres Fortschritts. Man geht zur Tagesordnung über. Darum ist es wichtig, sich das Ausmaß der Desta-bilisiening vor Augen zu halten.

Für Österreich läßt sie sich folgendermaßen darstellen: Kamen 1970auf 100 geschlossene Ehen „nur" 19 Scheidungen, so stieg diese Zahl bis 1989 auf 36. Das ist immerhin eine Verdoppelung jener Kenngröße, die zum Ausdruck bringt, wie sich die Bereitschaft, eine Ehe einzugehen, zum Durchtragen dieses Entschlusses verhält.

Bei der Beurteilung dieser Zahlen muß allerdings auch der Umstand berücksichtigt werden, daß die Bereitschaft, eine Ehe einzugehen, seit Jahren eine relativ stark rückläufige Tendenz aufweist. Im Vorjahr wurden um rund 20 Prozent weniger Ehen (um 30 Prozent weniger Erst-Ehen) geschlossen als 1970.

Geringere Heiratsbereitschaft heißt Zunahme der Zahl von Lebensgemeinschaften nicht Verheirateter. Ihr Anteil hat sich in der Dekade 1971 -1981 verdoppelt. 1987 betrug in Österreich die Zahl der „Ehen" ohne Trauschein 82.000. Dieser Wert dürfte heute (die Ergebnisse der Volkszählung 1991 liegen naturgemäß noch nicht vor) um einiges höher liegen. Die „Probe-Ehe" ist besonders unter jungen Menschen zum beinahe selbstverständlichen Lebensmodell geworden. Laut Familienbericht halten 75 Prozent der Jugendlichen diese Form des Zusammenlebens für richtig und ratsam.

Auch darin kommt eine Destabifi-sierung der Paarbeziehungen zum Ausdruck. Denn in sehr vielen Fällen scheint die Probe eben doch zu einem negativem Ergebnis zu führen, wie Untersuchungen aus den USA zeigen: Zwei Drittel der unverheiratet zusammenlebenden Paare gingen gingen spätestens nach zwei Jahren wieder auseinander - was auch eine Form von Scheidung darstellt.

Und auch hier sind oft Kinder betroffen. Denn ein immer größerer Anteil der Kinder kommt unehelich zur Welt: 13 Prozent im Jahr 1970 und fast 24 Prozent im Vorjahr.

In Zusammenhang mit dem Phänomen der „Probe-Ehe" ist auch das steigende Heiratsalter zu sehen. Seine seit 1970 deutliche Zunahme würde eigentlich den Schluß nahelegen, daß Ehen heute eher nach reiflicher Überlegung geschlossen werden als früher. Das durchschnittliche Heiratsalter ist nämlich in diesem Zeitraum bei Männern um zwei, bei Frauen sogar um 2,5 Jahre gestiegen. In gewisser Hinsicht steht diese Entwicklung im Widerspruch zu den steigenden Scheidungsziffern. Offensichtlich ist voreheliches „Probieren" eben doch kein Beitrag zum Gelingen von Ehen.

Darauf deutet auch eine andere Beobachtung hin: Bei 25 Prozent der Scheidungen handelt es sich um Ehen, in denen einer der Partner schon einmal verheiratet war. Auch Zweitehen funktionieren offensichtlich nicht besser.

Ihr Anteil ist übrigens in Wien, wo nur jede zweite Ehe von noch ledigen Partner geschlossen wird, besonders hoch. Besonders hoch ist in Wien auch die Scheidungsrate. Die Stabilität der Ehen unterscheidet sich nämlich ganz markant im Vergleich zwischen der Großstadt Wien und dem übrigen Österreich. Auf die Einwohner bezogen war im Vorjahrdie Scheidungshäufigkeit in Wien fast doppelt so hoch (3,5 auf 1.000 Einwohner) wie im Durchschnitt der übrigen Bundesländer (1,8). Zwischen diesen beobachtet man allerdings auch ein beachtliches Gefälle: Extreme Werte weisen die beiden westlichsten Bundesländer Tirol (1,4) und Vorarlberg (2,1) auf.

Und noch etwas ist auffällig: Es zeichnet sich eine Tendenz zur Anpassung an das städtische Verhalten ab. Einen überdurchschnittlichen Zuwachs weisen Bundesländer mit niedrigen Scheidungsraten auf.

Interessant ist schließlich noch ein Blick auf jene Daten, die darüber Auskunft geben, wie lange Ehen halten, bevor sie geschieden werden. Sehr hoch ist der Anteil jener Ehen, die schon nach relativ kurzer Zeit in Brüche gehen:

Die höchste Labilität ist im ersten und zweiten Ehejahr festzustellen. Im Vorjahr waren schon sieben Prozent jener, die 1987 geheiratet hatten und 5,6 Prozent der Brautpaare aus dem Jahr 1988 geschieden.

Die Entwicklung der beiden letzten Dekaden zeigt noch ein weiteres Phänomen: Scheidungen nach relativ lang währender Ehe nehmen überproportional zu. So ist der Anteil von Paaren, die sich nach ihrer silbernen Hochzeit noch scheiden ließen von vier (1970) auf sieben Prozent im Vorjahr gestiegen. 1990 ließen sich sieben Paare sogar erst nach der Goldenen scheiden.

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