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1992: ENTDECKUNG DER GESCHICHTE AMERIKAS

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Am 17. April 1492 erhält der geborene Genuese Christöforo Colombo, der sich später spanisch Cristöbal Colon nannte, im Auftrag der Katholischen Majestäten Ferdinand II. von Aragonien und Isabella I. von Kastilien die drei Caravellen Santa Maria", „Pinta" und Nina", um Ostasien im Westen zu suchen. Nach siebzigtägiger Reise erreichen die Schiffe am 12. Oktober 1492 Land. Kolumbus nennt die Insel San Salvador, es ist die heutige Watling-Insel der Bahamas. Die Neue Welt war entdeckt.

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Am 17. April 1492 erhält der geborene Genuese Christöforo Colombo, der sich später spanisch Cristöbal Colon nannte, im Auftrag der Katholischen Majestäten Ferdinand II. von Aragonien und Isabella I. von Kastilien die drei Caravellen Santa Maria", „Pinta" und Nina", um Ostasien im Westen zu suchen. Nach siebzigtägiger Reise erreichen die Schiffe am 12. Oktober 1492 Land. Kolumbus nennt die Insel San Salvador, es ist die heutige Watling-Insel der Bahamas. Die Neue Welt war entdeckt.

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Cahokia an den Ufern des Mississippi, unweit des heutigen St. Louis, war im 13. Jahrhundert eine Stadt etwa so groß wie das damalige London. Ein Handelszentrum mit 20.000bis 40.000 Einwohnern für ein Gebiet vom Golf von Mexiko bis in die Dakotas unserer Tage. 1492, als Christoph Kolumbus für Spanien eine Neue Welt entdeckte, teilte Cahokia das Schicksal Babylons: Seine Bewohner konnten das Wachstum der Stadt nicht meistern, und sie hat mit ihren tempelartigen Pyramiden und ausgedehnten Gräberfeldern, ihren geometrisch angelegten Straßen und Häuserzeilen, aufgehört zu bestehen. Die Menschen sind irgendwohin weitergezogen, wahrscheinlich weil die umliegenden Maisfelder ihre Fruchtbarkeit verloren hatten, und die nahen Wälder abgeholzt waren, um den tausendfachen Hausbrand in der großen Stadt zu nähren.

Kaum ein Reisender in den USA, der auf der nahen transkontinentalen Autobahn Nr. 70 dahinfährt, kennt die archäologischen Ausgrabungen von Cahokia. Das Problem dieser Stadt ist das der amerikanischen Geschichte. Für viele in den USA beginnt die Geschichte Amerikas immernoch mit seiner „Entdeckung" 1492. Die frühen Pioniere glaubten lange Zeit, daß die Grabstätten entlang des Mississippi und Missouri gar nicht von den Indianern errichtet worden sind. Der Historiker William Pidgeon schrieb 1858: „Die natürliche Trägheit der Indianer und ihre Abneigung von händischer Arbeit ist uns wohlbekannt." Eine beliebte Spekulation zur Untermauerung der europäischen Überlegenheit bis weit in das 20.

Jahrhundert hinein schrieb die Grabstätten den Vikingern zu, oder einem vertriebenen Stamm Israels, der wegen seiner Intelligenz von den Indianern vernichtet wurde.

Der Mythos vom „leeren Kontinent", vom „weiten Land, das darauf wartet, besiedelt zu werden", wie Alexis de Tocqueville 1835 in seinen Reiseaufzeichnungen schrieb, lebt weiter. Der Franzose meinte damals, daß „Nord-Amerika lediglich von einigen umherziehenden Stämmen besiedelt ist, die den Reichtum und die Fruchtbarkeit des Bodens nicht fürsich auszunützen verstehen". Diese Phrase vom „leeren Kontinent" begründete bis in die Gegenwart hinein den Gründungsstolz vom Aufbau einer Nation, die alle Menschen in sich aufnehmen wollte, die in ihrer Heimat mit Leid und Not beladen sind.

Der größte Genozid

Dieses Bild von der „Entdeckung Amerikas" beginnt sich durch ein neues „multikulturelles" Geschichtsbewußtsein in jüngster Zeit stark zu verändern: Die Ankunft der Europäer in den Amerikas wird besonders an den Universitäten nicht mehr kritiklos als die große Errungenschaft des europäischen Entdeckungszeitalters gesehen. H inter der anglo-zentrischen Gründungsgeschichte der stolzen Demokratie eines Thomas Jefferson gewinnt die Tragik ihres Entstehens an Bedeutung. Und das erlaubt ein neues Verständnis vom, wie es der renommierte Historiker David Brion von der Yale-University nennt, „größten Genozid in der Geschichte der Menscjiheit".

Nicht wenige Teilnehmer an den

vor allem bei Italo-Amerikanem beliebten Paraden am Kolumbustag am 14. Oktober haben heuer die unangenehme Erfahrung machen müssen, von aufgebrachten Passanten vom Straßenrand aus angespuckt zu werden. Das neue „politisch korrekte" Verständnis von Christoph Kolumbus sieht in ihm einen ruchlosen, typisch europäischen Völkermörder, der, zur Draufgabe, auch der Ahnherr für die ökologische Krise unsererTage ist. 1992 sei daher kein Jubeljahr, sondern bitterer Anlaß, Reue gegenüber den eigentlichen Amerikanern, den Native-Americans, zu üben, denen die europäischen Ein wanderer 500 Jahre lang Land, Sprache, Kultur und Leben genommen hätten.

Einige Kulturvereinigungen der Indianer, die im Rahmen von „Allianz 1992" zusammenarbeiten, haben daher das heurige Jahr zum offiziel-, len Trauerjahr ausgerufen - um dem Jahr 1491 zu gedenken, dem letzten „der guten alten Tage in unseren alten Ländern".

Die mildere offizielle Sprachregelung in den USA spricht freilich von der „Begegnung" (encounter) der europäischen mit der amerikanischen Kultur, die ab 1492 die ganze Welt nachhaltig veränderte. Von „Entdek-kung" (discovery) könne nicht länger gesprochen werden, denn in den Amerikas lebten, einige Millionen auf oder ab, mindestens so viele Menschen, wie im Europa des 15. Jahrhunderts. Das landesweit führende Smithonian-Geschichtsinstitut in Washington hat seine große Ausstellung „1492 - 1992" daher dem „Austausch" gewidmet, der sich zwischen den beiden „alten Kulturen"

Amerikas und Europas ereignete, und zeigt, wie durch Tiere und Pflanzen der Lebensstil und die Überlebensbedingungen hier und dort verändert wurden: Tatsächlich ist der Mais als Hauptnahrungsmittel aus Amerika nach Afrika gekommen, und hat die Menschen dort vor dem Verhungern bewahrt; die Chinesen sind heute die weltgrößten Konsumenten der amerikanischen Kartoffel - die auch in Europa vielen das Leben rettete.

20.000 Jahre alte Geschichte

Die „multikulturelle" Kontroverse um die Bedeutung von Christoph Kolumbus hat auch eine positive Seite: Alle heute auf den Boden der Amerikas lebenden Rassen und Völker beanspruchen ihren Teil an der Geschichte und gewinnen daraus ihr Selbstbewußtsein. Die Natives pochen auf die mindestens zwanzigtausend Jahre alte Geschichte Amerikas, die nicht 1492 sondern mit dem Zuzug der„Asio-Amerikaner" über die vergletscherte Beringstraße begonnen hat. Die indianische Kultur ist weit älter und reicher als die allgemein bewunderten Reste der Hochkulturen der Azteken und Mayas in Zentral-und Südamerika glauben machen.

Dieses veränderte Geschichtsbewußtsein betont die Leidensgeschichte, die mit der Ankunft der Europäer in den Amerikas verbunden war: Allein in Mexiko sind in den Jahren von 1519 bis 1568 über 90 Prozent der 30 Millionen Indianer gestorben. Das tragische Hinsterben der Menschen in Süd-, Zentral- und Nord-Amerika ist nicht ausschließlich auf die brutalen Eroberungsfeldzüge und die Zurückdrängung ihres natürlichen

Lebensraums zurückzuführen: Die „Begegnung" mit den Europäern hat die Indianer unbekannten Seuchen ausgesetzt, und die überwiegende Mehrheit von ihnen ist völlig hilflos an Pocken gestorben.

Was Seuchen nicht zustandebrachten, haben ;,Zivilisationsversuche", Vertreibung, Massaker und Krieg bewirkt: Auf dem Boden der heutigen USA ist zwischen 1607, der Gründung der ersten englischen Siedlung Jamestown, und 1890 das Leben von 800.000 Natives vernichtet worden. Besonders das 19. Jahrhundert brachte mit dem selbstgerechten Rechtsanspruch, der „Manifest Destiny", der Vereinigten Staaten auf das Territorium des ganzen Kontinents, eine ungemein brutale Verfolgung der bereits dezimierten Natives.

Mit der Errichtung von Reservationen, - Nationen, wie die Indianer sie nennen, oft in der Größe der Schweiz -, ist ein „Indianerprogramm" der Regierung nach dem anderen gescheitert, und bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts sind Verträge und Abmachungen wiederholt verletzt worden. Erst 1975 (!) haben die Native-Americans durch den „Selbstbe-stimmungs- und Erziehungs-Vertrag" mit der US-Regierung weitgehend ihre Souveränität erhalten.

Nach 500 Jahren finden die Indianer endlich zu ihrer eigenen Kultur zurück. Langsam steigen die Bevölkerungszahlen in den Nationen: 1990 zählte man 1,7 Millionen auf dem Gebiet der USA, einige hunderttausend mehr als 1492. Und trotzdem: Vom Glorienschein der Europäer wird Ende 1992 sicher nicht viel übrig bleiben.

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